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Regierungsparteien und Opposition in Frankreich

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Als die deutschen Truppen 1944/45 das französische Gebiet räumten, hinterließen sie ein teilweise zerstörtes Land, ohne Eisenbahnverbindungen, Verwaltung und staatliche Ordnung, in dem die Gefahr einer kommunistischen Herrschaft bereits aufdämmerte.

Durch eine geschickte Propaganda und ständige Infiltration waren die Kader der Resistance von kommunistischen Parteigängern durchsetzt worden. In der eisten und zweiten konstituierenden Versammlung, Oktober 1945 und Juni 1946, nahm die Kommunistische Partei die erste Stellung ein und Thorez wurde nur mit einigen Stimmen geschlagen, als er seinen Anspruch als Chef der provisorischen Regierung nach dem Rücktritt de Gaulles anmeldete. Auf alle Fälle waren die Kommunisten mit den beiden anderen Parteien, MRP und Sozialisten, in der Regierung vertreten, und die extreme Linke versäumte es nicht, diesen Zustand auszunützen. Die Gefahr wurde ihren Partnern sehr bald klar, und das MRP sah sich im Sommer 1947 genötigt, der Sozialistischen Partei den Vorschlag zu machen, sich der kommunistischen Minister zu entledigen. Unter Einfluß des rechten Flügels dieser Partei, die weit davon entfernt war, in der kommu-n;stischen Ideologie ihr Programm zu sehen und vielmehr einen Wohlfahrtsstaat im Geiste der Französischen Revolution anstrebte, entschloß sich die SFIO, dem MRP die Unterstützung zu gewähren. Eine Entscheidung europäischen Ausmaßes war getroffen worden. Die Kommunistische Partei mit ihren 182 Abgeordneten und ihrem ausgezeichneten Propagandaapparat wurde damit in die Opposition verwiesen. Es dauerte allerdings noch Jahre, bis die Verwaltung und die Polizei von ihren Einflüssen gesäubert worden war. Aber die ständige Drohung eines bewaffneten Aufstandes wurde ebenso ausgeschaltet, wie die Gefahr der Lahmlegung der französischen Wirtschaft durch die Streikwellen, die das willige Werkzeug der Partei, die CGT, auszuführen hatte.

Freilich, auch heute noch stellt die Kommunistische Partei einen Machtfaktor ersten Ranges in Frankreich dar. Ihre Presse zählt eine in Hunderttausende gehende Auflage, die festgefügten Truppen der Partei gehorchen jedem Befehl des Zentralkomitees. Der große Bluff der Friedenskampagne benützt die Friedenssehnsucht des Volkes, um eine Schwächung der westlichen Verteidigungskraft

Vergl. den Aufsatz desselben Autors „Von der dritten zur vierten Republik in Folge VI/31 der „Furche. herbeizuführen. Teile der Intelligenz — wir erinnern an den Atomforscher Joliot-Curie, Schriftsteller wie Aragon — lassen •ich zu Werkzeugen einer Partei machen, die selbst, je nach Bedarf, ihre Linie ändert. Alle bisherigen Nachwahlen haben gezeigt, daß die Kommanistische Partei im allgemeinen ihre Stellung halten konnte oder nur leichte Verluste auf dem Lande hinnehmen mußte, in den Industriestädten jedoch einen Stimmenzuwachs verzeichnete.

Dem ausländischen Beobachter wird vielfach die Stärke der Kommunistischen Partei Frankreichs unverständlich sein. Ohne Zweifel steht der Hang vieler Franzosen möglichst „Links“ zu stehen, Pate bei der Entwicklung der Kommunistischen Partei, Als die Sozialisten sichtlich in die Mitte rückten, verbürgerlichten, ihren ursprünglich revolutionären klassenkämpferischen Geist verloren, machte ein Teil der Arbeiterschaft und Intelligenz diesen „Verrat“ nicht mit und schloß sich den Kommunisten an. Ohne für die kommenden Wahlen eine sichere Voraussagung zu wagen, kann angenommen werden, daß die Kommunistische Partei mit Beibehaltung des proportionel-len Systems die ungefähr gleiche Anzahl von Abgeordneten haben wird wie 1946, bei Anwendung des Majoritätssystems dagegen 50 bis 70 Sitze verlieren dürfte. Natürlich wird das Steigen oder Fallen der Kommunistischen Partei von der gesamten wirtschaftlichen und politischen Lage des Landes bestimmt werden.

