Gesund Muster  - © Illustration: Rainer Messerklinger

Chronisch kranke Kinder: Die kleine Heldin Emilia

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Was, wenn das eigene Kind chronisch krank oder behindert ist? Über den Alltag in der Ausnahmesituation und das Bedürfnis nach bestmöglicher Gesundheit von Anfang an.

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Was, wenn das eigene Kind chronisch krank oder behindert ist? Über den Alltag in der Ausnahmesituation und das Bedürfnis nach bestmöglicher Gesundheit von Anfang an.

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Bis auf die zarte Narbe, die sich von Emilias linkem Nasenflügel über die Wange nach unten zieht, merkt man der Dreijährigen nichts an. Die kurzen braunen Haare sind ein letzter Hinweis auf die monatelange Chemotherapie, die an dem noch kleinen Körper nicht spurlos vorübergegangen ist. Drei Wochen verbrachte Emilia vor kurzem mit ihren Eltern in einem auf Kinder und Jugendliche spezialisierten Rehabilitationszentrum. An diesem Donnerstagnachmittag läuft die Dreijährige in der Wohnung in Wien Hietzing auf und ab, räumt Spielsachen von einem Zimmer ins andere und legt zwischendurch Pausen auf Papa Michaels Schoß am Esstisch ein.

„Rhabdomyosarkom“, nennt Michael die Diagnose vom Oktober letzten Jahres. Ein bösartiger Tumor hatte sich in der linken Wange seiner Tochter ausgebreitet. Michael wählt seine Worte klar und pragmatisch, die Krankheitsgeschichte hat er schon oft erzählt. Ein zunächst unscheinbarer Punkt auf der linken Wange, zahlreiche Arztpraxen und Überweisungen, ständiges Abwarten und schließlich die Diagnose. Chemotherapie, Operation, Strahlentherapie. „Man handelt nur mehr im Sinne des Kindes. Wahrscheinlich ist man dabei in einer Art Trancezustand“, so der 27-Jährige. Emilia ist eines von rund 300 Kindern und Jugendlichen, die in Österreich jährlich an Krebs erkranken. Etwa 15 von ihnen an einem Weichteiltumor, wie dem Rhabdomyosarkom. Die Heilungschancen liegen durchschnittlich bei zirka 85 Prozent.

Elternschaft neu definiert

„Geht es um das eigene Kind, lernt man die Bedeutung der oft salopp dahin gesagten Phrase ‚Hauptsache, gesund‘ erst richtig schätzen“, so Michael. Tatsächlich sind in Österreich rund 120.000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren nicht gesund. Neben Krebs treten dabei vor allem chronische Atem-, Hör- oder Sehbehinderungen auf. 25.000 Kinder und Jugendliche können aufgrund einer chronischen Krankheit oder körperlichen Behinderung das alltägliche Leben nicht ohne fremde Hilfe bewältigen.

Doch was bedeutet es für Eltern und Familien, wenn ein Kind die erhoffte Voraussetzung „gesund“ nicht erfüllt? „Zunächst wirft es das gesamte Bild von Elternschaft um“, erklärt Marion Waldenmair. Die Klinische und Gesundheitspsychologin arbeitete unter anderem am St. Anna Kinderspital in Wien und ist nun freiberuflich mit Fokus auf Familienpsychologie tätig. „Egal wie stark eine Krankheit oder Behinderung sich auf den Alltag auswirken wird – für Betroffene ist klar: Alles ist anders, nichts wird so sein, wie ich es mir vorgestellt habe.“

Zwei Faktoren sind für Betroffene dann vor allem entscheidend: Trauerbewältigung und Zeitmanagement. „Die Sorge und Traurigkeit, dass ein Kind nie einen normalen Lebensweg haben wird, begleitet Eltern über viele Jahre. Und auch die Kinder selbst müssen früher oder später diesen Verlust durchleben.“ In der psychologischen Arbeit ginge es deshalb in erster Linie darum, Zuversicht in persönlichen Bewältigungsstrategien zu finden. „Für Angehörige besteht eine enorme Reifungsnotwendigkeit, die womöglich zu einer Anpassung des eigenen Wertesystems führt. Ob man will oder nicht, es ist ein lebenslanger Prozess für Eltern und Kinder“, erklärt Waldenmair.

Die Herausforderung in puncto Zeitmanagement kennt Michael gut. Selbst nach der erfolgreichen Behandlung Emilias stehen weiterhin regelmäßige Kontrollen und Therapiestunden an. „Es ist extrem wichtig, Leute zu haben, die Rückhalt geben“, sagt Michael.

Viele Familien bleiben in der Alltagsbewältigung jedoch allein. Bei Kindern mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen kommt der Druck hinzu, das eigene Kind bestmöglich zu fördern. Besonders am Anfang des Lebens könne viel erreicht werden, so die Devise. „Teil meiner Aufgabe ist es dann, die Eltern zu ermächtigen, selbst zu entscheiden, was man annimmt – und wo man auch mit Abstrichen leben kann. Denn man darf auch einmal nur Mutter oder Vater sein“, so die Psychologin Waldenmair.

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