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Der letzte Feldmarschall

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Nur noch wenige — etwa ein Dutzend — alt-österreichische Offiziere weilen unter uns, die noch von ihrem Obersten Kriegsherrn zum k. u. k. General ernannt worden sind. Zu ihnen gehörte auch Feldmarschall Erzherzog Eugen, (Jessen am 30. Dezember 1954 in Meran nach längerem Leiden im 92. Lebensjahr erfolgtes Hinscheiden alle guten Oesterreicher mit aufrichtiger Trauer erfüllt. Zu seinem 90. Geburtstag am 21. Mai 1953 brachte die „Oesterreichische Furche“ eine eingehende Würdigung, und die Presseschau jener Tage lieferte den Beweis, wie weitgehender Verehrung und wie hohen Ansehens sich der Erzherzog in breitesten Kreisen erfreute.

Der 21. Mai ist der Tag der Schlacht bei Aspern, und daß Erzherzog Eugen gerade an diesem Tag im mährischen Groß-Seelowitz das Licht der Welt erblickte, war gleichsam eine vielsagende Vorbedeutung zu gleicher soldatischer Bewährung, wie sie dem Sieger von Aspern, dem Erzherzog Carl beschieden war. Neben Carls Sohn, dem Erzherzog A1-brecht, mit dessen Namen der Tag von Custoza für immer verbunden bleibt, haben sich auch die beiden Enkel (Söhne Karl Ferdinands), Erzherzog Friedrich und Eugen, unter die Feldherrn eingereiht, die dauernd der Geschichte angehören werden. Während sich Erzherzog Friedrich als Armeeoberkommandant im ersten Weltkrieg in glücklichstem Zusammenwirken mit seinem Generalstabschef Conrad anerkannte Verdienste um die Gesamtkriegführung erwarb, stand sein jüngerer Bruder Eugen als Heerführer an den Fronten. Die Habsburger betrachteten es stets als ihre Pflicht, gerade dann ein Kommando persönlich zu übernehmen, sobald die allgemeine Lage eine bedrohliche war. Erzherzog Carl trat 1805 und 1809 an die Spitze des Heeres, als es kaum Erfolgsmöglichkeiten gab, Kaiser Franz Joseph ergriff 18 59 den Oberbefehl in einer durch den Verlust der Schlacht von Magenta äußerst erschwerten Situation, Erzherzog A1-brecht löste B e n e d e k im Armeekommando ab, nachdem bei Königgrätz alle Hoffnung auf einen Sieg geschwunden war, und so blieb es auch im Weltkrieg, als Erzherzog Friedrich 1914 in wenig aussichtsreicher Zeit zur obersten Führung berufen wurde und ihm 1916 Kaiser Karl mitten in einem Ringen nachfolgte, das man schon damals nur noch durch einen baldigen Friedensschluß zu einem noch annehmbaren Ende führen zu können glaubte. Erzherzog Eugen wurde wieder am 27. Dezember 1914 zum Kommandanten der Balkanstreitkräfte bestellt, als die österreichisch-ungarischen Truppen nach einem verlustreichen Feldzug in Serbien hinter die Reichsgrenzen zurückgehen mußten und die Stimmung allenthalben tief gesunken war. Der Erzherzog hatte eine glänzende Friedenslaufbahn hinter sich, die ihn nach Dienstleistungen bei allen Waffengattungen und nach Absolvierung der Kriegsschule in den Generalstab und zu hohen Verwendungen brachte. 1896 bis 1900 führte er die Wiener 25. Infanterictruppendivision, dann stand er — hochverdient um die Organisation der Gebirgstruppen — als General der Kavallerie an der Spitze des 14. Korps in Innsbruck, wo er auch noch als Armeeinspektor bis zum 8. Juli 1912 verblieb. Seine angegriffene Gesundheit zwang ihn in diesem Jahr, sich beurlauben zu lassen, und bei Ausbruch des Krieges 1914 wurde dem kaiserlichen Prinzen zunächst bloß der Wirkungsbereich des Generalinspektors der freiwilligen Kriegsfürsorge anvertraut — bis ihn höhere Interessen auf verantwortungsvollsten Posten beriefen.

