Das Finanzkapital hat die besseren Karten

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die furche: Wie beurteilen Sie als Arbeitnehmervertreter die bisherige Entwicklung der Globalisierung?

Herbert Tumpel: Internationaler Austausch ist kein neues Phänomen. Was jedoch mit einem unheimlichen Tempo zugenommen hat, ist die Globalisierung auf den Finanzmärkten. Es ergibt sich eine Entkoppelung zwischen Güter- und Finanzmärkten. Die Finanzmärkte agieren weitgehend unabhängig von der Realwirtschaft. Das ist eine neue Dimension, die durch neue Kommunikationstechnologien mit verursacht worden ist, aber auch durch eine Auffassung, die freie Märkte als absolute Gegebenheit hinstellt. Der unbehinderte Handel wird zur obersten Maxime. Nun sind Finanzmärkte eigenen Spielregeln unterworfen. Kommt es dort zu Krisen, schlägt das sehr oft auf die realen Märkte durch ...

die furche: Befürchten Sie also eine wachsende Destabilisierung?

Tumpel: Dieses Durchschlagen der Krisen ist Grund zur Sorge. Man vergisst so schnell die Folgen der Krise in Südostasien, die wir vor einigen Jahren erlebten. Sie wirkt sich heute noch aus. In Indonesien etwa haben wir enorme soziale Spannungen, bürgerkriegsähnliche Zustände. Fabriken stehen still. Hier sind ungeheure Werte vernichtet worden.

die furche: So etwas können Sie sich auch für Europa vorstellen?

Tumpel: Im Prinzip ist jedes System dafür anfällig. Man denke nur an die so hochgelobten neuen Technologien. Sie wurden auf der Börse hochgejagt. Und jetzt hat der ungeheure Rückschlag konkret zur Folge, dass Pensionskassen Schwierigkeiten haben, ihre Versprechen einzulösen. Und dann zum Thema Ungleichheit: Die Globalisierungsgewinne sind sehr ungleich verteilt. Spielregeln, die zumindest in den Industriestaaten lange Zeit gegolten haben - nämlich dass alle gesellschaftliche Gruppen am Fortschritt teilhaben sollen -, gelten nicht mehr. In den USA sind über ein Jahrzehnt hinweg Lohnverluste für einen großen Teil der Bevölkerung bis weit in die Mittelschicht hinein Realität geworden. Die Besitzer großer Vermögen hingegen waren sehr begünstigt. Wir haben also eine neue Machtkonstellation, aber keine neuen Spielregeln, da gegensteuern.

die furche: Welche Neuerung schwebt Ihnen da vor?

Tumpel: Eine wesentliche Spielregel wäre, dass Gewerkschaftsrechte wirklich überall garantiert sind, nicht nur auf dem Papier.

die furche: Warum gelingt es den Gewerkschaften nicht, ihre starke Position - die sie ja in den Industrieländern erworben hatten - aufrechtzuerhalten?

Tumpel: Weil das Finanzkapital heute in einem ungeheuren Ausmaß die Möglichkeit hat, sich anderswo zu etablieren.

die furche: Tatsächlich aber wandern Unternehmen, wie Untersuchungen zeigen, gar nicht in so großem Stil ab.

Tumpel: Die Drohung steht aber dauernd und jedes Mal im Raum. Das wird dann neutral dargestellt: Wenn die Kosten zu hoch werden, gäbe es ja die Möglichkeit die Produktion anderswo aufzunehmen. Das wird zwar nicht immer in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Aber es steht im Hintergrund vieler Verhandlungen.

die furche: Sie nehmen diese Drohungen ernst?

Tumpel: Ja. Man erlebt ja, dass Betriebsteile oder Produktionsbereiche verlagert werden. Wir haben daher auch in den Industriestaaten seit einem Jahrzehnt eine Arbeitslosigkeit, die als Phänomen beharrlich vorhanden ist. In den sechziger und siebziger Jahren wurde der Arbeitsmarkt viel besser ausgeschöpft.

die furche: Dafür ist die Gesamtzahl der Beschäftigten stark gestiegen ...

Tumpel: Stimmt. Aber wer aus dem Arbeitsmarkt herausfällt, findet nur schwer wieder zurück - in Österreich Gott sei Dank abgemildert, weil wir als Arbeitnehmerorganisationen da stark gegengesteuert haben. Es gibt Jugendarbeitslosigkeit in unvorstellbarem Ausmaß in Großbritannien, in manchen Bezirken Frankreichs. Andererseits werden ältere Arbeitnehmer brutal hinausgeschmissen, wenn Kostensenkungsprogramme durchgezogen werden. Auch sie haben fast keine Chance mehr, Arbeit zu finden.

die furche: Und schuld an all dem soll die Mobilität des Kapitals sein?

Tumpel: Ja und der Druck auf die Renditen. Immer wieder wird darauf verwiesen: Die Gewinne sind zu gering. Anderswo gäbe es höhere Gewinne. Verkauft wird das unter dem Konzept von "Shareholder Value". Der Besitzer von Aktien habe Anspruch auf höchstmögliche Erträge. Heute bekennt sich kaum ein Unternehmen in Deutschland mehr zum Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" eines Ludwig Erhard. Da hat ein geistiger Paradigmenwechsel stattgefunden. Heute wird die Arbeitnehmerschaft mit dem Hinweis "zu hohe Kosten", "zu hoher Wettbewerbsdruck" immer mehr unter Druck gesetzt.

die furche: Wie sollten die Arbeitnehmer-Vertretungen da reagieren?

