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VON NEUEN BÜCHERN

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Das Lächeln. Roman. Von Francis Stuart. Verlag Herold. 344 Seiten. Ganzleinen S 64.—

Zwei Sätze vor allem scheinen uns das Motiv dieses Romans zu kennzeichnen: „Alles, was ich sagen wollte, ist, daß das Leben eng geworden ist und man eine Mauer drum herum gebaut hat. Aber auf der anderen Seite der Mauer, da ist der Wald" (S. 15). „Und was ich wirklich brauche, ist nicht eine Hürde, die den Wald ausschließt, sondern ginę, die ihn umfängt (S. 182),

Der „Wald“, das ist das Grauen, das über und in die Welt gekommen ist, das ist das Leben, das im Entsetzen des letzten Krieges und per Bombennächte erschüttert und entwurzelt und heimatlos geworden ist, dieses Leben mit seinem schrecklichen Tod. Aus diesem „Wald", nein, m i t diesem „Wald" in seinejn Innern kommt Ezra in die irische Kleinstadt, die den Krieg nicht erlebt hatte, in „eine Hürde, dip den Wgld auschließt". Er erlebt hier eine „zur Schau gestellte Sicherheit", er begegnet „Menschen, die weder Schmerz noch Liebe fühlten, nicht zornig waren, noch von Begierden getrieben, noch von heimlichen Zielen gelockt, das waren Gespenster'. Fromme Tradition lagert beruhigend über der Stadt, doch das Kreuz hatte lange aufgehört, ein lebendiges Symbol der versteckten Macht zu sein .

Ezra aber ist alles andere als ein Heiliger. Nicht nur, daß er alles zergliedern muß und spottsüchtig ist, er denkt auch immer nur an sich selbst. „Es war immer etwas Herzloses an ihm. Er verbrauchte die Menschen und dann! ließ er sie fallen.“ Ųnd doch ist er kein Egoist im gewöhnlichen Sinn, sondern ihn treib) eine starke Sehnsucht über alle engen Grenzen hinaus, nach einer Geborgenheit, die nichts gemein hat mit kleinbürgerlicher Abwehr], sondern etwas so Großes und Freies ist, daß sie auch seinen „Wald" umfängt.

Aus dem Volk der Kleinstadt und der Insel lösen sięh einzelne Gestalten heraus, denen Ezra, der mit fast dämonischer Auflehnung ihrp engen Mauern sprengen will, zum schmerzlichen Schicksal wird.

Da ist Nancy, seine Frau, zu er nicht mehr zurückkehren will, weil sie für seine Liebe zu einem Mädchen nicht ein volles Ja aufbringen konnte. „Sie hatten seine Frau mit ihren selbstzufriedenen Ententeichargumęri- ten irre gemacht... Familiensinn und Ententeichliebe überwältigten sie." „Du schaust noch immer von deinem elfenbeinernen Turm herunter, zu stolz oder zu wählerisch, um herunterzusteigen." Aber war er nicht selbst an ihr schuldig geworden? „Es gab einmal eine Zeit, wo er sie in die Arme hätte nehmen sollen und um sie werben, bis alle ihre Vorurteile, Abneigungen und Kritiken besiegt gewesen wären. Hätte er das nicht erreichen können, wenn er nicht alle seine Leidenschaft anderswo verausgabt und verschwendet hätte?" Nun vermögen sie nicht mehr zueinander zu finden, sie, „gefangen in den Maseru ihrer eigenen Urteile“, er, der „nichts hielt von einer Beziehung, in dęr die Frau weder Geliebte noch Freundin war, sondern etwas Drittes, zwischen den beiden Stehendes: GatĮin“.

