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Das dritte Rom

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Die Sowjets verstehen es, mit ihrem Pfunde zu wuchern, viel besser als einst die zaristischen Regierungen. Auch damals war Rußland von vielen Völkern bewohnt, die sich zu verschiedenen Religionen bekannten. Doch der Zarismus verstand es nicht, sich daraus einen Nutzen zu sichern. Die verschiedenen Möglichkeiten lagen brach. Außer der russisch-orthodoxen Kirche waren alle anderen Konfessionen, ebenso wie alle nichtrussischen Völker des weiten Reiches, entweder offen unterdrückt oder im besten Falle bloß geduldet. Die orthodoxe Kirche jedoch war so offenkundig an den Staat gebunden, daß sie neben ihm nicht als eigener Faktor aufzutreten vermochte. Sie war mehr eine Belastung denn eine Hilfe für die russische Außenpolitik.

Eine weiterer Charakterzug des zaristischen Rußland war seine ausschließlich großrussische Einstellung. Dagegen errichteten die Sowjets eine föderative Fassade. Sechzehn Völker des alten Rußland wurden in einer Union vereinigt. Sie sind auf dem Papier alle mit den verschiedenen Attributen der „Souveränität“ ausgestattet. Jede der sechzehn Bundesrepubliken hat sogar ein eigenes Außenministerium. Nur ist kein einziger ausländischer Diplomat bei ihnen beglaubigt. In Wirklichkeit war der Zentralismus noch nie so stark entwickelt in Rußland wie heute. Denn der Zarismus besaß noch nicht die technischen Mittel, um das Leben bis in alle Winkel des riesigen Riehes zu erfassen. Heute herrscht Moskau über alles, über die Politik, über die Wirtschaft, die Kultur, beinahe auch über die Gedanken des Menschen, vom Pamir bis zur westlichen Grenze, vom Stillen Ozean bis zum Baltischen Meer, vom Nordpol bis zum Schwarzen Meer. In Dutzenden von Sprachen kettet Moskau Millionen von Menschen an seine Ideen. Das hindert natürlich nicht, daß die staatsrechtliche Fiktion politisch ausgenützt' wird. Die Ukraine und Weißrußland sitzen in der UNO so, als ob Sie den Dominien des britischen Empires gleichzustellen wären.

Das hat bisher keine allzugroße Bedeutung gehabt. Doch jetzt beginnt die föderative Fassade bei der großen sowjetischen Offensive in Asien und in Afrika ihre Rolle zu spielen. Es ist ja bezeichnend, daß auf den Vorschlag des burmesischen Ministerpräsidenten, die Sowjetunion möge dem Bandung-Pakt der asia Gesicht des vielseitigen und doch einheitlichen Reiches zeigen. Im Rate der farbigen Völker soll die Sowjetunion durch farbige Menschen, die offiziell „farbige Republiken“ repräsentieren, vertreten sein. Natürlich würden die Vertreter der asiatischen Sowjetrepubliken haargenau nach Moskauer Direktiven in diesem Rate sprechen und handeln.

Theoretisch kann die Regierung im Kreml dieses Spiel in zahlreichen Varianten wiederholen. Die baltischen Republiken Lettland und Estland und teilweise auch die finno-karelische Republik sind protestantisch. Ihr westlichskandinavisches Kulturgesicht könnte gegebenenfalls auch als diplomatische Karte verwendet werden. Aehnlich ist es mit dem römisch-katholischen Litauen, mit seiner typischen, stark polnisch beeinflußten westlichen Kultur. Die moldauische Sowjetrepublik mit rumänischer Sprache kann immer auch als ein Mitglied der Völkerfamilie des Balkans gelten. So kann die Sowjetdiplomatie immer wieder, wenn es opportun ist, eine andere völkische Maske sich vorsetzen. Doch noch ist es nicht soweit. Vorläufig können nur die asiatischen Untertanen ins Spiel eingesetzt werden, im großen Spiel um Asien und Afrika.

