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JEAN-JACQUES SUSINI / DER TEUFEL KAM PÜNKTLICH

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Als Abderrahmane Fares seine Pariser Gefängniszelle mit einem Arbeitszimmer in Rocher Noire vertauschte, um die provisorische Exekutive Algeriens zu präsidieren, stand sein Entschluß fest: Er wollte der Mann der Versöhnung sein und mit den Algeriem europäischer Herkunft rasch ins Einvernehmen kommen — selbst wenn es nötig wäre, mit dem Teufel selbst zu verhandeln, wie er sich ausdrückte. Dieser erschien in diesem Fall in der jugendlichen Gestalt des OAS-Führers Jean-Jacques Susini.

Tür Susini waren die Vereinbarungen mit dem FLN die Krönung einer kurzen, aber bewegten Karriere, deren Stationen ziemlich genau mit den stürmischen Wendepunkten der neueren algerischen Geschichte zusah menfallen. Für den tiefen Siedepunkt seines politischen Temperaments mag schon das korsische Blut verantwortlich sein, das in seinen Adern rollt. Doch sein in den Ansätzen höchst widersprüchliches Geschichtsbild kann wohl auf die fast ausschließlich männliche Erziehung zurückgeführt werden, die Jean-Jacques im zarteren Alter genoß. Sein Großvater, der unter dem Vichy-Regime der Legion angehört hatte, bemühte sich redlich, den Enkel im strammen Geiste eines patriotischen Militarismus großzuziehen. Vater Susini dagegen, der sich vom Vichy-Regime verfolgt sah, weil er Sympathien für die Armee de Gaulles gezeigt hatte, stand als militanter Gewerkschafter der Sozialistischen Einheitspartei (PSU) nahe und befürwortete dementsprechend eine Lösung des Algerienproblems durch Verhandlungen mit dem FLN.

1951 ist Jean-Jacques Susini mit 16 Jahren bereits Mitglied der gaullistischen „Sammlung des französischen Volkes“ (RPF) in Algier. Er wendet sich jedoch rasch von de Gaulle ab und gehört 1957 als Medizinstudent in Lyon einer paramilitärischen Untergrundorganisation an, deren Waffenlager er verwaltet. Der 13. Mai trifft ihn in St. Etienne, wo er im Rahmen der Operation „Rfsur-rection“ unter General Chassin an einem lokalen Putschversuch beteiligt ist. Er mißtraut jedoch den Absichten General de Gaulles in Algerien und kehrt nach Algier zurück, wo er in den Aktivisten Ortiz und Dr. Lefebre Gleichgesinnte findet. Als Nachfolger von Lagaillarde wird er Präsident des Studentenverbandes, gründete eine nationalistische Studentenbewegung und assistiert Ortiz bei der Schaffung der Nationalen Französischen Front (FNF) — einer direkten Vorläuferin der OAS.

In diesem Zeitabschnitt unterliegt Susini vor allem dem Eirluß “on Ortiz, mit dem er auch in den Barrikadenputsch vom 24. Jänner 1960 verwickelt wird, obwohl er die Manifestation mißbilligt. Im nachfolgenden Prozeß ist er der einzige Angeklagte, der sich nicht über das Gericht lustig macht, sondern die Gelegenheit ergreift, vor der Öffentlichkeit seine politische Philosophie darzulegen. „Es gibt 'n der Gegenwart zwei tragende politische Ideen“, doziert er vor dem ahnungsvoll erschauernden Gericht, „den Nationalismus und den Sozialismus“. Den Urteilsspruch — er wird bei mildernden Umständen zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung verurteilt — wartet er aber ebensowenig wie Ortiz und Lagaillarde ab, sondern flüchtet nach Spanien, wo sich die Hefe der künftigen OAS trifft.

In Madrid wird Susini rasch ein Vertrauensmann von Salan und im Laufe der Ereignisse gar sein „Chefideologe“. Er nimmt teil am Offiziersputsch vom 22. April und wird nach dessen Scheitern von Salan in einer Instruktion vom 2. September 1961 zum verantwortlichen OAS-Führer der Abteilung „Politik und psychologische Aktion“ gemacht. Der wachsende Einfluß des jungen Theoretikers und Zivilisten wird in Kreisen der Exoffiziere nicht gerne gesehen. Susinis politische Ambitionen reflektieren nicht wie jene der Militärs auf die Metropole, die er für „verfault“ hält, sondern allein auf Algerien. Er vertritt in erster Linie den Gesichtspunkt des kleinen Pieds-noirs, der sich Arbeit und Heimat bewahren möchte. Susini hält es für seinen eigentlichen revolutionären Auftrag, dieser Bevölkerungsgruppe im zukünftigen Algerien eine politische Beteiligung zu erkämpfen. Seine geistige Beweglichkeit kommt ihm bei der Analyse der stets in Fluß befindlichen Lage Algeriens sehr zustatten, so daß er dem militärischen Flügel der OAS meist um eine Phase voraus ist.

So ist es nicht weiter erstaunlich, daß Susini nach dem Ausfallen Salans als erster der OAS-Führer die gemeinsamen Interessen der Muselmanen und der Pieds-noirs in Algerien entdeckt. Denn viele Algerier europäischer Herkunft haben in den letzten Jahren eine Abneigung gegen die französische Metropole entwickelt, die ihre Antipathie gegenüber den Algeriern muselmanischer Religion bei weitem übertrifft. Sie haben deshalb ein Interesse daran, eine Versöhnung einzuleiten und nicht — wie dies die OAS Oran tat —' sich selber durch die Taktik der verbrannten Erde in die Luft zu sprengen. Ein totaler Exodus der europäischen Minorität müßte ferner nicht nur die Entwicklung der algerischen Wirtschaft schwer behindern, sondern könnte außerdem zu einer kommunistischen Radikalisierung der nationalistischen Rebellion führen, die nicht in der Absicht ihrer gemäßigten Elemente läge.

Als Susini im Laufe der entscheidenden Verhandlungen seine politischen Gedanken zur algerischen Zukunft entwickelte, rief Fares überrascht aus: „Im Grunde sind Sie ja ein größerer algerischer Nationalist als Boussouf!“ Vielleicht /i'eef in der Befähigung der europäischen Minorität, politische Köpfe hervorzubringen, die im algerischen Sinne national und revolutionär zu denken vermögen, tatsächlich eine große Chance für das „brüderliche Algerien“. So wird Susini möglicherweise ah der erste nationalistisch-algerische Revolutionär europäischer Herkunft in die Geschichte eingehen.

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