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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ÖSTERREICH UND DIE DEUTSCHE WIEDERVEREINIGUNG. Die seif langem angekündigten Besuche des österreichischen Bundeskanzlers in Washington und Moskau stehen vor der Tür. Washington hat bereits das Programm des Amerikaaufenfhalfes Ing. Raabs veröffentlicht. In diesem Zusammenhang hat ein Interview des Wiener Kanzlers mit einer deutschen Zeitung weithin Aufmerksamkeit erregt. Oesterreich ist bereit, aus eigener Initiative in Amerika und Rufjland die deutsche Frage anzuschneiden. Mit aller gebotenen Vorsicht, Offenheit und Elastizität. Raab schlägt da als erstes eine alliierte Viermächtekonferenz vor, die ein praktizierbares Wahlgesetz ausarbeiten und die Voraussetzungen für allgemeine Wahlen prüfen soll. Der Einbau Deutschlands in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem sowie die Schaffung einer rüstungsfreien oder rüstungsarmen Zone (ohne Atomwaffen) stehen damit im Zusammenhang in Erwägung. Der Wiener Kanzler ist der Ueberzeugung, dafj die Verhandlungen über Deutschland wohl weiterhin schwierig und langwierig, aber, wenn mit Geduld festgehalten, ebenso erfolgreich abgeschlossen werden können wie seinerzeit im Falle Oesterreich. — Für Oesterreich ist eine ebenso eigenständige wie positive Stellungnahme zum deutschen Problem ein Politikum erster Ordnung. Oesterreichs*Neutralität, positiv verstanden, als ein redliches Maklerfum und Oesterreichs Stellung in der freien Weif verpflichten zu einer Aktivität in der Behandlung des heifjesfen Eisens an unseren Grenzen. Daneben steht die ungarische Frage. Auch sie wird eines Tages den Ballhausplatz beschäftigen, wenn es international so weit ist. Das Ringen um eine wirkliche Gipfelkonferenz wird eben deshalb in Wien besonders aufmerksam beobachtet, weil sie die Voraussetzung ist für eine folgende Behandlung der beiden gro-fjen Wunden im mitteleuropäischen Raum: Deutschland und Ungarn.

DIE GUTEN KONTAKTE, die da und dort zwischen Katholiken und Nursozialisfen sichtbar geworden und offensichtlich Ausdruck einer veränderten politischen und sozialen Situation sind, werden leider immer wieder von untergeordneten Stellen auf sozialistischer Seite mit Vehemenz gestört. Auch der Gewerkschaftsbund half nicht immer die Linie, die sein vorbildlicher Generalsekretär Fritz Klenner zu hallen gewillt ist. Vor uns liegen zwei Nummern der Zeitschrift der Gewerkschaft der Privatangestellten „Der jugendliche Angestellte*. In einem Bericht über Ereignisse in Südamerika wird wieder einmal vom „Religionskrieg* gesprochen, vom

, RpligtonsJvüiWobebiJiWHTbdkrioBintoh Ljr gleich Katholizismus und f-rjaschismus in einen Topf wirft, ohne offensichtlich eine Ahnung zu haben, was denn das eigentlich ist, was so leichtsinnig immer wieder als „Faschismus* abgetan wird. Um die neue „christliche* Linie zu beweisen, wird dabei der Protestantismus in Schutz genommen, als ob die Protestanten gerade eines nichtchristlichen Verteidigers ihrer Interessen bedürften. Wir kennen das alte Lied gerade hier in Oesterreich: Der Profesfantismus wird beileibe nicht als religiöses Phänomen verstanden, sondern als ein möglicher Gegner der katholischen Kirche. Daher spielt man nicht nur die „Rosenkranzwalze“, sondern zuweilen auch die protestantische Walze, ohne sich dessen bewufjt zu sein, wie sehr sich das Verhältnis der beiden christlichen Konfessionen gewandelt hat und wie Katholiken und Protestanten jetzt mit allem Nachdruck das gemeinsame Christliche vor dem, was beide trennt, betonen. Damit sich aber die Gewerkschaftszeifung genügend als orthodox marxistisches Organ ausweist, bringt sie auch noch in einer anderen Nummer einige heftige und einseitige 'Reminiszenzen zum Februarputsch 1934. Die Ausführungen des „Jugendlichen Angestellten* stellen jedenfalls eine gröbliche Verletzung der erklärten Ueberparteilichkeif des OeGB dar. Sie sind leider unter anderem eine Folge dessen, dafj sich die Christen im OeGB jedes Einflusses auf die Gewerkschaftspresse begeben haben. Wenn schon soviel „Toleranz“ die Rede ist, dann wäre es angezeigt, wenn auch im OeGB jene Toleranz herrschen würde, die allein die Sicherheit für das weitere Bestehen einer Einheitsgewerkschaft bildet.