Noch interessanter ist, daß man auch die noch vor kurzem blutig verfolgten Religionsgemeinschaften in steigendem Maße in der sowjetischen Außenpolitik eingesetzt hat. Ganz so neu ist diese Taktik allerdings nicht. Denn von Anfang an ging eine Religionsgemeinschaft mit den Sowjets zusammen. Wir meinen die armenisch-gregorianische Kirche. Sie ist auch in der schlimmsten Sowjetzeit nie verfolgt worden. Unangetastet, ja von den Sowjetbehörden immer mit Respekt behandelt, saß und sitzt der „Katholikos aller Armenier“ im prachtvollen Etschimandse bei Eriwan in Sowjetarmenien. Hier näher auf die Gründe dieser Erscheinung einzugehen, würde zu weit führen. Sie liegen in der eigenartigen Geschichte des von den Türken so furchtbar verfolgten und fast über die ganze Erde zerstreuten armenischen Volkes. Wenn es aber zu einer gewissen Interessengemeinschaft zwischen Sowjetregime und dem „Katholikos“ in Etschimandse gekommen ist, dann deshalb, weil die Armenier in einer armenischen Sowjetrepublik so etwas wie eine nationale Heimstätte sahen und der Kreml über die zahlreichen Armenier in aller Welt auf das Ausland einzuwirken hoffte. Selbstverständlich war der diplomatische Ertrag aus dieser Verständigung für das Sowjetregime nicht besonders groß. Ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, daß sie gewissermaßen das Musterbeispiel bildete, wie ein an und für sich atheistischer Staat sich mit einer religiösen Gemeinschaft verständigt und diese Verständigung diplomatisch auswertet.

Wenn der Kreml noch nicht alle Religionsgemeinschaften, die es in der Sowjetunion gibt, außenpolitisch einsetzt, so aus zweierlei Gründen: Entweder steht einer solchen Verständigung das Mißtrauen entgegen oder es fehlen gemeinsame Interessen. Denn die Männer im Kreml geben nichts auf die geistig-religiöse Seite der Probleme, sie kalkulieren nüchtern: Was bekomme ich und was muß ich dafür zahlen? Diese Rechnung scheint heute bei der russisch-orthodoxen Kirche aufzugehen. Denn was strebt das wiedererstandene Moskauer Patriarchat an? Vor allem die Expansion. Moskau will zum einzigen ökumenischen Patriarchat werden, wie der russische Ausdruck lautet, zum „dritten Rom“. Die Sowjets erkannten sehr bald ihre Vorteile: innerpolitische vor allem während des Krieges, nach dem Kriege außenpolitische. Und so sehen wir jetzt ein beinahe groteskes Bild: Auf vielfache Art sucht der Kreml, selbst „gottlos“, das Prestige des Patriarchen nach außen zu heben, durch Paläste und Gebäude, durch das Aufziehen hoher Geistlicher in vollem Ornat bei den Paraden auf dem Roten Platz, als „Ehrengäste“ im Blickfeld der ausländischen Diplomaten, durch Ordensverleihungen an die Hierarchie. Wenn russische Prälaten ins Ausland reisen, dann umgeben sie die sowjetischen diplomatischen Missionen mit einem Schleier von Respekt. Als vor einigen Jahren russische Prälaten über Paris reisten, wurden sie auf dem Flugplatz persönlich vom dortigen Sowjetbotschafter empfangen. Ehrfurchtsvoll griff er dem höchsten unter ihnen, einem Erzbischof, unter den Ellbogen, als dieser das Flugzeug verließ, und genau so half er ihm ins Auto steigen (seinem höchsten Vorgesetzten hätte er natürlich diese Ehrfurchtsbezeigungen nicht erwiesen, denn das geht gegen den kommunistischen Comment). Lind das tat ein Botschafter, der Mitglied der kommunistischen Partei ist, offiziell konfessionslos und im Parteistatut verpflichtet wird, die Religion zu bekämpfen. Als russische Geistliche Rom besuchten,, sah beinahe die ganze Stadt, daß sie nicht nur Ehrengäste der Sowjetbotschaft waren, immer hofiert von den Botschaftsbeamten, sondern, daß sie ebenfalls dauernd in den „CD“-Wagen des Botschafters herumfuhren.

Das Patriarchat in Moskau führt ein großes Außenamt, dessen Tätigkeit sich immer mehr erweitert. Seine Operationsgebiete sind schon längst nicht mehr bloß die orthodoxen Glaubensgenossen im Ausland. Dadurch, daß tischen und afrikanischen Staaten beitreten, Ministerpräsident Bulganin zur Antwort gab, es sei besser, die asiatischen Sowjetrepubliken würden zum Beitritt eingeladen als die Sowjetunion in ihrer Gesamtheit. Die Sowjetdiplomatie will so nach Asien hin das asiatische der Moskauer Patriarch zur höchsten Autorität der autokephalen orthodoxen Kirchen in den Satellitenstaaten geworden ist, besteht eine Klammer mehr, die diese Staaten bei Moskau festhält. Moskau gewinnt damit Einfluß auf jene Teile der Bevölkerung in diesen Staaten, die dem Kommunismus sonst unzugänglich sind. Indessen reicht der Einfluß des Moskauer Patriarchates bereits weit über die Satellitenstaaten hinaus. Er macht sich überall dort bemerkbar, wo orthodoxe oder sonstwie antirömische Gläubigkeit herrscht. So unterhält das Moskauer Patriarchat Verbindungen mit Jerusalem, mit Antiochia und zeitweise mit der koptischen Kirche in Abessinien. Wer jedoch ein Freund des Patriarchen in Moskau wird, wird damit gleichzeitig auch zum Freunde des Kremls. Er braucht deswegen gar nicht Kommunist zu werden.

