"I'm too sad to tell you"

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Trauer in der zeitgenössischen Kunst.

Tränenbedeckt ist sein Gesicht, der Mund schmerzverzerrt. Mit der Hand versucht der junge Mann, seine Trauer zu verstecken. Und macht sie dadurch noch sichtbarer. Über drei Minuten lang weint Bas Jan Ader in einer schwarzweißen Videoprojektion lautlos vor sich hin. Als Betrachter wissen wir nicht, warum der niederländische, 1975 bei einer Kunstaktion im Atlantik verschollene Künstler weint. Ist es der Verlust eines geliebten Menschen? Oder die Trauer über ein schreckliches historisches Ereignis, das eine ganze Gesellschaft betrifft? Die Trauer des Künstlers ist weder in eine persönliche Erzählung noch in ein kollektiv identifizierbares Szenario eingebunden. Sie "ist" einfach. Der stille Schmerz dieser Videoprojektion, die derzeit im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Trauer im Augarten Atelier zu sehen ist, steht im Kontrast zu einem Bild der frühen Moderne, das derzeit ebenfalls in Wien verweilt: Edvard Munchs "Schrei". Während Künstler des Expressionismus Trauer und Schmerz in die Welt hinausschreien, beschränkt sich der Künstler des späten 20. Jahrhunderts auf eine reduzierte Ausdruckssprache. Jegliches Pathos scheint nach den Gräueltaten des Holocaust unangebracht.

Schrei und stille Trauer

Mit dem Titel der 1970 entstandenen Video-Arbeit "I'm too sad to tell you" weist Bas Jan Ader darauf hin, dass es ihm um eines der ältesten Themen der Kunst geht: Um das Problem der Darstellbarkeit von Trauer und Schmerz. Seit jeher haben Künstler darüber nachgedacht, ob die Erfahrung des Verlustes überhaupt künstlerisch artikuliert werden kann. Und wenn, in welchem Medium? Ist nicht das Bild viel besser als Worte dazu geeignet, Trauer darzustellen, da es das Abwesende vergegenwärtigt? Oder macht es nicht gerade dadurch, indem es etwas abbildet, was nicht mehr ist, die Unzulänglichkeit von Kunst bewusst? Besonders deutlich stellt sich die Frage nach der möglichen Darstellbarkeit beimVersuch, Denkmäler für die kollektive Trauer, aber auch die Schuld einer Gesellschaft in Zusammenhang mit Krieg und Verbrechen zu schaffen. Die Debatten um die Holocaust-Monumente in Wien und Berlin haben dies deutlich vor Augen geführt.

Die künstlerischen Antworten auf das Unvergleichliche von Trauer pendeln im Laufe der Kunstgeschichte zwischen zwei extremen Polen: der übersteigerten Darstellung in Form von heftigen Klagen in Antike und Mittelalter und den Darstellungen des Schweigens - Bilder der inneren Einkehr in Mystik, Romantik und auch Moderne.

Kreativität und Traurigkeit

Bas Jan Ader greift mit "I'm too sad to tell you" auf eine weitere kunstgeschichtliche Tradition zurück: auf die Koppelung von Künstler-Dasein, Kreativität und Traurigkeit. Sie bestimmte von der Renaissance bis zur Romantik das Künstlerbild. Inbegriff dieser Verbindung verkörpert Albrecht Dürers "Melancholie". Dürer zeigt Trauer auf diesem berühmten Kupferstich als Geisteszustand - sein Konterfei fungiert dabei als personifizierte Melancholie. Bilder der Romantik, etwa die eines Caspar David Friedrich, spiegeln anhand einsamer in die Landschaft blickender Menschen ebenfalls die unauflösliche Verknüpfung von Künstlerexistenz und Trauer. Erst im 19. Jahrhundert verliert sich die gesellschaftliche und symbolische Wirkung von Trauer. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts und der Psychoanalyse wurde sie von dem Begriff der Depression verdrängt.

Thematisiert Kunst Trauer, so ist die begriffliche Festlegung oft schwierig. Drückt ein Bild Trauer, Schmerz oder Wut aus? Und überhaupt: Kann Trauer nur in erzählerischen oder gegenständlichen Werken thematisiert werden, oder spiegeln nicht auch bestimmte abstrakte Arbeiten in ihren dunklen Farbkompositionen die Auseinandersetzung eines Künstlers mit diesem Thema?

Heute nur noch Spaßkunst?

Wenn Kritiker der Gegenwartskunst meinen, diese sei eine oberflächliche Spaßkunst, der die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Leben abhanden gekommen ist, dann irren sie gewaltig. Zweifelsohne: Die Sprache ist eine andere geworden, mit der heute versucht wird, Trauer, Verlust und Schmerz in der Kunst zu verarbeiten. Dies bedeutet aber nicht, dass es nicht unzählige interessante künstlerische Positionen gibt, die sich existenziellen Fragen stellen.

