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Die Geisterbahn wartet schon

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Die beiden großen Parteien, die es nicht ungern hören, wenn man sie als die „staatstragenden“ apostrophiert, haben sich eine originelle Art, den ersten österreichischen Nationalfeiertag zu begehen, ausgedacht. Sie bestand in einem ebenso unerwarteten wie letzten Endes unnotwendigen Budgetkrach, der Demission der Regierung und der Einladung an das Bundesvolk, zu den Urnen zu gehen.

Es bleibt also dabei: Die „inoffizielle Legislaturperiode“ des österreichischen Nationalrates dauert dreieinhalb Jahre und kein Monat mehr. Die in der Verfassung vorgesehenen vier Jahre wurden seit 1945 bezeichnenderweise nur in der ersten Legislaturperiode zu Ende gebracht.

Dabei kam die Krise diesmal auf Taubenfüßen. Noch wenige Tage vor dem gesetzlich festgesetzten Termin der Zuleitung des Bundesvoranschlages für das Jahr 1966 an die Volksvertretung sah es so aus, als ob das zähe Bemühen von Bundeskanzler Doktor Klaus, sein Kabinett über diese Hürde zu bringen und damit die Voraussetzungen für ein ruhiges Auslaufen der Gesetzgebungsperiode im November 1966 zu schaffen, von Erfolg gekrönt sein werde. Am vergangenen Freitag aber fiel das politische Barometer buchstäblich von Stunde zu Stunde. Als Finanzminister Doktor Schmitz um 22 Uhr mit dem knappen Wort „Aus“ das Scheitern aller Bemühungen aussprach, klang das so, als wäre von ihm, aber auch von allen seinen Ministerkollegen eine Spannung gewichen, die zuletzt unerträglich geworden war.

Dabei fällt es schwer, einem durchschnittlichen Bürger mit einfachen Worten klarzumachen, woran letzten Endes die Erstellung des Budgets 1966 gescheitert ist. Die Kürzung der Anlagekredite bei Bahn und Post, die Frage der Subvention des Milchpreises, die Verweigerung eines Kredits für einen Waffenkauf — alles zusammen ungefähr ein oder zwei Prozent des gesamten Haushaltes, nachdem über alle anderen Posten bereits eine Einigung beistand. Nein: es fällt schwer, dies anzunehmen. Die Gründe liegen tiefer. Man war in der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien schon viel früher an einem psychologischen Nullpunkt angelangt als am Abend des letzten Freitag. Nur so konnte sich in der ersten Regierungspartei seit geraumer Zeit schon die Meinung festsetzen und festigen, daß die

Karten neu gemischt werden sollten. Je früher, desto besser. Selbstverständlich spielte die politische Großwetterlage bei solchen Beurteilungen auch eine Rolle. Der Wind, der die Fahnen der CDU in der Bundesrepublik Deutschland soeben gebläht hatte, wehte auch über die Grenze herüber. Der politische Verfall der FPÖ macht zudem offenkundige Fortschritte. In der Volkspartei konnte man sich gute Aussichten auf eine Wählererbschaft ausrechnen. Das Ergebnis der Land-tagswahlen in Tirol schien diese Überlegungen nur zu bestätigen, obwohl niemand anderer als der Chefredakteur des „Volksblattes“ eine für die Partei nicht ungefährliche Euphorie mit der Mahnung, daß es sich hier um eine „Probe ohne Exempel“ gehandelt hatte, dämpfte. In einer solchen Situation fiel es dem Regierungschef immer schwerer, staatspolitischer Verantwortung gegenüber parteipolitischem Denken den Vorrang zu sichern. Er weiß sehr wohl, wie rasch es geht, zum „Kompromißlosen“ gestempelt, als „zu weich“ desavouiert zu werden.

Auch kann man nicht sagen, daß ihm der sozialistische Partner bei dem Bemühen, der Staatspolitik den Vorrang zu sichern, tatkräftig beigestanden wäre. Die geringe Neigung der Sozialisten zu vorzeitigen Neuwahlen war zwar bekannt. Es gibt noch so manche offene Frage, die man in den Reihen der SPÖ vor einem Urnengang gerne in Ruhe aufgearbeitet hätte. Man nahm deshalb an, daß sich die Sozialisten das Zustandekommen des Budget diesmal „die eine oder andere Lokomotive weniger für Probst“ kosten lassen würden. Aber als der Zeiger der Budgetuhr unnachsichtig nach vorne rückte, wuchs auch auf der Linken die Neigung immer mehr, sich einem Wahlkampf vorzeitig zu stellen.

Die Zukunft hat also schon begonnen. Politisch schreiben wir bereits das Wahljahr 1966. Was tut's, daß vier bis sechs Monate die Regierung letzten Endes zu völliger Inaktivität verurteilt ist, daß im nächsten Jahr viele hundert Studenten auf ihre Professoren vergeblich warten werden, deren Berufung zwar bereits eine abgemachte Sache ist, die aber nun nicht mehr durchgeführt werden kann. Ganz zu schweigen davon, daß Österreich auch außenpolitisch im Fall unvorhergesehener neuer Entwicklungen geschwächt dasteht. Alle diese Argumente bleiben unter den Hufen der bereits von links und rechts munter in die Feldschlacht trabenden Schwadronen.

