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Luxus oder wirklich notwendig?

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Glaubensweitergabe ist nicht wie die Weitergabe eines Gegenstandes ein punktuelles Ereignis, sondern vollzieht sich in einem lebenslange)^ Prozeß.

Die Statistiken von Veranstaltungen der theologischen Erwachsenenbildung enthalten teilweise eindrucksvolle Zahlen: In relativ großem und teilweise auch steigendem Maß werden Seminare des Bildungswerkes, der Bildungshäuser, Abend- und Fernkurse in Anspruch genommen.

Können diese Bildungsangebote etwas zur Weitergabe des Glaubens beitragen, wenn doch die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem kirchhchen „Binnenraum" kommen, das heißt zu denen gehören, die die Gottesdienste besuchen und sich in verschiedenen Bereichen auch in den Pfarrgemeinden engagieren? Geht es nicht vielmehr um eine (theologische) Wissensvermittlung, die der „Glaubensvermittlung" zeitlich und sachlich nachgeordnet ist und in gewisser Weise einen „intellektuellen Luxus" darstellt?

Ich meine: Nein, und zwar aus mehreren Gründen. „Glauben" und „Nicht-Glauben" sind nicht zwei Gegensätze, die fein säuberlich getrennt in unterschiedlichen Menschen existieren, sondern jeweils Er-fahrungs- und Befmdlichkeitsweisen in jedem einzelnen Menschen selbst. Immer sind Glaube und Unglaube, Zustimmung und Ablehnung, Vertrauen und Angst ineinander verwoben.

Wie sich im Lauf des Lebens durch die äußeren Umstände (Kindheit, Jugend, Berufsanfang, Eheschließung, Familiengründung, mittlere Jahre, Pensionierung) xmd durch die neu hinzugekommenen Lebenserfahrungen (Krisen und Höhepunkte, Scheitern und Gelingen) ein Mensch ändert, so ändert sich auch die spezifische Weise, wie er oder sie seine/ihre Gottesbeziehung (und Kirchenbeziehung) realisiert.

Glaube - will er wirklich mensch-hch vollzogen, lebens-deutend und daher auch lebensbedeutsam sein -muß sich daher mit dem Menschen selbst ändern, muß wachsen und sich vertiefen, neue Gestalten und Ausdrucksweisen finden. Anders gesagt: Glaube muß und kann lebenslang gelernt werden.

GLAUBE ERFORDERT ZEUGNISSE

„Die Realisierung der Gottesbeziehung durch uns Menschen vollzieht sich in Lernstufen des Glaubens: in der Erfassung, in der Folgerung und in der Zustimmung - unverzichtbar eingebettet in den Prozeß gemein-schaftsbezogener Zeugenschaft." So formuliert Albert Biesinger (Die Gottesbeziehung - ein lebenslanger Lernprozeß: Theologische Quartalschrift 173, 1993, S. 39) die Herausforderung eines lebenslangen Glaubenlernens.

Zu dieser biographischen Herausforderung kommt, daß der rasche gesellschaftliche und kulturelle Wandel, aber auch der Wandel in der Kirche selbst mit der religiösen Interpretation der Kinder- und Jugendzeit allein nicht mehr zu bewältigen ist.

So stellt sich die Herausforderung einer theologischen Erwachsenenbildung - neben Familie, Kinder- und

Jugendarbeit, Religionsunterricht -heute in besonders dringender Weise.

Welche Momente und Elemente sind in dem Prozeß eines lebenslangen Glaubenlernens nun wesenthch? Aus meiner Erfahrung dazu einige fragmentarische Bemerkungen (wobei die für das Glaubenlernen wichtigen Dimensionen des Gebets, der ^ottesdienstlichen Feier und der Sa-cramente ausgeklammert bleiben): ■ Leben und Glauben erzählen: Die Sprache des Glaubens ist in der Bibel oft narrativ, „erzählend". Wenn es darum geht, in den Erfahrungen meines Alltags tatsächlich „Gott" (den Gott, der „keinem von uns fern ist" - vergleiche Apg 17,27) zu erfahren, die Höhen und Tiefen, aber auch die Banalität meines Lebens mit dem großen Zuspruch der Bibel in Verbindung zu bringen, dann erschließt sich dies am besten im Erzählen und im Zuhören. „Der Ort, an dem Jesus das Evangelium weitergegeben hat, war der Tisch und nicht der Schreibtisch. Am Tisch haben viele Platz, am Schreibtisch nur einer. Am Tisch redet man miteinander, am Schreibtisch grübelt man vor sich hin." (Rolf Zerfaß, Gründkurs Predigt. Textpredigt, Düsseldorf 1992, S. 47).

■ vernunftgemäßes Begründen und sorgfältiges Argumentieren: Das bloße unbedachte Wiederholen der großen Worte und Formeln des Glaubens genügt nicht (mehr). Menschen möchten nicht „glauben müssen", sondern „glauben können". Sie möchten verstehen, einsehen, begreifen - und ein „vernunftloser" oder gar „wider-vernünftiger" Glaube wäre ja auch weder Gottes noch des Menschen würdig. Das Aufzeigen der Vernunftgemäßheit des Glaubens ist eine wesentliche Aufgabe der Theologie generell und der theologischen Erwachsenenbildung im besonderen.

Konkret geht es auch darum, in einen kritischen Dialog mit den Wissenschaften, der Kultur, den gesellschaftlichen Strömungen einzutreten. Diese Dialogfähigkeit muß herausgefordert und eingeübt werden. Mir persönlich scheint es, als ob heute wieder stärker als früher bei manchen die Neigung besteht, sich heber in geistige Nischen zurückzuziehen. Ein Beispiel: Dem Referenten für Fundamentaltheologie hat eine Teilnehmerin geantwortet: „Mit Atheisten rede ich nicht mehr. Ich habe in meinem Leben schon genug vergeben."

■ die Mitte des Glaubens darstellen. In der Zersplitterung von Themen und Fragestellungen, in der medialen Diskussion, in der Randthemen oft zu „ Zentralthemen" hochgeputscht werden, scheint es besonders wichtig, die innere Struktur und die innere Synthese des Glaubens darzustellen. Besonders die Gottesfrage hat hier entscheidende Bedeutung.

■ vertrauenswürdiges Bezeugen: Schon in den Anfängen hat Glaubensvermittlung die Struktur des Zeugnisses, und dies scheint mir heute wichtiger denn je. In unseren Kursen ist das wohl einer der wichtigsten Dienste, die Referenten und Referentinnen leisten können, wie ich immer wieder höre: daß Teilnehmerinnen und Teilnehmer Menschen kennenlernen, deren intellektuelle Redlichkeit sie schätzen und anerkennen; die sie für glaubwürdig halten, weil sie ihnen zutrauen, daß sie in Offenheit für die Fragen der Zeit und mit Kritikfähigkeit, zugleich aber in innerer Überzeugung und einem „sentire cum ecclesia" leben, denken und lehren.

„Glaube" kann man nicht weitergeben wie einen Gegenstand; Glauben lernen ist mehr als autoritatives oder kognitives „Belehrtwerden". Glauben lernen geschieht in der Tiefe der Person. Auf diesem Weg kann und muß die Erwachsenenbildung Wegbegleitung anbieten.

Die Autorin isf

Leiterin der Wiener Theotogischen Kurse

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