Tumpel: Europa stellt ein Drittel des Wirtschaftspotentials in der Welt dar. Es sollte gelingen, es nicht so zum Spielball werden zu lassen, wie das bei einem einzelnen Staat möglich ist. Österreich könnte keinen eigenständigen Kurs mehr steuern. Europa schon. Es geht nicht nur um das deklaratorische Bekenntnis zu den Menschenrechten - was sehr wichtig ist -, sondern etwa um die konkrete Ausformung: Gewerkschaftsrechte. Darüber hinaus geht es um die Umsetzung von Umweltzielen. Hier brauchen wir neue Spielregeln, ebenso wie im Bereich der Beschäftigung. Außerdem sollten soziale Mindeststandards verbindlich gemacht werden. Heute aber gilt als Wertmaßstab: Wie hoch ist die Kapitalverzinsung?

die furche: Diese Entwicklung hat aber in einer Zeit stattgefunden, in der überwiegend "linke" Regierungen in Europa das Sagen hatten ...

Tumpel: Es gibt Neoliberale in allen politischen Parteien, zu meinem Bedauern auch in der Sozialdemokratie. Tony Blair ist für mich ein lupenreiner Vertreter eines neoliberalistischen Konzepts. In der CDU/CSU gibt es Personen, die uns in manchen Ansätzen näher stehen als manche deutschen Sozialdemokraten.

die furche: Arbeiten die Gewerkschaften ausreichend international zusammen?

Tumpel: Die Bemühungen sind da im Rahmen der Europäischen Gewerkschaftsbewegung aber auch weltweit. Nur sind die Gewerkschaften gemessen an den neuen Bedingungen in einer schwächeren Position.

die furche: Eine Europäische Gewerkschaft müsste doch Einfluss haben...

Tumpel: Die Gewerkschaft ist aber nur ein Teil der Gesellschaft. So stellt sich die Frage: Mit welchen Mitteln ist sie ausgestattet? Durch die neuen Spielregeln sind die Besitzer riesiger Finanzvermögen in einer ungleich besseren Situation.

die furche: Vor 30 Jahren waren die Gewerkschaften selbstbewusst. Haben sie ihr Selbstbewusstsein verloren?

Tumpel: Das glaube ich nicht. Das Wissen, dass für ein besseres Leben eine qualifizierte Arbeitsleistung notwendig bleibt, gibt Selbstbewusstsein. In der Realwirtschaft ist die Arbeitsleistung ein wesentlicher Part. Wir alle brauchen Kleidung, Nahrung, ein Dach über dem Kopf ...

die furche: Und die Wirtschaft braucht Absatzmärkte ...

Tumpel: Klar. Dazu eine interessante Beobachtung: Gestern haben wir beim Bundeskanzler die Konjunktursituation besprochen. Die Wirtschaftsforscher erklärten, alles hänge von der Nachfrage-Entwicklung in den USA ab. Das mag stimmen. Aber auch dort ergibt sich die Nachfrage aus den Löhnen. Sie beeinflussen das Konsumverhalten. Als es jedoch um die bevorstehende Lohnrunde in Österreich ging, hieß es: Mäßigung ist angesagt. Auf der einen Seite verschiebt man die Hoffnung auf Anspringen der Konjunktur irgendwohin, auf der anderen Seite bremst man aus Kostengründen die Kaufkraft im eigenen Land.

die furche: Wie sehen Sie die Zukunft?

Tumpel: Nach der Phase des ungezügelten Konsumierens, des möglichst billigen Einkaufens scheint es zu einem Bewusstseinswandel zu kommen. Beispiel: die Krisen auf den Agrarmärkten. Da ist es ja auch kein Zufall, dass gerade im europäischen Staat mit dem größten Maß an Liberalismus, Großbritannien, BSE aufgetreten ist. Oder: In allen Staaten gibt es eine große Skepsis gegenüber genmanipulierten Lebensmitteln. Da gibt es ein Umdenken: Nicht mehr das Billigste steht im Vordergrund. Bei jüngeren Menschen merke ich folgendes: Früher herrschte eindeutig eine Markenorientierung vor. Jetzt kommt Skepsis auf. Bestimmte Sportschuhe um 1.300 Schilling mit klingendem Namen werden nicht mehr so nachgefragt, weil man jetzt weiß, dass daran Kinder gearbeitet haben, die nur wenige Schillinge Lohn dabei verdienen. Da entwickelt sich ein Sensorium für das Auseinanderfallen von Welten.

die furche: Nützen die Gewerkschaften diese Chance ausreichend?

Tumpel: Die Gewerkschaften intensivieren ihre Zusammenarbeit. Durch koordiniertes Vorgehen, durch das Vorhandensein von Europa-Betriebsräten hat sich in vielen Fällen gezeigt, dass Erpressungsversuche, einen Standort gegen einen anderen auszuspielen, nicht im selben Maß wie früher funktionieren. Die Gewerkschaftsbewegung ist aber nur ein Teil der Gesellschaft und ist auf politische Unterstützung mit angewiesen. Das politische System muss bestimmte Rahmenbedingungen mitdefinieren.

die furche: Braucht nicht auch die Gewerkschaftsbewegung selbst neue Spielregeln? Weniger Distanz zwischen Spitze und Basis?

Tumpel: Wenn ich mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diskutiere, merke ich, dass sehr wohl unterschieden wird zwischen Interessenvertretung und Vorkommnissen, bei denen ja die Konsequenzen gezogen worden sind.

die furche: Meinen Sie wirklich, dass sich die Arbeitnehmer nach wie vor gut vertreten fühlen?

Tumpel: Auch Umfragen zeigen diese Akzeptanz. Das Wissen um die Notwendigkeit einer Gewerkschaftsbewegung ist fest verankert.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

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