Als Kommandant der Balkanstreitkräfte vollzog Erzherzog Eugen die Reorganisation der durch den Feldzug in Serbien stark mitgenommenen Truppen in so wirksamer Weise, daß er im Jänner-Februar 1915 nicht weniger als sieben Divisionen an den nördlichen Kriegsschauplatz abgeben konnte, wo sie zur Behauptung der Karpathen ausschlaggebend beitrugen. Gleichzeitig wurde der Schutz gegen Serbien-Montenegro derart zweckmäßig aufgebaut, daß der Gegner nie mehr die. österreichisch-ungarischen Grenzen überschritt. Doch auch die Vorbereitungen für die Offensive gegen Serbien im Herbst 1915 gehen noch auf den Erzherzog zurück, der jene Grundlagen für die entscheidenden Stromübergänge vorbereitete, die später den Verbündeten erfolgreiche Operationen ermöglichten. Der im Mai 1915 von Italien erklärte Krieg forderte in bangsten Stunden ebenso rasche Wie hinreichende Abwehrmaßnahmen, und wieder war es der zum Generalobersten beförderte Erzherzog, der diese auszugestalten hatte. Als Kommandant der Südwestfront mit dem Sitz in Marburg schlug er gegen vielfache Uebermacht bis zum März 1916 fünf siegreiche Schlachten am Isonzo und behauptete in zähen Verteidigungskämpfen auch die Tiroler und Kärntner Front. Im Frühjahr 1916 durchbrach die „Heeresgruppe Erzherzog Eugen“ mit der 3. und 11. Armee den mächtigen Befestigungsabschnitt der Italiener bei Arsiero-Asiago in einer Tiefe von 30 Kilometer und vermochte eine Beute von 318 Geschützen und 47.000 Gefangenen zu melden. Dem mit 16. März 1917 wiedererrichteten Kommando der Südwestfront gebührt der Ruhm, nicht bloß die Anstürme der 10. und 11. Isonzoschlacht abgeschlagen, sondern auch die Abwehr im Südwesten durch die verbündete Offensive bei Flitsch-Karfreit-Tolmein am 24. Oktober 1917 gekrönt zu haben. 300.000 Gefangene und eine Beute von 3152 Geschützen und 4732 Maschinengewehren deuten die Größe des errungenen Erfolges an, nach welchem von einer weiteren Gefährdung österreichischen Bodens nicht mehr gesprochen werden konnte. Alle gewiß nicht leichten Opfer der Kämpfer von der Stein- und Felswüste des Karstes bis hinauf in die Gletscherstellungen Tirols schienen jetzt nicht umsonst gebracht worden zu sein. Mit Rücksicht auf diese wesentlich gebesserte Lage und die sich im Osten anbahnende Entspannung der allgemeinen Straten gischen Lage wurde das Kommando der Südwestfront mit 11. Jänner 1918 aufgelassen und der Erzherzog — Feldmarschall seit November 1916 — zur Disposition gestellt. Eine beabsichtigt gewesene neuerliche Verwendung im Osten scheiterte an diesbezüglichen Meinungsdifferenzen unter den Verbündeten. Das österreichische Generalstabswerk über den Weltkrieg 1914 bis 1918 bringt in seinem siebenten Band eine in wenige Zeilen zusammengedrängte Gesamtwürdigung, die besagt: „... schied der Erzherzog aus dem aktiven Dienst des Heeres, nachdem er vom Ende 1914 an zuerst die Balkanstreitkräfte befehligt, dann zweieinhalb Jahre lang sehr erfolgreich den Abwehrkampf gegen Italien geleitet und noch im Herbst 1917 durch seine zielbewußte Führung wesentlich zur Erringung des großen Sieges beigetragen hatte.“ Die Bedeutung der Feldherrntätigkeit des erzherzoglichen Oberbefehlshabers lag nicht bloß in den augenblicklichen Erfolgen an wichtigen Kampffronten des Weltkrieges, sondern auch in ihren Nachwirkungen für Oesterreich, denn dem Kommando der Südwestfront war das Verdienst zuzuschreiben, daß — von schmalen Grenzgebieten abgesehen — österreichischer Boden vor Verwüstung und Eroberung bewahrt blieb.