Zu ungefähr gleicher Zeit, da die Kommunisten in die Opposition verwiesen wurden, regte sich eine andere, mindestens ebenso gefährliche Opposition, die Bewegung de Gaulles.

Des Generals unerhörtes Prestige, die Furcht weiter Kreise des Mittelstandes vor einer unmittelbar bevorstehenden kommunistischen Revolution ließen seine Bewegung, RPF (Rassemblement du Peuple Francais), zur mächtigen Massenorganisation anschwellen und bereits 1948 waren in einer der Kundgebungen in Paris beinahe 500.000 Menschen versammelt. Er verkündete jedoch kein Programm, sondern erging sich gewollt in allgemeinen Redensarten, die jedesmal in der Verurteilung des Parteienregimes endeten. Er zog heterogenste Kräfte an: Katholiken und Radikale, das mittlere Bürgertum, die Unternehmer, die konservativen Kreise als die Vertreter einer staatlichen Ordnung, besonders jedoch jene fließenden Wählermassen, die zwischen der Mitte und der Rechten pendeln, ohne sich doktrinär der Partei anzuschließen. Obwohl der General immer wieder gegen den Begriff einer Partei auftrat, war es nur zu natürlich, daß seine Bewegung sehr bald den Charakter einer solchen annehmen mußte.

Die Gemeinderatswahlen, wie die für den Rat der Republik (Zweite Kammer), biachte dem Gaulllsmus großartige Erfolge. Und in diesen Monaten stand de Gaulle mehr als je vor einem neuerliehen Machtantritt. Aber wiederum zeigte sich der individuelle Geist Frankreichs. Während bereits im Ausland eine Regierung de Gaulles angekündigt wurde, verstand es die Regierung Schuman, den Arbeitsfrieden wieder herzustellen, die Währung zu stützen und die internationale Stellung des Landes zu stärken. Und de Gaulle wagte nicht die Insurrektion. Von Woche zu Woche versprach er seinen Anhängern die Macht, aber nichts ist tödlicher für eine revolutionäre Bewegung, als warten zu müssen, besonders wenn die Kassen leer werden. Aus der . ursprünglichen Massenbewegung wurde im weiteren Verlauf eine Partei mit dem dazugehörigen Apparat und Minimumprogramm.

Während die alten Freunde de Gaulles entweder dem MRP treu blieben oder sich gänzlich aus der Politik zurückzogen, scharten sich um ihn schillernde Gestalten, wie ein Malraux, ehemaliger kommunistischer Kömmandant in China und Spanien, und nebenbei einer der besten Schriftsteller des heutigen Frankreich, einer der wenigen überzeugend großen Abenteurer unserer Zeit. Neben ihm finden wir Vallon, früher Sozialist, Soustelle, der ebenfalls von der Linken kommt, und der bekannte Widerstandskämpfer Oberst Remy, der sein Eintreten für den Marschall Petain mit Ausschluß aus der Bewegung bezahlen mußte.

Die Opposition nach rechts hin wird durch eine zweite Partei fortgesetzt: PRL (Parti Republicain de la Liberte), die mit 34 Abgeordneten, Kreise der Armee, des besitzenden Bauernstandes, intellektuelle und geschäftliche Interessen verschiedenster Provenienz repräsentierte. Diese Partei, welche als die extrem Rechte gilt, ist durchaus gewillt, auch auf sozialem Gebiet gewisse Konzessionen zu machen und darf in keiner Weise als Ausdruck des Kapitalismus angesehen werden. In ihr gruppieren sich die strengen Verteidiger der „freien Schule“, ein oft enger Nationalismus verbindet sich mit einem energischen Kampf gegen den Kommunismus.