DER STREIK DER WIENER SPITALSÄRZTE hat wieder einmal die Aufmerksamkeit der Oeffent-lichkeit auf die für ein medizinisches Zentrum wie die Bundeshauptstadt unhaltbaren Zustände gelenkt. Die 1500 Aerzte streben eine angemessene Bezahlung der Nachtdienste und Ueber-slunden an. Der Stundenlohn eines Arztes liegt nicht weit von dem eines Hilfsarbeiters entfernt, nämlich 7.50 Schilling. Entgegen der Behauptung, die Aerzte stünden, im Jahresdurchschnitt, berechnet, wöchentlich nicht mehr als 48 Sfun-den in Dienst, wird bekannt, dafj Assistenten fast die doppelte Arbeitszeit leisten, manchmal aber bis zu hundert und mehr Stunden wöchentlich. Die Sekundarärzte stehen durchschnittlich 75 Stunden, bei einem Samstag-Sonntag-Dienst ununterbrochen 55 Stunden in einer höchst verantwortungsvollen Arbeit. Ein Arzt kam 1957 auf 1088 Ueberstunden. Für diese zusätzliche Leistung wurde ein durchschnittlicher Stundenlohn von 1.73 Schilling gezahlt! Ein anderer Arzt hat im Vorjahr 126mal Nachtdienst versehen, davon 25mal an Sonntagen. Gefordert wird eine Erhöhung der Nachtdiensfzulage von 30 auf 60 Schilling für den ersten bis achten Nachtdienst. Müssen mehr als acht Nachtdienste von einem Spitalsarzt geleistet werden, soll ab dem neunten Nachtdienst ein Entgelt von 100 Schilling bezahlt werden, ebensoviel auch für Dienstleistungen an Sonn- und Feiertagen. Die soziale Schichtung der Aerzte, die hier in Betracht kommen, zeigt, dafj mehr als die Hälfte verheiratet ist. In einem Spital sind fast sechs Prozent der Aerzte über 40, 30,4 Prozent über 35 und 36,2 Prozent über 30 Jahre alt. Die hohe Pflichtauffassung der Aerzteschaff dürfe nicht, wie die Streikenden erklären, von den Spital-erhaltern einseitig und andauernd ausgenützt werden.

„SEHR VEREHRTER HERR. BURGERMEISTER, bewahren Sie die vielgepriesene landschaftliche Schönheit und die gesunde Lage unserer Stadt vor einem Industriezentrum in der Lobaul Zerstören wir nicht neuerlich ein Stück besungene Naturschönheit um Wien, die unser Reden und Schreiben von der Naturverbundenheit Wiens und der Wiener ad absurdum führen würde. Endlich einmal muh auch in Wien mit der Gepflogenheit Schlufj gemacht werden, vorhandene Naturräume in und um den Stadtbereich als „schwächeren Partner“ wirtschaftlichen und sonstigen Vorhaben zu opfern, besonders dann, wenn nach vorhandenen Planungsarbeiten genügend andere Ausführungsmöglichkeiten gegeben sind (wie im Süden Wiens!).“ — Mit diesen bewegten Worten wendet sich der Oesfer-reichische Naturschutzbund in einem offenen Brief an den Wiener Bürgermeister. Der Anlafj ist bekannt: Das Projekt eines „großzügigen

Ausbaues“ des Wiener Donauölhafens in der Lobau, zu dem auch die „Furche“ schon kritisch Stellung genommen hat, sieht in der ersten ßfapp& WhJ&JtfHPgter&eifen &l,gfcSogun.dJ vor. Ein neues Industriezentrum mitten im kostbaren Grün also. Die warnenden Beispiele des Prafers oder der Linzer Stickstoffwerke scheinen nichts genützt zu haben. Man will jetzt nicht nur 10 bis 15 Hektar der Lobau direkt verbauen, sondern indirekt auch noch eine viel gröfjere Umgebung durch Erschliefjungsarbeifen, Abgase, Abwässer, Grundwasserbeeinträchtigung, Lärm und Störung des Landschaffsbildes als Erholungsgebiet entwerfen. Was wird die nächste Etappe sein? Ein Stück des Lainzer Tiergartens für die Autobahneinfahrt abzuzwacken. Ueber-morgen vielleicht: Rummelplatz Leopoldsberg mit Gondelbahn. Es tut sich was in der Weltstadt. Leider nichts Gutes.

NASSER IN DER SOWJETUNION. Neben Woro-schilow, Chruschtschow, dem asiatischen Kommu-nisfenführer Surenshay nr'.i der Präsident der Vereinigten Arabischen Republik, Nasser, als Ehrengast auf der Tribüne der 1.-Mai-Parade in Moskau Platz. Der Weltöffentlichkeit wurde dadurch demonstriert: die erwachenden Völker Asiens und Afrikas stehen neben der Sowjetunion; als deren Partner. Sie stehen daneben) nicht heifjt es heute, wie noch vor kurzem: sie marschieren mit. Man ist da in Moskau und in Asien und Afrika vorsichtiger geworden. Wirt-schaffliche und kulturpolitische Beziehungen sollen im Vordergrund stehen. Von Militärblöcken wird, zumindest in der Oeffentlichkeif, nicht gesprochen. Man will das Gesicht wahren. Das ist bei dem Besuch Nassers in der UdSSR besonders auffallend. Nasser weih noch nicht, ob er die nötigen Kredite in Moskau bekommen Wird. Vor seiner Moskaufahrt hat er sich bereit erklärt, die Suezkanalgesellschaff finanziell zu entschädigen. Gleichzeitig winkt ihm eine Einladung nach Amerika, zu Präsidenten Eisenhower. Die USA haben am Vorabend seiner Rufjlandfahrf Gelder freigegeben, die seit dem Suezkonflikt für Nasser blockiert waren. Die Zwei gröfjten Weltmächte werben um die „Arabische Republik“. Beide werden wohl Kredite geben, werden zahlen. Das sind harte Tafsachen, die Europa nüchtern sehen mufj; England in seiner Nahostpolitik und Frankreich in seiner Nordafrikapolitik; und alle Europäer, die wirtschaftlich und politisch nach Afrika sehen und sich eine Erweiterung des europäischen wirtschaftlichen und freiheitlichen Potentials In den afrikanischen Raum hinein erwünschen. Gerade in Afrika wird Europa in naher Zukunft als Konkurrenten jene beiden Mächte treffen, mit denen es bereits in Europa direkt und Indirekt ständig zu tun hat, die UdSSR und USA.

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