IEs ist nicht soJ-_daß man in Oesterreich nur Angehörigef~der~Dynastie hat sein müssen, um die höchsten Aemter, Ehren und Würden leicht zu erlangen. Auch die Erzherzoge mußten sich erproben, um in die erste Linie der Soldaten aufzurücken. Seit Bestehen des Militär-Maria-Theresien-Ordens (1757) konnten bloß sieben kaiserliche Prinzen dessen höchsten Grad, das Großkreuz, erringen, drei weitere erhielten niedere Grade. Im ersten Weltkrieg kam es zur Verleihung von vier Großkreuzen, und zwar an den Erzherzog-Thronfolger, an den Armeekommandanten Erzherzog Friedrich, an dessen Generalstabschef Feldmarschall Graf Conrad und an den nie besiegten Erzherzog Eugen. Dessen Brust zierten noch weitere höchste Auszeichnungen, wie das Gioßkreuz des Sankr-Stefan-Ordens, das Militärverdienstkreuz 1. und 3. Klasse, beide in Brillanten, und die Große Militärverdienstmedaille. Der Erzherzog war auch zweifacher Regimentsinhaber und bekleidete dieselbe Würde beim königlich-preußischen Kürassierregiment Graf Wrangel Nr. 3. In Oesterreich betraf die Inhaberwürde das Wiener Hausregiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 und das Infanterieregiment Nr. 41, das sich aus der Bukowina ergänzte. Diese beiden uralten Truppenkörper zählten zu den mit Privilegien ausgestatteten Regimentern, sie durften nämlich besondere historische Fahnen führen zur Erinnerung an ruhmreiche Waffentaten, welche sich an dieselben knüpften. Die Inhaberschaft des 4. Infanterieregimentes stand in Verbindung mit der Würde des Hoch- und Deutschmeisters, die seit 1805 bei den Habsburgern erblich war. Erzherzog Eugen wurde 1886 als Profeßritter in den Deutschen Ritterorden aufgenommen und als Nachfolger des Erzherzogs Wilhelm im Jahre 1894 Hoch- und Deutschmeister. Im Zusammenhang mit verschiedenen zwischenstaatlichen Fragen der Nachkriegszeit legte er diese Würde am 30. April 1923 zurück. Vor 1914 haben elf Mitglieder des Kaiserhauses die Feldmarschallwürde erreicht, unter ihnen auch Erzherzog Leopold Wilhelm, der ebenfalls zugleich Großmeister des Deutschen Ritterordens war und seine geistlichen Würden mit den militärischen wohl zu vereinigen verstanden hatte. Erzherzog Carl war bloß von 1801 bis 1804 Großmeister

Der verstorbene Feldmarschall war ein treuer Freund der Wissenschaften und der Künste, er widmete sich durch zwei Jahre dem Studium der Kunstgeschichte und der österreichischen Geschichte, er bevorzugte die klassische Musik, förderte eifrig führende Musikgesellschaften und bewies bei Errichtung des Schlosses Werfen auserlesenen Kunstgeschmack. Als dieses Schloß 1928 ein Raub der Flammen wurde, scheute der kunstsinnige Prinz auch die größten persönlichen Opfer nicht, um einen Wiederaufbau zu ermöglichen. 1916 wurde er zum Ehrenmitglied und Kurator der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gewählt, mehrere Hochschulen in Wien, Innsbruck und Agram zeichneten ihn durch Ehrendoktorate aus.

Die ganz außergewöhnliche Beliebtheit des Erzherzogs Eugen in allen Schichten der Bevölkerung ging nicht nur auf die dankbare Anerkennung seiner Verdienste um die Verteidigung der engeren Heimat zurück, sondern in beträchtlichem Maße auch auf die Schätzung seiner hervorstechenden menschlichen Eigenschaften. Nach Kaiser Franz Joseph I. war der Erzherzog der repräsentativste Vertreter des Kaiserhauses, der neben unnachahmbarer würdevoller Haltung eine ganz ungekünstelte Leutseligkeit bekundete, worin das Geheimnis seiner Wirkung auf Untergebene und auf die Bevölkerung lag. Absolute Autorität, strengste Korrektheit und ruhige Selbstbeherrschung verbreiteten eine Atmosphäre des Vertrauens und der Verehrung, wie sie sich auch in den bewegtesten Zeiten des Krieges im engeren Bereiche des Kommandos der Südwestfront sehr segensreich fühlbar machte. Zahlreiche Akte spontaner Wohltätigkeit erhöhten die Popularität. So ist es auch erklärlich, daß es allenthalben mit Genugtuung begrüßt wurde, als der vielbewährte österreichische Feldherr nach längerem Aufenthalt in Basel, wo ihn die Schweizer nur „Unser Erzherzog“ nannten, in seine Heimat zurückkehren konnte, die ihm nunmehr auch seine letzte Ruhestätte geben wird. Mit dem Tod des Feldmarschalls endet ein Stück bester österreichischer Geschichte aus Tagen erschütternden Kriegsgeschehens wie auch aus friedlichen Zeiten, immer untrennbar von der Erinnerung an einen bedeutenden Soldaten, einen vorbildlichen kaiserlichen Prinzen und einen gütigen, edeldenkenden Menschen, der sich mit seinem Befehlsschreiben vom 1. April 1916 selbst ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt hat: „Ich werde jene höheren Führer besonders ehren, die infolge guter geschickter Führung große Erfolge mit geringen Verlusten erreichen.“

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