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Nicht nur für Tirol entscheidend

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Schon ein Jahr später wurde auch die Gemeindeautonomie weitgehend eingeschränkt. Man darf aber nicht glauben, daß Bayern etwa Tirol besonders hart oder gar feindselig behandeln wollte; die Reformen, die französischem Vorbild nacheiferten und in mancher Hinsicht vorteilhaft waren, bętrąfep giste.RW Tirol, jpndftp das ganze. Königreich Bayern. Allerdings mußte die Auswirkung in Tirol anders sein als in Altbayern. Sowohl von österreichischer als auch von tiroleri- scher Seite wurde der Aufstand des Jahres 1809 mit der Aufhebung der ständischen Verfassung motiviert.

Der Plan vom Juli 1944

Auf die Stellung Tirols im großdeutschen Reich braucht man wohl nicht näher einzugehen, da es in einem Staat, in dem es praktisch keine Freiheit gibt, auch keine Freiheit für ein Land geben kann. Osttirol ging ohne Protest verloren, Südtirol wurde auch ideell der Achse Rom-Berlin geopfert, ln diesem Zusammenhang ist aber eine andere Tatsache sehr interessant. Die Widerstandsbewegung Deutschlands, die am 20. Juli 1944 leider vergeblich versuchte, das nationalsozialistische Gewaltregime zu stürzen, hatte ernstlich die Absicht, Österreich im Reichsverband zu erhalten, obwohl von österreichischer Seite eine klare Absage erteilt worden war. Die geplante territoriale Neueinteilung im Nachkriegs- Deutschland sah den Anschluß Vorarlbergs an Württemberg und neuerdings die Vereinigung Tirols mit Bayern (Hauptstadt München) vor. Mit anderen Worten: Auch in einem demokratischen Deutschland wäre kein Platz für ein selbständiges Land Tirol gewesen!

Von der Landesordnung zum Landtag

Danken wir also der Verbindung mit Österreich die politische Existenz des Landes Tirol, so ist doch noch zu prüfen, ob und inwieweit es uns in den 600 Jahren gelungen ist, im österreichischen Staatsverband die Freiheiten des Landes zu wahren. Ein Vergleich mit dem Jahre 1363 ist allerdings nicht gut möglich, weil es zu dieser Zeit viele Privilegien für Adelige und einzelne für Märkte und Städte, aber keine erfaßbaren Privilegien für das ganze Land gegeben hat. Tatsache ist aber, daß sich schon vor 1363 das Selbstbewußtsein und das Interesse für Landesangelegenheiten bei Bürgern und Bauern zu regen begann. Dies zeigt deutlich die Landesordnung vom Jahre 1352, die den niederen Klassen nicht Freiheit, sondern neue Unfreiheit zugunsten’ der Besitzenden gebracht hat. Dem Bürger- und

Bauernstand gelang es erst unter österreichischer Regierung, Einfluß auf die Landesverwaltung zu nehmen. Da Herzog Friedrich mit der leeren Tasche in seinem Kampf gegen den Adel auf die Hilfe der Stadt- und Landbevölkerung angewiesen war, unterstützte er tatkräftig die Bestrebungen dieser Stände; auf Teilnahme an den Regierungsgeschäften. Zum erstenmal nahmen im November 1423 Bürger und Bauern an der Versammlung der herzoglichen Räte und der Äbte in Bozen teil, sodaß diese Versammlung den Namen „Landtag" tatsächlich verdient hat.

