PFAS-verseucht-ohne-ende.jpg - © Bild: iStock/BlackJack3D

PFAS: Wie ein Chemie-Konzern eine ganze Stadt verseucht

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Im niederländischen Dordrecht hat ein Chemiekonzern die Umgebung mit PFAS-Stoffen schwer geschädigt. Anwohner ziehen vor Gericht und fordern ein Verbot. Über das Problem mit „Ewigkeitschemikalien.“

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Im niederländischen Dordrecht hat ein Chemiekonzern die Umgebung mit PFAS-Stoffen schwer geschädigt. Anwohner ziehen vor Gericht und fordern ein Verbot. Über das Problem mit „Ewigkeitschemikalien.“

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Die Lage ist ernst: „Die schlechte Nachricht dieser ganzen Veranstaltung ist: Wir haben ein PFAS-Problem“, sagt der Mann vom Gesundheitsdienst. Die Menschen, die vor ihm auf den Stühlen sitzen, schauen etwas betreten drein. Weil sie sich Sorgen machen, sind sie an diesem Abend kurz vor Weihnachten ins Rathaus des Städtchens Papendrecht südöstlich von Rotterdam gekommen. Behörden, Bodenexperten und Trinkwasserbetriebe informieren im Erdgeschoß. Hier, ein Stockwerk darüber, leistet der Gesundheitsdienst mit einem Vortrag Aufklärung. Die Anwesenden hören, dass PFAS eine Sammelbezeichnung für Tausende von Chemikalien ist, nämlich Per- und Polyfluoralkyl-Substanzen. Diese Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen zählen zu den stärksten der organischen Chemie und verbreiten sich, einmal freigesetzt, leicht weiter. Da sie, in der Natur oder im menschlichen Körper, nur äußerst langsam abbaubar sind, werden sie als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichnet. Beispiele sind Perfluoroctan-Sulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctan-Säure (PFOA), auch C8 genannt.

Wachsendes Bewusstsein

Wasser- und fettabweisend sowie hitzebeständig, tauchten PFAS ab den späten 1940er Jahren in vielen Produkten auf, die den Alltag praktischer machen: Backformen, Outdoorkleidung, Teppiche, Einwegverpackungen, Backpapier, Kosmetik, Zahnseide, Löschschaum und in manchen Wärmepumpen. Am bekanntesten ist ihre Verwendung als Beschichtung von Teflon-Pfannen. Teflon wird unter anderem in Dordrecht produziert, in der Fabrik des Unternehmens Chemours, wenige Kilometer von Papendrecht entfernt – auf der anderen Seite des Flusses Merwede.

Als sie 1962 eröffnet wurde, hatte der amerikanische Mutterkonzern DuPont schon Hinweise auf die Schattenseiten des Stoffes. Ein Jahr zuvor hatten Laborversuche mit Ratten gezeigt, dass selbst kleine PFOA-Dosen deren Leber vergrößern. 1979 wurde ein Versuch mit 16 Affen nach 20 Tagen abgebrochen: Je größer die Mengen des bei der Teflon-Produktion verwendeten PFOA waren, denen sie ausgesetzt waren, desto schneller starben sie. Auch über mögliche Missbildungen an Föten war man informiert, wenn die Mütter zuvor mit PFOA in Kontakt gekommen waren. Wie in den USA wurden auch in Dordrecht hochgiftige Chemikalien in der Umgebung entsorgt – in diesem Fall in die Merwede.

Über all das schwieg der Konzern. Ab den 1980ern wurden die PFAS-Blutwerte der Mitarbeiter gemessen, die teils extrem erhöht waren. Spätestens seitdem ein investigatives TV-Magazin in den Niederlanden letzten Sommer über „Die PFAS-Vertuschung“ berichtete, ist das Thema in aller Munde. Bei der Anhörung durch eine Parlamentskommission betonten zwei Vertreter der Chemours-Direktion, all dies gehöre der Vergangenheit an, die man nicht am Wissensstand der Gegenwart messen könne. Heute sei Chemours auf Nachhaltigkeit und Emissionsreduktion bedacht. Was freilich den Menschen in der Umgebung nicht hilft: SeitJahren leben sie in der Nachbarschaft der Fabrik, in deren direkter Umgebung der Boden schwer verseucht ist. Studien legen einen Zusammenhang zwischen PFAS-Kontakt und Nieren- und Hodenkrebs nahe, außerdem erhöhtem Cholesterol, Schäden an Immun und Hormonsystem sowie Schilddrüsenkrankheiten. Gefahrenquellen, erklärt der Mann vom Gesundheitsdienst, seien „unser ganzes Nahrungspaket“: Trinkwasser, selbst angebautes Gemüse und Eier von Hühnern aus eigener Haltung oder in der Nähe der Fabrik gefangener Fisch. Dazu Schwimmen in verseuchtem Oberflächenwasser oder Kosmetikprodukte. „Ob man tatsächlich krank wird, hängt davon ab, wie viel man im Lauf des Lebens aufgenommen hat."

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