"Das Programm bildet einen Kontrast zu vielen zeitgeistigen Dogmen der letzten Jahre und Jahrzehnte: vor allem jenem, dass Unterscheidung Diskriminierung bedeute."
Dass Andreas Salcher in der ZIB 2 erklären musste, wieso der Geist des schwarz-blauen Bildungspakets, welches er für die ÖVP mitverhandelt hat, so ziemlich diametral dem entgegensteht, wofür Salcher in den letzten Jahren eingetreten ist, bleibt sein Problem. Möglicherweise wird er künftig nicht mehr so viel Applaus und mediale Aufmerksamkeit als "Bildungsexperte" bekommen. In der Sache selbst kann man mit dem, was nun vorliegt, indes durchaus zufrieden sein. Jedenfalls die Richtung (apropos "Geist") stimmt: das Bekenntnis zu Leistung, Differenzierung und Verantwortung. Es bildet damit einen Kontrast zu vielen zeitgeistigen Dogmen der letzten Jahre und Jahrzehnte: vor allem jenem, dass Unterscheidung Diskriminierung bedeute und die Schule als Sozialeinrichtung aufgebürdet bekommt, was Familie und Gesellschaft nicht leisten. Das ist eigentlich das Wichtigste. Schule kann nur funktionieren, wenn sich Lehrer, Eltern und Schüler für ihr Gelingen verantwortlich fühlen, bereit sind, mit (vermeintlich sozialen) Illusionen aufzuräumen und auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Dazu zählt beispielsweise, dass Lernen nicht (nur) "spielerisch" erfolgen kann, sondern auch und vor allem Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen erfordert.
Nur wenn niemand vorne ist,
"Kein Kind darf zurückbleiben", lautet(e) ein Lieblingssatz der Mainstream-Pädagogik. Übersehen wird dabei, dass nur dann niemand zurückbleibt, wenn niemand vorne ist. Sobald einige schneller (intelligenter, geschickter, fleißiger ) unterwegs sind, bleiben andere zwangsläufig hinten -und hinter dem Schnellsten (etc.) bleiben alle anderen zurück. Auch und gerade für die Bildungspolitik gilt, was Zeit-Herausgeber Josef Joffe bereits vor Jahren als fundamentalen Denkfehler benannt hat: Wenn es keine Verlierer des Wandels geben darf, verliert der Wandel und damit alle. Auf die Schule umgemünzt: Wenn keiner zurückbleiben darf, bleiben alle zurück. Richtig wäre freilich zu sagen, dass kein Kind aufgegeben werden darf (bzw. es so etwas wie eine gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber den Verlierern gibt). Aber das bedeutet etwas völlig anderes als eine tendenziell nivellierende Gießkannen-oder All inclusive-Politik.
bleibt keiner zurück
Die Ziffernnoten, die im Fokus der Berichterstattung stehen, sind für diese Kehrtwende nur ein Symbol. Den Wandel selbst können sie nicht herbeiführen, aber auch Symbole sind wichtig. Die Argumente, mit der die üblichen Unverdächtigen ihre Empörung zu untermauern versuchen, entlarven sich freilich von selbst: Nein, natürlich gibt es keine "Notenwahrheit", kann eine Beurteilung nie streng objektiv sein. So wie es auch keine Kosten-, Preis-oder was auch immer für eine "Wahrheit" gibt.
Sondern nur den Versuch, einigermaßen nachvollziehbar Dinge zu messen, abzuwägen, zu vergleichen -und daraus bestmögliche Rahmenbedingungen für gedeihliches Zusammenleben zu formen. Das nennt man Politik -und der Streit darüber, was denn dieses Bestmögliche sei, macht die Essenz der Demokratie aus. So hat anerkennenswerter Weise auch der ZIB-Kommentator eingeräumt (wenn auch mit leicht verzweifeltem Gesichtsausdruck), dass er die Aufregung (vor allem in den sozialen Medien) nicht ganz verstehen könne: Das sei eben konservative Bildungspolitik.
Was im Bildungspaket zutage tritt, lässt zumindest ansatzweise den Kern liberalkonservativer Politik -im Gegensatz zu sozialdemokratisch-linksliberaler -erkennen. Die Bewährung steht freilich noch aus, die Durch-und Umsetzung des Porgramms wird deutlich mehr Kraft kosten als dessen Festschreibung. Das gilt nicht minder für alle anderen Bereiche - bei denen überhaupt noch weitgehend offen ist, ob und inwieweit dieser "Kern" zum Tragen kommt.
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