Unter Freiheit versteht der PRL die natürlichen Postulate des Menschen, in persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Die freie Konkurrenz der Wirtschaft und der Kampf gegen die Planwirtschaft, der Wunsch nach Änderung der Verfassung im Sinn einer starken Exekutive machen aus der Partei wohl kein Element des Kampfes, aber den sicheren Ausdruck einer soziologisch festumschriebenen Wählermasse.

Die Opposition als solche wird schließlich noch vervollkommnet durch eine kleine Gruppe, die sich aus ehemaligen Abgeordneten des MRP zusammensetzt und sich Unabhängige Volksdemokraten nennen. Unter der Führung des früheren Kriegsministers Michelet vertreten sie die Linie de Gaulles im Parlament und haben sich der nicht zahlreichen, aber aktiven Zwischengruppe der Gaullisten angeschlossen, die sich aus individueller Mitgliederschaft der Abgeordneten des PRL, der Radikalen wie der Unabhängigen gebildet hat.

Die Sozialisten, welche seit dem Tode Leon Blums keine Ansätze einer konkreten Politik zeigen und doktrinär die Krise des westlichen Sozialismus illustrieren, haben wiederholt aus wahltaktischen Erwägungen heraus es vorgezogen, Opposition zu markieren und in heiklen Situationen, wie kürzlich, Regierungen zu stürzen. Alles weist darauf hin, daß die Sozialistische Partei Frankreichs dem großen Prozeß der europäischsozialistischen Parteien folgen wird, der entweder zu einer Regeneration führt, indem die politischen Begriffe klar und neu definiert werden, oder in absoluter Sterilität endet.

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Die Radikalen haben mit der Demokratisch-sozialistischen Union der Resistance (UDSR) eine Arbeitsgemeinschaft unter dem Titel RGR (Rassemble-ment des gauches republicains — Sammlung der republikanischen Linken) gebildet, die nach dem Rücktritt Herriots von Daladier präsidiert wird. Der Name dieser Arbeitsgemeinschaft allein genügt, um sie zu kennzeichnen. In ihr läßt sich vielfach das Großkapital vertreten, mit der historischen Liebe, sich als „Links“ zu gebärden, die Vorkämpfer der Staatsschule, die Paladine der Dritten Republik, die Freimaurer uhd Antiklerikalen, wenngleich letztere Tendenz infolge der gemeinsamen Bedrohung durch die Kommunisten im allgemeinen sehr schamhaft in der Versenkung verschwindet. Parlamentarische Erfahrung verknüpft sich mit dem Hang zur republikanischen Intrige, die Regierungen bildet und stürzt, Finanzskandale und politische verbinden sich mit technischen Kenntnissen zu einer meisterhaften Beherrschung des Verwaltungsapparats.

Die Partei, welche seit Jahren die bedeutendsten Persönlichkeiten der Vierten Republik geschenkt hat, Staatsmänner von wirklichem Format, wie Schuman, Bidault, Teitgen, das MRP (Mouvement Republicain Populaire) — wird sie sich wieder stabilisieren können oder zu der ehemaligen geachteten, aber einflußlosen Position der Volksrepublikaner vor dem Krieg herabsinken?

Das MRP entsprach einer historischen Notwendigkeit in Frankreich. Nur wurde es durch die einflußreiche Stellung seiner Gründer in der Resistance und das Fehlen einer Rechtspartei ohne die Zeit der Reife und des organischen Wachsens zur unmittelbar höchsten Verantwortung gerufen. Im MRP spiegelt sich am besten das Schicksal der französischen katholischen Jugend wider, die außerhalb des Konservativismus ihrer Väter die Republik, die soziale Reform bejahen und die Mentalität der „Linken“ als Ausdruck einer politischen Doktrin verkörpern. Marc Sangnier, mit seinem „Sillon“, die Männer um „l'Aube“ waren die Vorkämpfer einer Bewegung, die sowohl mit der europäischen Entwicklung der christlichdemokratischen Parteien korrespondiert, als auch mit der französischen Wirklichkeit. Es muß darauf hingewiesen werden, daß das MRP ständig in einer Koalitionsregierung immer zu Kompromissen gezwungen war und sein Programm nur teilweise verwirklichen konnte. Verteidigung der Freiheit des Individuums und der Familie, eine nuancierte Planwirtschaft, keine organische Verbindung zwischen Kirche und Staat, Freiheit der Schulen, der Staat als Schützer der Familie, die klassische Gewaltentrennung sind die'Hauptpunkte dieses Programms, das sich oft mit einer unverständlichen Angst mischt, als reaktionär und rechts zu gelten. In den Reihen des MRP existiert ein beinah triebhafter Hang, gegen die sozialen Ungerechtigkeiten der Gegenwart zu kämpfen, ohne daß die allgemeinen Theorien zu konkreten Plänen heranreifen.