Und da ist Romilly, des Pfarrers junge Schwester, „schüchtern, leicht gekränkt und zuglpich mit sich selbst zufrieden“, „hinter ihrer unberührten Wohlerzogenheit verschanzt', „wie aufgespartes, in einem gläsernen Krug verwahrtes Wasser'. „In Ihnen, Miß Į Mellowes, ist sehr viel Jungfräulichkeit, die weder singt noch tanzt, ist nichts, was blutet, und nichts, was von Gott oder Mann bisher berührt wurde." So ist Romilly für Ezra sowohl in ihrer Unberührtheit wie in ihrer Unerfahrenheit eine Provokation, gegen die sein höhnischer Zorn und sein Haß immerfort wächst: „Niemand sollte es wagen, so unschuldig, so unberührt von jedem Wissen und von jeder Erfahrung zu sein.' Sie läßt sich von ihm verführen. Und weiß dann, daß das nicht der Weg war aus ihrer Enge hinaus: „Ich verlangte nach jemandem, der kommt und sagt: .Rette mich, hilf mir, sei mir Frau und Mutter und Schwester, der Welt und allen Teufeln zum Trotz/ Ich wußte es nicht, aber das war das Wunder, das ich mir wünschte.' Alles, was Ezra vermag, ist verlangen, nehmen, nicht aber geben.

Da ist endlich der Pfarrer, Father Mellowes. Er ist der einzige, der für Ezra die Antwort weiß in seiner lächelnden Milde. „Seine Milde war groß, und alle, die der Milde bedurften, kamen zu ihm.“ „Er hatte keine fertigen Antworten zur Hand, wie andere sie haben mochten. Das war allerdings der Grund, weshalb der andere zu ihm kam, weil fertige Antwortern eben lęęine Antworten waren.“ Der Priester selbst gesteht: „Antworten müssen mindestens aus ebensolcher Tiefe herkommen wie diel Frage. Und ich kann noch nicht aus der Tiefe her antworten. Ich muß nachdenken.“

Diese Ehrlichkeit der Ehrfurcht ist es, die als „merkwürdige Mischung von Naivität und Weisheit“ erscheint. Aber gerade Ezra ist es, dessen Not und Auflehnung ihm seine Schwäche zum Bewußtsein bringt: „Die Sünde der Selbstzufriedenheit hat einen leisen Schritt, Ezra, sie überkommt uns mit einem Anschein von Frieden und Seelenruhe... Gott ließ zu, daß der falsche Frieden, die falsche Seelenruhe, in der ich lebte, zerbrach.“ Wohl sind es die täglichen Worte der Konsekration — als Worte, die dem blutenden Herzen Christi abgerungen wurden —, mit denen alle Menschenworte — und wären es die erschreckendsten Bekenntnisse — beantwortet sind. Aber erst, da er „die Nacht des Hundes“ erlebt, „die Worte des Lebens, in nächtliches Hgndegeheul verwandelt", da er lauter und eindringlicher als andere Menschen die „zischelnden Stimmen" hört, „die manchmal zu heulenden werden", stößt er in die Tiefe, aus der er antworten muß: „Das also war die Hölle, die auf ihn lauerte... Dies war es, was jenseits des Letzten Abendmahles lag.“ Gerade er als Priester ist es, der „diese Teufel und alle anderen, von denen die Menschen besessen sind", kennt. Aber Ezra kommt auch zu einer anderen Erkenntnis: „Und letzten Endes wissen Sie vielleicht mehr von den Frauen als ich. Sie lieben sie mit der Liebe, mit der Christus sie geliebt hat, und daher kennen Sie sie."

Es ist die tiefere Tiefe und das größere Herz, aus dem das Lächeln Father Mellowes' kommt, dieses Lächeln, an das sich niemand gewöhnen kann, weil es ęin Geheimnis seiner töricht selbstlosen Liebe ist, die immer neu und beschenkend ist. So wohnen eie schließlich zusammen, Ezra und sein zurückgekehrtes Mädchen, das ihm nicht mehr Frau, sondern Frieden ist, wenn auch erst an der Schwelle des neuen Lebens, Kavanagh, der Lustmörder, und Romilly, die in selbstverges-

sener Liebe bis zur Hinrichtung seine Gattin wird, Tante Nuala, die eingesehen hat, daß die Lösung für ein einsames Leben „nicht im Aufstapeln und im Sorgfältigsein und in der Erfüllung aller Pflichten“ liegt, und endlich Father Mellowes, der mit seiner wundervollen Milde sie alle, die irgendwo gescheitert sind, Zusammenhalt: sie haben die Hürde gefunden, „die den Wald umfängt".