1997 hat Marina Abramovic auf der Biennale in Venedig eine Live-Performance veranstaltet, um in seltener Direktheit ihrer Trauer ob des Krieges und der Gewalt in ihrer ehemaligen Heimat Ausdruck zu verleihen. Stunden - nein, tagelang saß die in Belgrad geborene Künstlerin singend auf einem Berg voller blutiger Rinderknochen und putzte sie, während sich die Ausstellungsbesucher peinlich berührt dem Eröffnungsgeschehen hingaben.

Häufig wählen Künstler die Medien Fotografie und Video sowie eine dokumentarische Sichtweise, um dem Phänomen Trauer zu begegnen. Einer der berühmtesten Künstler dieser Darstellungsform ist der 1944 in Paris geborene Christian Boltanski. Seit Jahrzehnten setzt sich Boltanski in Form von Foto-Licht-Installationen mit der Wechselbeziehung zwischen persönlicher Erinnerung und kollektiver Geschichte auseinander. Auch wenn es in seinen Arbeiten nie explizit um Trauer geht - ist das gesamte Werk dieses Künstlers als Trauerarbeit zu verstehen. Jede Installation Boltanskis vermittelt unterschwellig mehr Trauer als jede explizite Ausformulierung. In den Jahren 1993-1994 entstand in Köln "Diese Kinder suchen ihre Eltern". Wie der Titel bereits andeutet, beschäftigte sich die mehrteilige Arbeit mit Kindern, die ihre Eltern im Zweiten Weltkrieg verloren haben. Nicht zufällig fand die Ausstellung an drei ganz unterschiedlichen Orten - einem kulturellen, einem geistlichen und einem wirtschaftlichen Zentrum - statt. In der Kinderkapelle der Kölner Kirche Klein St. Martin wurden Schwarzweiß-Fotos der Kinder, abfotografiert von Plakaten des Kindersuchdienstes, an die Wand gehängt. Jedes einzelne Kindergesicht beleuchtete Boltanski mit einem kleinen Lämpchen. Der Besucher hatte das Gefühl moderne Ikonen vor sich zu haben. Im Museum Ludwig hingegen installierte der Künstler aus Tausenden alten Kleidern eine Landschaft der Erinnerung - jedes Kleidungsstück symbolisierte einen verschwundenen Körper. Am Kölner Hauptbahnhof bekamen Reisende Fotos der Kinder ausgeteilt mit der Bitte um Informationen über den Verbleib deren Eltern.

Weit weniger symbolisch aufgeladen als der "Klassiker" Boltanski gehen junge Künstler mit dem Thema Trauer um. Ihre künstlerischen Formulierungen bewegen sich haarscharf an der Grenze zur Dokumentation. So präsentierte man heuer auf der Diagonale in Graz das Video "Sarajevo Guided Tours" der 1969 in Salzburg geborenen Künstlerin Isa Rosenberger. Das Video-Projekt geht auf einen Sarajevo-Aufenthalt der Künstlerin im Frühjahr 2001 zurück. Damals bat Rosenberger Stadtbewohner ihr einen für sie bedeutenden Ort Sarajevos zu zeigen: So wurde sie von dem Künstler Faruk Sabanovic auf die berühmt-berüchtigte "Sniper Alley" geführt. Ein ambivalenter Platz, denn hier wurde Faruk Sabanovic angeschossen. Seit damals ist er querschnittgelähmt. Gleichzeitig verbindet er mit dem Ort Positives. Erinnerungen an die Schulzeit und erste Liebeserlebnisse vermischen sich mit den inneren Bildern des Schreckens. In insgesamt neun Interviews hat Isa Rosenberger auf äußerst subtile und subjektive Weise die Trauer der Stadtbewohner ob des vergangenen Krieges, zugleich aber deren ungetrübte Lebensfreude thematisiert. Wobei besonders die Selbstverständlichkeit berührt, mit der die Bewohner Sarajevos den schrecklichen Ereignissen begegnen. Keine andere Form der Darstellung als diese künstlerische kommunikativorientierte Sichtweise hätte ein derartiges Bild vermitteln können.

Erinnerungen aus Sarajevo

Wie vielfältig die Antworten der Gegenwartskunst auf Trauer als festem Bestandteil unseres Lebens sind, davon kann man sich derzeit im Zentrum für zeitgenössische Kunst des Belvedere ein Bild machen. Sieben künstlerische Positionen rund um den Themenkomplex Verlust, Enttäuschung und Trauer hat der Kurator Thomas Trummer ausgewählt und zu einer stimmigen kleinen Schau zusammengestellt. Trummer bevorzugt, wie auch das lesenswerte Katalogbuch veranschaulicht, bewusst reduzierte und subjektive Ausdrucksformen - fern von Pathos und schwerer Symbolik. Beispielhaft für diese stille Form der Trauer steht das eingangs erwähnte Video Bas Jan Aders.

Trauer

Atelier Augarten, Zentrum für zeitgenössische Kunst der Österreichischen Galerie Belvedere, Scherzergasse 1a, 1020 Wien; bis 27. Juli, Di-So 10-18 Uhr, Di, 10. 6. geschlossen.

Information: www.atelier-augarten.at

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