Unbeliebter Wüterich und Unheilbringer

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Ludwig Winders Biographie von Erzherzog Franz Ferdinand, dem Mordopfer von Sarajewo, erschien bereits 1937 in einem kleinen Schweizer Verlag. Anlässlich des Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde "Der Thronfolger" neu aufgelegt.

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Ludwig Winders Biographie von Erzherzog Franz Ferdinand, dem Mordopfer von Sarajewo, erschien bereits 1937 in einem kleinen Schweizer Verlag. Anlässlich des Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde "Der Thronfolger" neu aufgelegt.

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Sage keiner, Zentenarien hätten nicht auch etwas Gutes. Gäbe es nicht das Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren, dann wäre wohl Ludwig Winders ebenso historisch fundierte wie glänzend geschriebene Franz-Ferdinand-Biographie nicht wiederentdeckt und endlich gebührend gewürdigt worden.

Derart sprachmächtig und bildkräftig, zugleich aber faktentreu bewegen sich gemeinhin nur Engländer in diesem Genre. Aber es war ein Prager jüdischer Journalist und Schriftsteller, der sich als kenntnisreicher Lebensbeschreiber auf die Spuren des ebenso schrecklichen wie unglücklichen Erzherzogs Franz Ferdinand, des Attentatsopfers von Sarajewo, machte. Sein Buch hatte 1937 nur in der Schweiz, im kleinen Humanitas Verlag des Ehepaars Menzel in Zürich, erscheinen können: Hitlers Deutschland war für Bücher jüdischer Autoren versperrt, und im austrofaschistischen Ständestaat des Legitimisten Kurt Schuschnigg verbot ein "Gesetz zum Schutz des Ansehens Österreichs" von 1935 alle habsburgkritischen Schriften.

Verhängnisvolle Unglücksgestalt

Tatsächlich erscheint in Ludwig Winders Darstellung der unbeherrschte, bei Hof wie beim Volk gleichermaßen unbeliebte Thronprätendent als verhängnisvolle Unglücksgestalt inmitten eines großen Geschichtsgemäldes, das unverkennbar jene Brüche und Risse aufweist, die dann den Zerfall der Donaumonarchie einleiteten.

Mit der zupackenden Kraft des gewiegten Erzählers entwirft der Autor sein historisches Panorama. Er beginnt vieldeutig mit "Re Bomba", dem Großvater Franz Ferdinands, der beim Volksaufstand 1848 als bedrängter Herrscher des "Königreichs beider Sizilien" hemmungslos in die Massen schießen ließ, bis nicht weniger als 22.000 Tote auf der Straße lagen. Die Vergeltung folgte später auf dem Fuß: "Re Bomba", der Bourbone Ferdinand II., wurde Opfer eines Attentats. Seine Tochter Maria Annunziata indes wurde nach Österreich verheiratet. Als Ehefrau Karl Ludwigs, des Bruders von Kaiser Franz Joseph, gebar sie 1863 in Graz Franz Ferdinand und starb früh.

Mit zehn Jahren erhielt der schmächtige Erstgeborene eine junge Stiefmutter, die ihm und seinen Geschwistern lebenslang aufopfernd zur Seite stand. Als achtzehnjähriger fiel ihm die reiche Erbschaft des Hauses Este zu, aber der aufbrausend Verklemmte fand sich nur schwer in der Rolle eines gut alimentierten, aber unbedeutenden Erzherzogs zurecht.

Das ändert sich dramatisch, als sich 1889 der Kaisersohn Rudolf aus unglücklicher Liebe erschießt und der 26-jährige Franz Ferdinand mit einemmal zum Thronfolger aufrückt. Der Kaiser freilich hält sich mit der Ernennung lange zurück, ihm ist dieser unwirsche, grobschlächtig-menschenfeindliche Neffe nicht geheuer.

Immer in der zweiten Reihe

Für Franz Ferdinand beginnt nun angesichts der Zählebigkeit des Imperators ein 25 Jahre dauerndes Martyrium im Wartesaal der Macht. Der krankhaft Ehrgeizige empfindet das als eine Demütigung, die er nur mit brutalen Ausfällen von Herrschsucht, Jähzorn und manischen Jagdexzessen erträgt. Schon als junger Offizier hatte er seine Unsicherheit und Menschenscheu auf blutrünstigen Pirschgängen zu kompensieren gesucht.