Der Erfolg ist bereits beachtlich. Der orthodoxe Patriarch von Jerusalem, ein Grieche, ist sozusagen neutralisiert. Er äußert sich nie gegen die Sowjets. Der Patriarch von Antiochia ist ausgesprochen sowjetophil. Vom orthodoxen Patriarchen in Damaskus werden wir noch hören. Der Patriarch und der Kreml — beide haben von den Erfolgen profitiert. Der Einfluß Rußlands auf die orthodoxen Christen des mittleren Ostens ist bald genau so groß wie zur Zeit der Zaren. Auch damals waren diese Instrumente der russischen Außenpolitik. Jeder Erfolg der russischen Kirche im Auslande ist eben auch ein Erfolg der Sowjetregierung.

Es ist nicht richtig, daß die russische Kirche auf Schritt und Tritt vom Sowjetregime überwacht und ihr jede Handlung vorgeschrieben wird. Die Interessengemeinschaft ist, was die Außenpolitik betrifft, so eng geworden, daß dies gar nicht mehr notwendig erscheint. Das Moskauer Patriarchat hat die Aufgabe übernommen, auch unter anderen als nur orthodoxen Kirchen für Rußland zu werben. Es ist der Patriarch, der die Geistlichen anderer Konfessionen aus dem Auslande nach der Sowjetunion einlädt.Er wird damit zum Vertreter aller christlichen Konfessionen in der Sowjetunion gemacht.

Mit allen christlichen Konfessionen versucht der Moskauer Patriarch in Verbindung zu treten, m i t Au s nähme der römischkatholischen Kirche. Hier ist er fanatischer und unbeugsamer als die Sowjetregierung selbst. Denn für diese ist ja auch die römisch-katholische Kirche so gut oder so schlecht wie jede andere. Für die Männer im Kreml gilt nur der politische Vorteil. Sie würden auch zum Vatikan Beziehungen aufnehmen, wenn sie einen politischen Vorteil darin sähen. Doch vorläufig werden die Katholiken in Rußland politisch verdächtigt und streng überwacht. Jeder Verkehr katholischer Kreise mit dem Auslande ist streng verboten. Und das Moskauer Patriarchat wacht mit Argusaugen, ob . man nicht im Kreml etwa Miene macht, Beziehungen mit Rom aufzunehmen. Das ist das einzige, was das gute Einvernehmen zwischen der orthodoxen Kirche und dem Kreml stören könnte!

Bisher waren es zwei Religionsgemeinschaften, die sich freiwillig in den Dienst der Sowjetdiplomatie gestellt haben, die russisch-orthodoxe und die armenische Kirche. Sie haben dem Kreml auch große Dienste geleistet, vor allem im Nahen Orient. Jetzt wird noch eine dritte Religionsgemeinschaft in den Dienst der roten Außenpolitik gestellt — der Islam. Die Vorbereitungen dazu währen schon seit einem Jahr. Jetzt, im Zusammenhang mit dem russischen Vorstoß in Mittelost und in den arabischen Ländern ist das besonders interessant. Dabei erleben wir bereits etwas sehr Merkwürdiges, daß nämlich orthodoxes Christentum und Islam Hand in Hand im Kampfe für die sowjetische Außenpolitik stehen. Der Patriarch von Damaskus, ein Syrier und kein Sowjetrusse, hielt bekanntlich eine scharfe, haßerfüllte Rede nicht nur gegen den Staat Israel, sondern die Juden überhaupt Nun, antisemitische Vorstöße orthodoxer Hierarchen gab es auch früher sehr oft. Die politische Opportunität kann auch den Patriarchen von Damaskus dazu veranlaßt haben. — Doch, was vollständig neu, was überhaupt noch nie dagewesen ist, besteht darin, daß dieser Patriarch durch sein Vorgehen eine Gemeinschaft zwischen den Christen und dem Islam unterstrich, das heißt, er stellte eine solche Gemeinschaft nur für die orthodoxen Christen auf. Die Hand Moskaus und die neue Zusammenarbeit zwischen Kreml und Islam werden hier das erstemal sichtbar.

Als eine Gegenaktion dürfen die Besprechungen zwischen Führern des 'Islams und katholischen Prälaten in Rom im Jänner d. J. aufgefaßt werden: Das „dritte Rom“ und das „erste Rom“ treten sich also auch im Ringen um den Islam gegenüber.

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