Wenn, wir diesen Roman — keineswegs erschöpfend, sondern nur in der Hauptlinie — so ausführlich vorstellen, so aus der Überzeugung, daß wir hier einen der beachtlichsten Gegenwartsromane zum Geschenk erhielten, der wie wenig andere in die Tiefe leuchtet, die den Menschen dieser Zeit umfängt. Denn ist der verlorene Mensch unserer Tage nicht ein einziger Appell, sich nicht in das eigene Rechthaben einzuschließen, sondern der Rechte zu vergessen und einfach für ihn da zu sein? Was nützt es schon, eine „Nancy" zu sein? „Sie hat die Welt und fast alles, was diese tut, als schlecht und sinnlos verworfen, und die Ereignisse geben ihr recht, aber was liegt für eine Befriedigung darin, recht zu haben? Im Recht sein und sich nicht daran freuen, ist das nicht bitter?“ So ist Stuarts Roman ein aufrüttelnder Ruf an alle, deren Hürde den „Wald" ausschließen möchte — und wer wäre nicht in dieser Gefahr?

Wir dürfen aber drei Einwände nicht ver- schweigdn, die uns von einiger Wichtigkeit scheinen. Es sind einmal die beiden Begriffe von Ehe und Jungfräulichkeit, von denen wir meinen, daß sie auf eine schiefe Ebene ge raten sind. Daß Ezra eine ganz subjektive Deutung der Ehe in den Mund gelegt wind, worin er sehr viel Richtiges — Widerspruch gegen eine allzusehr sich verschließende Enge — mit offensichtlich Falschem — indem die wahre Ehe einseitig vom Erleben abhängig gemacht wird — vermengt, so liegt dies in der Linie des Romans, die ja Ezra als den Irrenden und Suchenden zeichnet. Daß aber Father Mellowes, wo er nicht bloß milde lächelt, sondern antwortet, eine nur unbefriedigende Antwort weiß, läßt uns vermuten, daß der Autor selbst noch nicht zur Klarheit gefunden hat. Das gleiche gilt von der Jungfräulichkeit, die im christlichen Versjändnis etwas viel Höheres als „artige Reinheit“ ist. Auch der katholische Romanschriftsteller ist zur Klarheit der Begriffe verpflichtet, wenn wir auch mit Father Mellowes nicht glauben, „daß Klarheit alles sei".

Ein weiterer Einwand gilt dem zum Teil fragmentarischen Charakter des Romans. Manche Motive 'und Gestalten, etwa dl® Nancys, sind nicht durchgeführt, und in der Lösung, die etwas vage und romantisch anmutet, haben wir überhaupt mir ein Fragment. Aber dies ist vielleicht damit zu rechtfertigen, daß der Roman unsere Zeit einzufangen sucht, in der alles fragmentarisch und unabgeschlossen erscheint. Der Autor selbst dürfte sich dieser Schwäche bewußt sein, wenn er sagt: „Ich glaube, der Roman hat sich durchaus noch nicht zum äußersten Grad seiner Möglichkeiten entwickelt.“

Endlich scheint uns der Takt in der Schilderung des Geschlechtlichen einigermaßen verletzt zu sein. Wir meinen hier vor allem die Stelle, da es von Romilly heißt: „Und jetzt rannte sie ... um sich hinzugeben: dies ist mein Leib... Nehmt hin; dies ist mein Blut. Dies sind meine Tränen" (S. 187). Diese in ihrer Grelle schmerzende Parallele zu den Konsekrationsworten wäre besser unterblieben. Im übrigen ist der Roman selbstverständlich nur für reife Menschen geschrieben.

Ist nun der Roman stark genug, das Gewicht dieser Einwände zu tragen? Das Gespür des Verlegers für unsere Zeit mit ihren weithin noch rätselhaften Untiefen, das er mit der Herausgabe dieses Buches bewiesen hat, verdient jedenfalls unsere Anerkennung: nicht nur die stilistische Leistung des Autors (und des Übersetzers), die eine „grande habitude de voir", eine bewundernswerte Beobachtungsgabe verrät, sondern mehr noch die leidenschaftliche Problemstellung und der Versuch einer Lösung, die in die Tiefe des Christlichen weist, machen diesen Roman zu einem der erregendsten und anregendsten der letzten Jahre.

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