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Meinungsforscher- Wahlen?

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Luis Bunuel, der großartige spanische Filmregisseur, läßt in seinem — inzwischen zur Filmgeschichte aufgerückten — Werk „Der Würgeengel" eine bürgerliche Abendgesellschaft nicht auseinandergehen. Unsichtbar an andere gekettet, sucht jeder Teilnehmer einen Weg ins Freie — allein. Aber keiner hat die Kraft dazu.

Österreichs Großparteien suchen einen Weg nach „außen“. Man könnte es eine Flucht nach vorne nennen. Aber auch ihnen fehlt bislang die Kraft dazu. Wahlen kommen 1975 sicher — falls schon im Frühjahr, so nur durch einen Akt der Exhibition. Man scheut sie mit gutem Recht.

Was soll eine Verkürzung der Legislaturperiode auch bringen? Warum soll der Staatsbürger Verständnis dafür haben, daß sich die Politiker quasi selbst aus ihrem mit der Wählerschaft geschlossenen Pakt entlassen?

Zweifellos doch nicht deshalb, weil wir 1975 ein niveauvolleres oder ex- peditiveres Parlament bekommen. Angesichts des Auswahlmodus der Abgeordneten in den Parteien — an dem sich seit Anno Schnee nichts geändert hat — ist das auch gar nicht zu erwarten. Kommen klarere politische Verhältnisse, braucht eine Regierung eine neu konstruierte Mehrheit? Keinesfalls. Eine Alleinregierung ist in der glücklichen Lage, einfache Gesetze jederzeit durch das Parlament zu bringen; nach dem Experiment der Minderheitsregierung war man ja im Herbst 1971 geradezu froh, daß Bruno Kreiskys SPÖ die absolute Mehrheit erreicht .hatte. Warum soll sie denn im letzten Halbjahr nicht mehr jene Reformen erledigen können, die sie sich vorgenommen hat?

Oder kann man nach den Wahlen mit einem breiteren, basisverstärkenden Konsens des Parlaments rechnen? Doch wohl nicht. Die großen politischen Lager sind in Österreich so sehr fixiert, daß das Feind- Freund-Schema die ‘ Szene weiter- behernschen wird. Und für eine Lockerung des Fraktionszwangs, eine Flexibilität der Abstimmungsgrenzen gibt es wohl keinerlei Anzeichen.

Und eine Große Koalition? Sie kann wohl bestenfalls ein Zeitbündnis für die schlechteste Depressions-

phase sein, voll von Junktims und ein Kampf um die besseren Startlöcher mit einer Bereiohsopposition der roten gegen die schwarzen Minister (wie bis 1966). Bleibt die Kleine Koalition, die viele für tot erklären, der man aber bei der Springlebenddgkeit der FPÖ nicht bereits heute ihr Abschiedslied singen sollte. Das ist aber dann doppelt unerfreulich: warum soll eine Kleine Koalition mit einem Großen und einem ganz Kleinen besser sein als eine Alleinregierung? Soll die politische Erpressung wirklich zur Maxime der Regierungspolitik werden

— gleich, ob rotblau oder schwarzblau?

Kurzum: Nichts spricht dafür, daß auch nur ein politisch interessierter Österreicher einen Grund sehen könnte, daß wirklich ein halbes Jahr dieser Legislaturperiode verlorengeht. Permanenter Wahlkampf

— den gibt es ja heute schon! Und den wird es auch nachher weiter geben. Das ist nun einmal das Elixier der Demokratie, daß sich die Parteien als Konkurrenten gegenüberstehen.

Bleiben taktische Motive: etwa die Tatsache, daß eine Lohnsteuersenkung gerade noch im März positive Assoziationen der breiten Masse der Arbeitnehmer bewirkt; oder auf Oppasitionsseite, daß der ORF- Wirbel nur noch eine gewisse Weile nachwirkt. Aber sollen den nächsten Nationalratswahltermin wirklich die Meinungsforscher festlegen? Eine Wahl nach den Kaffeesudzahlen der Demoskopie-Profis, die sich bei „Zwischentief“-Prognosen ebenso irrten wie bei einer Prognose für die herbstlichen Landtagswahlen?

Diese Regierung hat, ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit, versprochen, ein Programm zu verwirklichen. Es ist zum Teil erfüllt (in bezug auf Strafrecht, Assanierung und Bodenbeschaffung, auf die Schulbuchaktion, die Konzentration in der Verstaatlichten Industrie, die politische Bildungsförderung, den Wehrersatzdienst und die Regelung des Verhältnisses zur EWG); zum Teil nicht erfüllt. Aber das wird der Regierungspartei nicht erspart bleiben, daß sie die Öffentlichkeit, die Opposition und ihre eigenen Parteigänger fragen, warum sie andere große Brocken in dieser Legislaturperiode nicht mehr erledigen will. Denn da ist einiges ja abstimmungsreif, weil seit langem in Parlamentsausschüssen: die Hochschulreform, der „Ombudsman“, Teile des Familienrechts. Da gibt es Bereiche, wo weitgehend sogar Konsens besteht: Medienrecht, Wohnbauförderung, Datenschutz, Geschäftsordnungsreform des Parlaments. Und dann gibt es Punkte der Regierungserklärung, wo einfach Aus- und Durchschlagskraft notwendig wären, um sie zu erfüllen: das Gesamtkomzept für die Sozialversicherung, Maßnahmen gegen das „Sterben vor der Zeit“, Umweltschutzgesetze, Durchführung der Vorsorgemedizdn, Bundestheaterreform.

Wenn die Regierung aber wirklich 1975 chancenreich sein will, dann sollte sie gerade im letzten verbleibenden Jahr der regulären Gesetz- gebumgsperiode den Elan zeigen, den sie am Anfang, 1971, hatte. Er wäre die beste Wahlempfehlung.

Und die Opposition täte gut daran, sich bis zum Herbst 1975 durch weitere Alternativen und Konzepte zu profilieren, damit der Wähler weiß, warum er ÖVP wählen soll.

Wer vorzeitig flüchten will, den frißt der „Würgengel“.

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