Das MRP ist, wie einer seiner Kritiker meinte, die Partei „des ehrlichen Mannes“. Und in der Tat, sie verkörpert in vorzüglicher Weise die Interessen des kleinen Bürgers, der Hausfrau, des christlichen Arbeiters und des mittleren Verwaltungsbeamten. In ihr gab es niemals große Skandale, keine abenteuerlichen Figuren im Stile eines Malraux. Die Ordnung, die Ruhe, ein Solidarismus zwischen den Klassen ist der Traum seiner Anhänger, wenngleich zwischen den Wählern, welche der Partei als antikommunistische Front ihre Stimme gaben und den Theoretikern und wirklichen Parteimitgliedern eine immer größere Entfremdung eingetreten ist.

Und als de Gaulle auftauchte, wandte sich ein Teil wieder der Rechten zu, indes der linke, oft undisziplinierte Flügel des MRP, enttäuscht über alle Kompromisse, dem Fehlen der Reform an der Basis, sich zu den unzähligen organisierten und spirituellen Gruppen der Linken schlug, während einige Abgeordnete sich erst kürzlich als unabhängige Linke (Gauche independante) im Parlament konstituierten.

In der Öffentlichkeit wird der Partei oft zum Vorwurf der Flirt mit dem Kommunismus 1944/46 gemacht. Eine gewisse Einalterung und die Unmöglichkeit der Jüngeren, in den engeren Führungskreis der Partei vorzudringen, der seit Gründung des MRP hermetisch verschlossen bleibt, entfremdet vielfach wertvolle Kräfte. Auf der anderen Seite vermißt der christliche Wähler die eindeutig christliche Marke und so kann eine leichte Reserve der großen kathb-lischen Organisationen nicht wundernehmen.

Aber alles in allem, wenn eine Partei Frankreich vor einem drohenden Chaos gerettet hat und heute eine neue konstruktive Europapolitik anbahnt, dann kann wohl das MRP das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, und das Wort des derzeitigen luxemburgischen Wirtschaftsministers, Hentgen, das in einer Unterredung mit dem Verfasser dieser Zeilen 1948 in Brüssel gefallen ist, kann auch heute noch wiederholt werden: „Das Schicksal Kontinentaleuropas ist mit dem Geschick des französischen MRPs verbunden.“

Eine entscheidende Schwächung der Partei würde die Gegensätze in Frankreich in besonderer Schärfe hervortreten lassen, .eine Atmosphäre latenter Unsicherheit schaffen und die Stabilisierung der französischen Wirtschaft und Wahrung in Frage stellen.

Die Gegner des MRP sagten noch vor acht Monaten für die künftigen Wahlen einen Fall der Partei von den derzeitig 151 Parlamentssitzen auf 60 bis 80 voraus. Aber inzwischen sind viele dieser Prophezeiungen verstummt. Die Nachwahlen bewiesen eindeutig einen Gewinn für das MRP und der letzte Kongreß von Nantes, mit dem Sieg des gemäßigten Flügels unter Bidault, trug wesentlich zur Klärung und Orientierung der Partei bei. Das MRP ist sicherlich einer der wesentlichen Ausdrucksformen der Vierten Republik geworden. Das Regime wurde von den Männern der Partei zu deutlich geprägt, als daß eine Schwächung der Organisation nicht Folgen für die Institutionen des Staates hätte.

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