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Ökologisch wohnen, der neue, Luxus

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Der Mensch ist ein häuselbauendes Säugetier”, faßt Ernst Gehmacher das Bedürfnis des Menschen nach den eigenen vier Wänden zusammen. Der Wiener Sozialforscher beschäftigt sich seit vielen Jahren mit „Wohnkultur” und weiß um den engen Zusammenhang von Wohnen und 1 >ebenszufriedenheit. Wohlbefinden in der eigenen Wohnung hat für die Lebenszufriedenheit einen gleich hohen Stellenwert wie die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Nur soziale Kontakte sind wichtiger. „Schlechtes” Wohnen macht genauso unglücklich wie ein „schlechter” Job. Allerdings, so Gehmacher, mißt der einzelne dem Wohnbedürfnis viel weniger Bedeutung bei, als es für sein Wohlbefinden gut wäre.

Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung unter der Leitung des Institutes für Soziologie der Universität Wien zeigt, daß über 90 Prozent der befragten Österreicher mit ihrer Wohnsituation sehr oder eher zufrieden sind. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt demnach in subjektiv annähernd „idealen” Wohnverhältnissen. Ist somit alles in Ordnung?

Nicht ganz, hält Wohnexperte Gehmacher dagegen. Denn auch „gut wohnen” will gelernt sein. Die Österreicher haben aber keine oder nur mangelnde Wohnerfahrung, denn sie wechseln nur selten ihre Wohnungen oder Häuser: „Um Wünsche und Bewirf wohnen” heißt für immer mehr Österreicher, ihren Lebensraum nach ökologischen Gesichtspunkten einzurichten. dürfnisse zu entwickeln, muß man Erfahrungen sammeln und vergleichen können.” Allerdings, so Gehmacher, ändert sich auch hierzulande das Wohnbedürfnis derzeit rasant: „Die Leute sind wählerischer geworden.”

War in den sechziger Jahren die Neubauwohnung das non plus ultra, sind derzeit Altbauwohnungen, eine Dachterassenwohnung oder gar ein „Öko-Häuschen” im Grünen gefragt. Offensichtlich vollzieht sich auch hier ein Wertewandel. „Es gibt Wohnstile und Wohnträume, die sind ziemlich falsch, es dauert aber oft mehr als eine Generation, bis ein falsches Wohnkonzept als solches erkannt wird” meint der Wissenschafter.

Auch das wachsende Umweltbewußtsein spielt eine immer größere Rolle. Das Umdenken in Richtung „ökologisches Wohnen” ist für Gerhard Schuster, Leiter des Zentrums für Bauen und Umwelt an der Donauuniversität Krems, schon deshalb nötig, da durch Schadstoffe in Wohn-und Arbeitsräumen immer mehr Menschen erkranken: „Um 1900 wurden beim Wohnbau etwa 50 Chemikalien verwendet, heute sind es 60.000!” Wie die einzelnen Substan-Redaktionelle Gestaltung: Elfi Thiemer zen auf- und miteinander reagieren und sich dann auf die Gesundheit des Menschen auswirken, das sei oft nicht erforscht, klagt Schuster. Allergien, permanente Verkühlungen und verstopfte Nasen, Kopfweh, Asthma, Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen und sogar Krebs sind die (vermuteten) Folgen. „Durch den Einsatz von billigen Baumaterialien, die keine ökologische Qualität haben, entsteht ein immenser volkswirtschaftlicher Schaden,” kritisiert der Öko-Experte.

Das Institut für Batfciologie und - Ökologie (IBO) in Wien untersucht jährlich 300 bis 400 Innenräume auf verdächtige Schadstoffe. Das Meß- und Beratungsservice geht ebenfalls davon aus, daß durch unbelastete Luft in Innen-räümen Kosten für Krankenstände in Milliardenhöhe vermieden werden könnten.

Die Luft im Wohnbereich oder am Arbeitsplatz sei in manchen Fällen stärker mit Schadstoffen belastet als die'Luft an vielbefahrenen Straßenkreuzungen. In einem Informationsblatt heißt es: „Wenn es für das ,Le-bensmittel' Zimmerluft ähnlich strenge Schadstoffgrenzwerte wie für Trinkwasser gäbe, bekämen Millionen Menschen Hausverbot in der eigenen Wohnung.”

Die Hälfte der Messungen vom IBO wird bei Privatpersonen durchgeführt, ein Viertel in Firmen, weil die Angestellten über Beschwerden klagen, der Rest in Schulen und Kindergärten. „Wenn jemand mit Beschwerden zu uns kommt, dann schicken wir ihn zuerst zum Arzt, um eventuell andere Krankheitsursachen festzustellen”, erklärt Peter Tappler, Analytiker des Institutes. Kann der Arzt nichts feststellen, wird der Innenraum auf Chemikalien überprüft. Getestet wird in erster Linie auf Formaldehyd, flüchtige Kohlenwasserstoffe, die in Klebstoffen, Lacken una rarben enthalten sein können, Inhaltsstoffe von I Iolz-schutzmitteln und auf radioaktive Substanzen. „Radioaktive Substanzen, vor allem Radon, sind ein unterschätztes Problem”, warnt Tappler.

Radon findet sich vermehrt in Urgesteinen Tirols, Salzburgs und des Waldviertels. Bei nicht unterkellerten und schlecht isolierten Häusern, dringt die radioaktive Substanz über den Boden in die Innenräume ein. In einem Tiroler Dorf wurden beispielsweise signifikant viele Lungenkrebsfälle festgestellt. Die Untersuchungen des IBO deckten das Radon als „Übeltäter” auf.

Zehn bis 15 Prozent der untersuchten Innenräume erweisen sich tatsächlich als Risikofaktoren. Tappler berichtet von einer Schule in Graz, wo nach dem Umzug in ein neues Gebäude, „die Krankenstände hinaufgeschossen” sind. Die Ursache für die Beschwerden waren Sperrholzplatten aus Italien. Die Konzentration von Formaldehyd war viel zu hoch und entsprach nicht dem österreichischen Grenzwert. Nach Sanierung der Schule verbesserte sich der Gesundheitszustand der Kinder schlagartig.

Für Gerhard Schuster von der Donauuniversität sind Grenzwerte ein Thema für sich. „Bei den Grenzwerten geht man von einem gesunden,-25jährigen Mann aus. Wir müßten aber die Grenzwerte für Risikogruppen, Kinder und alte, kranke Menschen festlegen.”

Ökologisches Bauen und Wohnen ist für ihn aber natürlich nicht nur eine Frage der Gesundheit und des AYohlbefindens. Auch die Umwelt würde maßgeblich davon profitieren. Bauschutt ist teilweise Sondermüll (siehe Seite 17).

Bund 40 Prozent des österreichischen Bedarfes an Energie fließt in den Bereich Bauen und Wohnen, wesentlich mehr als in den Verkehr. Ökologisches Bauen hilft Energie sparen. Die Zeit drängt, meint Schuster, wenn man beispielsweise bedenkt, daß derzeit 18 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Energie verbrauchen.

Durch Einsatz von Solärenergie, Südorientierung der Häuser und guter Wärmedämmung könnte der Energieverbrauch drastisch gesenkt werden: So brauchen sogenannte „Passivhäuser” ein Sechstel und „Niedrigenergiehäuser” die Hälfte jener Energie von herkömmlichen Bauten.

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