Seele - © Foto: Pixabay

Auf der Suche nach der verlorenen Seele

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Wird die menschliche Seele in der Medizin zum "Restposten"? Ein Grazer Symposium begab sich auf die Suche nach der "Ganzheit" des Menschen.

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Wird die menschliche Seele in der Medizin zum "Restposten"? Ein Grazer Symposium begab sich auf die Suche nach der "Ganzheit" des Menschen.

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Götter in Weiß reparieren einen defekten Körper, ersetzen Original- durch Reserveteile und modeln bei Bedarf auch schnell den Schaltplan um. Gegen dieses Szenario einer seelenlosen Medizin ist nur ein Kraut gewachsen: Widerstand. Und an diesem Widerstand des Menschen zeigt sich nichts geringeres als seine Menschlichkeit. Starke Worte aus dem Mund des Darmstädter Philosophieprofessors Gernot Böhme - wecken doch jene Techniken, denen widerstanden werden soll, große Hoffnungen: Organtransplantation, Reproduktions- und Gentechnik ermöglichen bisher Ungeahntes. Und doch gilt es ihnen abzuschwören, um Mensch zu bleiben? Die provokanten Thesen Böhmes reizen zum Weiterfragen: Wenn eine Herztransplantation den eigenen Körper manipuliert, was ist dann von einem Hörgerät zu halten? Oder von künstlichen Herzklappen? Wieviel kann man transplantieren, um noch vom eigenen Leib sprechen zu können? Wo verläuft also die Grenze zwischen medizinischem Segen und ethischer Bedenklichkeit?

Grenzen setzen

Das Symposium "Restposten Seele?" im Grazer Kulturzentrum der Minoriten zeigte vor allem eines: An der Seele des Menschen, an dem, was ihn ausmacht oder nicht mehr ausmacht, scheiden sich die Geister. Der Philosoph Böhme zieht für sich klare Grenzen: "Ich persönlich würde eine Herztransplantation ablehnen. Doch jeder muss in seinem Leben selbst eine Grenze setzen, um seine Menschenwürde zu bewahren und sich vor Manipulation zu schützen." Jeder Eingriff in die Leib-Seele-Einheit Mensch habe Folgen. "Niemand fragt etwa Menschen mit einem Herzschrittmacher, wie sie sich dabei fühlen! Frisch verliebt gibt es für sie nicht einmal Herzklopfen."

Doch "Neinsagen", und das weiß Böhme, ist keine Kleinigkeit. Dazu gehört die Bereitschaft, auch einmal etwas zuzulassen. "Humanität zeigt sich dort, wo man sich nicht dem Projekt grenzenloser Modernität anheim gibt." Die Technik sei mehr als ein Mittel zum Zweck geworden. Menschliche Ziele würden sich immer mehr nach ihr orientieren. Und mehr noch, analysiert Böhme: "Was früher eine Frage der Moral war, wird nun ein Mittel der Manipulation. Die Sexualmoral ist geschwunden, weil man diesen Bereich technisch beherrschen kann."

Am Beispiel des Internetzugangs spricht der Philosoph von den "Technostrukturen" der Gesellschaft: "Ob der Einzelne zur Gesellschaft gehört, hängt mehr und mehr von seiner technischen Ausrüstung ab, meist davon, ob er einen Anschluss ans Netz besitzt oder nicht." Auch das Verhältnis der Menschen untereinander habe sich durch die technische Infrastruktur verändert - und nicht immer zum Besten, glaubt Böhme. So habe das Mobiltelefon dazu geführt, dass heute persönliche Treffen beliebig seien. "Noch an der Türschwelle kann ich's mir anders überlegen." Die neue Distanz in der Kommunikation beginne jedoch schon beim Ungeborenen im Mutterleib: Wenn schwangere Frauen ihre Beziehung zum Kind eher über Bild und Ton erleben als durch das eigentliche Spüren. Fazit des Philosophen: Die Verweigerung technischer Manipulation kann den Menschen tatsächlich weiterbringen. Denn "die Erfahrung zeigt, dass sich eben nicht das Vernünftige durchsetzt".

Wie mancherorts die Vernunft in der Technik, so hat die ganzheitliche Sicht des Menschen in der Medizin ihr Ende gefunden. Dies befürchtet zumindest der Theologe und Mediziner Matthias Beck und durchwandert zum besseren Verständnis die Philosophiegeschichte. Nach dem Dualismus von Leib und Seele bei Platon und dem Bruch zwischen Geist und Seele bei Aristoteles sei Thomas von Aquin "der einzige in der abendländischen Philosophie, der die Einheit von Leib und Seele denken konnte". Beim mittelalterlichen Kirchenvater habe "Seele" nicht einfach Geist bedeutet, sondern "das, was den Menschen zum Menschen macht." Damit war spätestens bei den modernen Naturwissenschaften Schluss: "Mit dem Beginn der Neuzeit stürzte man sich auf die Materie, einfach, weil sie als einzige messbar war. Die Philosophie dagegen befasste sich mit dem Geist, doch nur unter dem Aspekt des Bewusstseins."

Spätestens in der Aufklärung kam demnach die Seele unter die (naturwissenschaftlichen) Räder und wurde auf das Religiöse zurechtgewiesen. Dies verdeutlicht auch der Vorwurf eines Zeitgenossen an den Aufklärungsphilosophen Descartes, dieser habe in seiner Vorstellung vom Menschen "die Seele nur um der Pfaffen willen hinzugefügt".

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