Verfolgt man die weitere Entwicklung der ständischen Verfassung, so wird es erklärlich, daß diese Verfassung im Volk nicht den Rückhalt gefunden hat, der später zu Wahrung der Landesfreiheiten notwendig gewesen wäre. Allzu oft mußten die Landesfreiheiten dazu herhalten, Privilegien und gut bezahlte Posten einzelner Adelsgeschlechter zu sichern. Die Interessen der breiten Masse, insbesondere die der bäuerlichen Bevölkerung, wurden .im Landtag häufig zuwenig energisch vertreten. Reformen, die dem allgemeinen Wohl dienten, mußten zu oft von der Zentralgewalt — manchmal sogar gegen den Willen der Landschaft — durchgesetzt werden. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts standen dem zahlenmäßig stärksten Stand des Landes, dem Bauernstand, nicht mehr Vertreter im Landtag zu als dem Adel oder der Geistlichkeit. Ein bezeichnendes Licht auf die Einschätzung der ständischen Verfassung wirft ein Brief, den ein Delegierter des Bauernstandes, der Richter Michael Senn von Pfunds, nach der Auflösung der Tiroler Landschaft am 18. Juni 1809 an Andreas Hofer geschrieben hat: „Sollten wir uns auf ein neues an den alten Schlendrian des faulen, vielfältig zweckwidrigen Geschäftsganges im gelben Haus (damit war das Landhaus gemeint) zu Innsbruck gewöhnen? Auf ein neues solch ein Schwarm von landschaftlichen Beamten nur aus dem immatrikulierten Adel uns zu lebenslänglicher Versorgung aufdrängen lassen? Auf ein neues eine Repräsentation oder Nationalvertretung einsetzen, die sich zu unumschränkten Machthabern über uns aufwerfen, mit dem landschaftlichen Säckel nach Willkür schalten, das Wohl des Landes beiseite setzen und ihre Privatinteressen uns zur Gottheit aufstellen sollten .. ?“

Modell Schweiz?

Es’hat wenig Sinn, über den Verlust von’ Landesfreihelten zu klagen, ohne die Fehler und Mängel aufzuzeigen, die es den staatlichen Gewalten so leicht gemacht, ja diese geradezu genötigt haben, in die Verwaltung des Landes einzugreifen. Die heutige Stellung unseres Landes im Bundesstaat hält einen Vergleich mit den Hoch- Zeiten der landschaftlichen Verfassung aus. So zum Beispiel ist der vom Tiroler Landtag gewählte Landeshauptmann kraft unserer Verfassung gleichzeitig Statthalter des Bundes und bedarf keiner Bestätigung durch irgendwelche Zentralstellen. So etwas hat es zur Zeit der „Gefürsteten Grafschaft Tirol“ nie gegeben. Wenn heute über Bevormundung der Länder und über Zentralismus — sicher oft mit Recht — geklagt wird, so weist man, wie schon vor mehr als hundert Jahren, mit Vorliebe auf das Beispiel der Schweiz hin. Man behauptet zu Recht, daß die Schweizer Kantone mehr Macht besitzen als unsere Bundesländer. So illustrativ der Vergleich mit unserem Nachbarland auch wirken mag, hinkt er dennoch. Die historische Entwicklung ist in der Schweiz und in Österreich verschiedene Wege gegangen. Die Urkantone der Schweiz (Uri, Schwyz und Unterwalden) waren Ackerbau und Viehzucht treibende „Orte“. Orte, die sich von vornherein gegen das Übergewicht der geld- und voIksTei- cheren Städte abgeschirmt haben. Bis zum Jahre 1848 war die Schweiz nicht ein Bundesstaat, sondern ein Bund der staatlich selbständigen Kantone, also ein Staatenbund. Das konnten sich die Schweizer Kantone leisten, weil sie nicht in dem Maße wie Österreich — man werte dies nicht als Überheblichkeit — an der Lösung großer europäischer Aufgaben beteiligt waren. Für die Schweizer gab es weder eine Aufgabe im Osten Europas zu erfüllen, noch drohte ihnen unmittelbar die Gefahr des Halbmondes. Die Türken haben nicht Bern oder Zürich und auch nicht Rom, sondern Wien bedroht, weil eben Wien mit Österreich Herz und Bollwerk des Abendlandes war.

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