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Die Schleuder des Riesen David

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WIR UND DIE NACHBARN. Gespräche mit arabischen Führern. Von David Ben Gurion. Aus dem Hebräischen übersetzt von Moshe Tavor. Tübingen, Wunderlich- Verlag. 456 Seiten, Leinen. DM 28.50.

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WIR UND DIE NACHBARN. Gespräche mit arabischen Führern. Von David Ben Gurion. Aus dem Hebräischen übersetzt von Moshe Tavor. Tübingen, Wunderlich- Verlag. 456 Seiten, Leinen. DM 28.50.

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An Hand von Tagebuchaufzeichnungen, Verhandlungsprotokollen und Situationsdeutungen zeigt der ehemalige Ministerpräsident des Staates Israel in vorliegendem Buch, daß seine Einschätzung der politischen Situation Palästinas und sein entsprechendes Handeln seit Ende des ersten Weltkrieges immer geradlinig und konsequent waren. Bis zur Gründung des Staates Israel hatte er als prominenter Zionistenführer den Verhandlungsdruck der englischen Mandatsmacht, die unberechenbar aufflackernde arabische Nationalbewegung und das oft schwache, kompromißlerische Gehaben seiner zionistischen Mitstreiter auszuhalten. Seinen Gegnern, Freunden und Partnern gegenüber erwies er sich besonders in zweifacher Hinsicht als unbeirrbarer Aktivist: 1. Seine Verhandlungstaktik zielte dahin, zuerst englisch-jüdische Verträge abzuschließen und erst auf dieser Grundlage mit arabischen Führern zu paktieren. Die weitere Entwicklung in der Zwischenkriegszeit gab ihm in diesem Punkt recht. Damals waren für die Juden keine repräsentativen arabischen Führer erreichbar. Unverbindliche Verhandlungen zwischen extravaganten Zionisten und arabischen Politikern zweiter Garnitur blieben ergebnislos (vgl. S. 167 bis 176 u. ö.). 2. Er ließ unter keinen Umständen mit sich über Einwanderungsbeschränkungen reden. Vielmehr war er zutiefst überzeugt, keine Macht der Welt habe das Recht, auch nur einen Juden von der Einreise nach Israel abzuhalten. Niemand kann daher Ben Gurion auch nur den geringsten Vorwurf machen, er habe es an Eifer zur Rettung der durch die Nazis bedrohten Juden fehlen lassen (vergleiche S. 45, 80, 331 bis 332, 425).

Ben Gurion war jedoch nicht nur ein schlauer Taktiker. Das Buch bietet Einblick in viele seiner staatspolitisch weitsichtigen Anschauungen. In einer Sitzung der zionistischen Exekutive im Jahre 1936 sagte er zum Beispiel: „Ich habe keine Zweifel an unserem vollen Anspruch auf einen Juden Staat in Palästina. Ich glaube zutiefst, daß die Sache möglich ist, doch ich glaube nicht an die Möglichkeit, den Arabern jedes Recht streitig zu machen. Dafür gibt es keine moralische Legitimation Ich bin für Parität, aber für eine Parität, die sowohl uns als auch den Arabern etwas Reales gibt“ (S. 117). Von ähnlicher Brillanz zeugen etwa die Seiten 432 bis 436 sowie die Schlußabschnitte des Buches (S. 447 bis 450), in denen Grunderkenntnisse Ben Gurions für und über die heutige politische Weltsituation niedergelegt sind.

Etwas wollte Ben Gurion mit dieser dokumentarisch aufgebauten Veröffentlichung sicher nicht erreichen: die Bloßlegung seiner eigenen ideologischen und persönlichen Unzulänglichkeiten! Wenn er aber über den Sinn des Zionismus und die Tätigkeit seiner Kollegen im zionistischen Führungäkader spricht, geschieht ausgerechnet dies!

Es klingt oft klischeehaft-naiv, wenn Ben Gurion sein religionspolitisch-zionistisches Wollen begründet und gegen arabische Gegenansprüche verteidigt. Bezeichnend sind etwa folgende Sätze: „Die nicht jüdi

schen Interessen (seil, an Palästina) sind konservativ. Die jüdischen sind revolutionär. Jene sind auf die Erhaltung des Bestehenden gerichtet, diese auf die Schöpfung von Neuem, auf die Änderung von Werten, auf Reform und Aufbau“ (S. 22). „Die arabische Nationalbewegung leistete nichts für die Entwicklung des Landes, und die arabischen Führer denken überhaupt nicht an Aufgaben dieser Art. Der Zionismus ist seinem Wesen nach eine schöpferische Bewegung. Wir schaffen kulturelle Werte auf dem Gebiete der Landwirtschaft und der Industrie in ganz Palästina“ (S. 102). Immerhin kamen am Londoner Verhandlungstisch gelegentlich auch betont religiöse Zionisten zu Wort, so daß der fatale Eindruck verwischt wird, den politischen Zionisten sei es darum gegangen, das tüchtigere jüdische Volk gegen die untüchtigeren Araber auszuspielen (vgl. S. 328 bis 329, 371). Ben Gurion selbst scheint erst nach dem zweiten Weltkrieg von seinem Zio

nismus des stärkeren Willens und des größeren Schöpfertums — der aus der harten Verhandlungssituation der Zwischenkriegszeit erklärbar ist — voll und ganz abgerückt zu sein. 1949 sagte er als Ministerpräsident Israels: wir tragen die

nationale und allmenschliche Vision der Propheten Israels in unseren Herzen, die Vision der Brüderlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens Die Vision wird uns nicht im Stiche lassen. Die Hilfe, die ein Volk dem andern geben kann, besteht auch darin, daß es Vorbild ist und Beispiel für ein neues, besseres, inhaltsreicheres und schöneres Leben“ (S. 433).

Das vorliegende Buch bezeugt Stärke und Schwäche des zionistischen Riesen David Ben Gurion. Es zeigt, wie er sich Arabern, Engländern und jüdischen Kampfgefährten gegenüber durchsetzte. Es läßt auch erahnen, was an seinem Lebenswerk vergänglich ist und was bleiben wird.

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