Sein Biograph charakterisiert dieses Verhalten tiefenpsychologisch treffend: "Er hasste die Zufriedenheit, das Glück der andern bis zur Mordlust. Auf der Treibjagd tobte er seine Mordlust aus. Der Regimentskommandant erschrak, als er den jungen Erzherzog auf der Jagd beobachtete. Hinter Franz Ferdinand kniete ein Büchsenspanner mit zwei doppelläufigen Mannlichergewehren. Aus dem Wald kam ein Rudel von fünfzehn Hirschen in toller Flucht über eine Wiese. Nach kaum einer Minute hatte Franz Ferdinand alle fünfzehn routiert. Seine Augen glühten. Nie hatte der Regimentskommandant so glühende Augen gesehen. 'Wenn's nur recht viel sind', rief glühend Franz Ferdinand. Viele Hirsche. Viel Wild, das er schießen durfte: Es war der Ersatz für alle unerfüllten Wünsche." Lebenslang erlegte dieser nimmersatte Nimrod bei seiner massenhaften Sucht nach Blutopfern nicht weniger als 272.000 Tiere.

Kriegslüstern war er auch. Nach und nach versammelte er in seiner Wiener Residenz im Belvedere eine Gruppe von Politikern und Militärs, die in Opposition zur Friedenspolitik des Kaisers in Schönbrunn standen. Besonders die Privilegien Ungarns waren Franz Ferdinand ein Dorn im Auge. Er strebte eine Entmachtung der Magyaren und eine Umgestaltung der Doppelmonarchie in einen nach Südosteuropa ausgreifenden "Trialismus" an. Gleichzeitig verbündete er sich mit dem Generalstabchef Conrad von Hötzendorf, der dem Kaiser fortwährend vergeblich Präventivkriege gegen Italien und Serbien vorschlug.

Zur Isolation des Thronfolgers in Wientrug - einsympathischerZug - sein Festhalten an der einzigen Liebe seines Lebens, der böhmischen Gräfin Sophie von Chotek, bei. Weil sie als nicht standesgemäß galt, musste Franz Ferdinand, um die Heiratserlaubnis des Kaisers zu erwirken, eine Thronverzichtserklärung für seine Nachkommen und den Ausschluss seiner Ehefrau von allen offiziellen Anlässen akzeptieren. Die unablässigen Hofintrigen und der höhnische Spott des Volkes waren für den Unbeherrschten kaum erträglich.

Willkommenes Blutopfer

Die Zeit floss zäh. Ludwig Winder schildert den Erzherzog als einen Menschen, der immer weniger weiß, wohin mit seiner angestammten Rolle und seinem Leben. "Als absoluter Herrscher die Geschicke eines föderalisierten Habsburgerreichs zu lenken: das war Franz Ferdinands höchstes Ziel. Das Ziel rückte nicht näher, der Weg wurde immer beschwerlicher. An die Stelle der alten Feinde waren neue getreten, die Misserfolge wirkten lange nach und verdunkelten die Zukunft, die Erfolge hinterließen kaum eine Spur. Schrecklich war seine Angst vor dem Alter, das ihm die Spannkraft, die Zuversicht, die Hoffnung auf die Erfüllung seiner Wünsche rauben wollte. Schrecklicher war noch - er fühlte es selten, in erleuchteten Stunden -, dass er nicht mehr deutlich wie in den vergangenen Jahren das Ziel sah. Er ließ sich treiben. Rastlos, mit gierigen Händen Wege und Stützpunkte ertastend, bewegte er sich im Kreise." Letztlich konnte das Attentat von Sarajewo, dem das Thronfolgerpaar am 28. Juni 1914 zum Opfer fiel, durch die Ignoranz des selbstherrlichen Erzherzogs nicht verhindert werden, der alle Warnungen (auch die seiner Frau) in den Wind schlug.

Ein finsteres, aber großartiges Lebensbild ist Ludwig Winder gelungen. Der Autor war Mitglied in Max Brods legendärem "Prager Kreis", zu dem auch Franz Kafka einst gehörte. 1939 gelang es ihm, nach England zu emigrieren, wo er 1946, verlassen und verarmt, starb.

Der Thronfolger

Von Ludwig Winder, Nachwort von Ulrich Weinzierl, Zsolnay 2014. 576 Seiten, gebunden, € 26,80

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