Der große Begabungsstau

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In ihrem neuen Buch "Herrin im eigenen Haus" beschreibt die Psychologin und Psychotherapeutin Julia Onken, warum viele Frauen immer noch an ihren Fähigkeiten, Talenten und Begabungen zweifeln.

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In ihrem neuen Buch "Herrin im eigenen Haus" beschreibt die Psychologin und Psychotherapeutin Julia Onken, warum viele Frauen immer noch an ihren Fähigkeiten, Talenten und Begabungen zweifeln.

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War ich gut?", fragt das kleine Mädchen nach seiner Ballettaufführung - so fragt das groß gewordene Mädchen vielleicht auch noch nach seinem vielbeklatschten Vortrag 20 Jahre später. Selbst Frauen, die alle Attribute von "Selbstbewusstsein" an sich zu haben scheinen, tappen in Fallen. Beispielsweise überlassen sie sich ohnmächtig der Macht ihrer Friseurin: will diese einen neuen Schnitt ausprobieren halten sie - im wahren Sinne - den Kopf hin. Das Ergebnis ist fatal, die Frauen fragen sich: "Warum habe ich mich so überrumpeln lassen?" Andere Frauen liefern sich beispielsweise ihrer Haushaltshilfe aus, putzen vor und wagen nicht, klar ihre Grenzen abzustecken und Forderungen zu stellen. Plötzlich ist alles, was Frauen in ihrem Leben gewusst, geahnt, erfahren und erlebt haben, weg. Leer, allein und einsam stehen sie da und verlieren für kurze bis lange Momente das Wichtigste: ihr Selbst. "Mangelndes Selbstbewusstsein zeigt sich darin, dass Frauen ihr Bestes geben und dafür das Geringste an Lob, Anerkennung und Lohn erhalten und darüber hinaus diese Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Ertrag als gerechtfertigt hinnehmen." , schreibt Julia Onken im Vorwort. Dann schlägt sie einen beeindrucken Reisebericht in weibliche Seelenlandschaften auf - sein Titel: "Weshalb Frauen ihr Selbstbewusstsein verlieren und wie sie es zurückgewinnen."

Die Psychotherapeutin findet bei ihrer Hausdurchsuchung im weiblichen Selbst zwei Fallen, die dazu führen, dass die inneren Schaltzentralen der Frauen aussetzen.

Die eine Falle ist eine äußere: da steht jemand, der selbstsicher vor die Frauen tritt, schon setzt der Schrumpfungsprozess ein. "Wer selbstsicher von Frauen völlig unberechtigte Forderungen verlangt, gewinnt nicht immer, aber oft." Die andere Falle besteht in dem bekannten Gefühl der eigenen Wertlosigkeit und dem beständigen Bemühen, sich Wert zu erdienen. Frauen wollen gefallen. Möglichst allen. "Vom innigen Wunsch beseelt, auf Zustimmung und Anerkennung zu stoßen und zu gefallen, setzt unser Denkvermögen aus." Die Leserinnen freuen sich an Stellen wie diesen über das schwesterliche "wir" und schöpfen Mut, die anstehenden Veränderungen wirklich leben zu können.

Eigenschaften wie Autonomie, Kompetenz, Selbstverantwortung sowie geistige und materielle Potenz sieht Onken gesellschaftlich als eher "unweiblich" klassifiziert; Frauen können daher nicht selbstverständlich aus ihren Kraftquellen schöpfen, sie müssen ein klein wenig "hilflos" bleiben.

Was will aber die Autorin eigentlich? Wie fühlt sich ihr vielbesprochene Selbstbewusstsein an? "Bei sich anzukommen, lässt das wohlige Gefühl entstehen, bei sich auf der inneren Ofenbank zu sitzen; es lässt uns in uns heimisch werden. Mit sich zufrieden sein, einverstanden mit sich sein, ein Gefühl eines stabilen, kontinuierlichen Selbst-Erlebens, das sich ins ich selbst orientiert, belebt ein ganz stilles Glücksempfinden." Wer würde nicht gerne auf dieser Ofenbank sitzen?

Onken zeigt in ihren Analysen zwei Ursachen für das Abhandenkommen dieses Ur-Wärme und Ur-Geborgenheit in sich selbst. Einerseits sei der Mangel an Selbstbewusstsein ein persönliches Problem, andererseits stelle er eine kollektive Problematik dar. Es ist eine Tatsache, dass Frauen, obwohl sie zwei Drittel der Weltarbeit leisten, nur ein einziges Prozent des gesamtes Welteigentums besitzen.

Frauen bemühen sich stark um das Verstehen psychischer Zusammenhänge - zum Wohle ihrer Partner! Viele Frauen haben Schwierigkeiten damit, sich selbst wichtig zu nehmen. "Frauen vergessen, eigene Wünsche zu haben. Sie bestellen fremde Äcker und lassen den eigenen verwildern." - So fasst die Autorin die Fallen in den Lebensentwürfen von Frauen zusammen. Ihre Bilder sind eindrucksvoll, berühren den Urgrund der Leserinnen und wecken Sehnsüchte nach einem wohlbestellten eigenen Garten, der liebevoll gepflegt und auch in seinen Rändern noch betreut ist.

Julia Onken rät nicht, nein, sie fordert energisch auf, die Büßerhemdchen beiseite zu legen und die Gäule zu satteln; sie belässt es in ihrem neuen Buch nicht damit, Ursachen, Motive und innere Befindlichkeiten aufzuzeigen - nein, sie will Verbindlichkeiten: "Versprich dir, dass du zukünftig alles daransetzen willst, für dich Sorge zu tragen und nie mehr auf deine Kraft, auf deine vorwärts drängende Energie zu verzichten. Gib dir dein Ehrenwort, dass du dir nie mehr die Treue brichst ..." Mit einem längeren Zitat Nelson Mandelas positioniert Julia Onken schließlich ihre letzte Provokation: "Es ist unser Licht -nicht unsere Dunkelheit, was uns am meisten erschreckt ... Es wird nichts erhellt, wenn du dich kleiner machst, damit sich andere nicht verunsichert fühlen -" So appelliert die Psychotherapeutin an die Verantwortung sich selbst und seinen Fähigkeiten gegenüber. Die Zeit der koketten Verkleinerungen und niedlichen Tarnungen sei vorbei; Frauen müssen beginnen, in all ihrer Größe und Bedeutung für sich selbst zu arbeiten. Während die Gefühle noch klingen, kann der Intellekt im umfangreichen Literaturverzeichnis, in den Anmerkungen und im Sachverzeichnis passende Texte für die heimelige Lektüre auf der inneren Ofenbank suchen.

ZUR PERSON Herzhaft, persönlich Julia Onken arbeitet als Psychologin und Therapeutin. Sie ist Gründerin und Leiterin des "Frauenseminars Bodensee"; seit vielen Jahren leitet sie Aus- und Weiterbildungskurse und Paar-Seminare. Ihr Bücher sind Bestseller, die Leserinnen fühlen sich "gemeint" und berührt. Gründliche Recherchen, ausführliche Literaturverzeichnisse und treffende Beispiele befriedigen die intellektuellen Ansprüche an die Lektüre; die Emotionen werden durch die Herzhaftigkeit der Sprache gesättigt. Bisherige Buchpublikationen: "Feuerzeichenfrau", "Geliehenes Glück", "Vatermänner", "Spiegelbilder", "Die Kirschen in Nachbars Garten".

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