Es steht 81:75:(1):8.

Die abgesteckten Ziele sind eindeutig. Während die SPÖ die Devise „Zusammenarbeit unter einem SPÖ-Kanzler“ bereits seit längerer Zeit ausgegeben hat, visiert die Volkspartei eingestanden oder unein-gestanden die absolute Mehrheit an, von der sie nur zwei Mandate trennen. Zu den offenen Fragen gehört vor allem jene, ob es der FPÖ trotz des schwindenden Wählervertrauens noch einmal gelingt, ein Grundmandat zu erobern und die beschränkte oder allgemeine Wahlempfehlung der KPÖ für die sozialistischen Kandidaten. Franz Olah prophezeien zwar nur mehr wenige eine Rückkehr ins Parlament, aber seine „demokratischen Fortschrittlichen“ können bei dem labilen MehrheitsVerhältnis schon gewisse Korrekturen des Wahlergebnisses herbeiführen. Die Stimmen der Kommunisten könnten für die Sozialistische Partei auch ein Danaergeschenk werden. Erlauben sie doch den Propagandisten der Volkspartei neue Variationen des stets zugkräftigen Themas „Rote Katze“. In der Volkspartei selbst wieder wird man gut tun, die Lehren aus der letzten Bundespräsidentenwahl neu durchzudenken. Eine zu starke auch nur propagandistische Orientierung der Partei auf die potentiellen Wähler aus der Konkursmasse der FPÖ müßte Stimmbürger aus dem christlich-demokratischen und vaterländischen Stammkader der Partei vergrämen.

Die politischen Auguren sind sich darüber einig, daß man die nächsten Wochen und Monate einmal zu den unerfreulichsten der österreichischen Innenpolitik der letzten zwanzig Jahre zählen wird Die Geisterbahn steht schon bereit! Hier wird die Gefahr für das Abendland beschworen, dort die drohende schwarze Diktatur an die Wand gemalt werden. Bilder von den Barrikaden des Jahres 1934 gefällig? Oder ein Plakat „Nazi nach Sibirien“ aus dem Jahr 1945? Nur einsteigen, der Zug geht gleich ab. Kinder und Militär in Uniform zahlen die Hälfte.

Und was dann? Wenn dieser Winterfeldzug weder der Volkspartei die absolute Mehrheit einbringt noch der SPÖ den Traum vom sozialistischen Kanzler erfüllt, wenn die österreichischen Wähler wieder einmal die Gewichte in beiden Waagschalen nur um einige Gramm verändern, wenn wir am Abend des Wahltages nicht weit entfernt von jenen Ort halten, von dem wir am Abend des 22. Oktober aufgebrochen sind? Der österreichische Wähler hat schon mehr als einmal Beweise seiner geringen „Veränderungsfreudigkeit“ geliefert.

Mit gutem Grund hat der Kommentator in der „Kleinen Zeitung“ (Graz) festgehalten:

„Das Volk soll nun in Neuwahlen über den künftigen Kurs Österreichs entscheiden und den Teufelskreis der Blockierung unseres demokratischen Systems durch zwei nahezu gleich starke politische Gruppierungen unterbrechen. Die Frage bleibt offen, ob die Neuwahlen ein so eindeutiges Ergebnis wirklich liefern werden. Zum Unterschied von allen bisher stattgefundenen Wahlgängen, bei denen stets die Gleichgewichtsparole beschworen wurde, streben diesmal beide Koalitionsparteien offen und ohne Umschweife die Mehrheit an. Das ist ihr demokratisches Recht. Aber es besteht kein Zweifel, daß dieses offen, eingestandene Streben nach absoluter Mehrheit die Wahlauseinandersetzung noch schärfer, noch härter, ja wahrscheinlich noch unfairer gestalten wird. Das politische Barometer in Österreich steht damit auf Sturm Und genau das muß den Staatsbürger mit Sorge erfüllen, der sich fragt: Glauben die 1 iden großen Parteien wirklich, bei den kommenden Wahlen eine solche Mehrheit erringen zu können? Oder ist nicht vielmehr zu erwarten, daß die Mehrheitsverhältnisse abermals sehr knapp ausfallen werden und einer ohne den anderen nicht auskommt?

Beide Parteien müssen daher unserer Meinung nach alles vermeiden, was die innere Gemeinsamkeit Österreichs zerschlagen könnte. Der Wahlkampf mag hart, mag scharf geführt werden. Anders geht es bei einer solchen Auseinandersetzung nicht. Man soll aber die gemeinsame Basis dieses Staates, die gemeinsamen Überzeugungen seiner Bewohner nicht in Frage stellen, sonst könnten die letzten Dinge ärger sein als die ersten!“

„Schwarz“ oder „Rot“, so wird das Feldgeschrei in den nächsten Wochen und Monaten lauten. Und es wird sehr kräftig durch die Lande erschallen. Grund genug, die gar nicht so unaktuelle Forderung zu erheben, dabei Rotweißrot nicht ganz zu vergessen.

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