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Reise zur serbischen Orthodoxie

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diesem Punkt Europas steht, ist für einen Augenblick schmerzlich ergriffen. Es gibt nur wenige Völker und Länder, deren Kultur mit der österreichischen so dicht und so unzerreißbar verbunden ist wie die der Serben und ihres Landes; es gibt aber auch keinen Strang der politischen Staatengeschichte Euopas, der schließlich zu einem so unlösbaren Knoten verwirrt worden ist wie der zwischen Wien und Belgrad.

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diesem Punkt Europas steht, ist für einen Augenblick schmerzlich ergriffen. Es gibt nur wenige Völker und Länder, deren Kultur mit der österreichischen so dicht und so unzerreißbar verbunden ist wie die der Serben und ihres Landes; es gibt aber auch keinen Strang der politischen Staatengeschichte Euopas, der schließlich zu einem so unlösbaren Knoten verwirrt worden ist wie der zwischen Wien und Belgrad.

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Dia Wand des Tagungssaales der Synode der serbischen Orthodoxie in Belgrad bedeckt ein Kolossalgemälde:

Angeführt von dem Patriarchen von Ipek, Arsen Cemojevie, ziehen im Sommer 1690 mehr als 39.000 serbische Familien mit ihren kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten und mit ihrer Habe nach Norden über die Donau. Sie entziehen sich den Kriegswirren in der Türkei und begeben sich unter den Schutz Kaiser Leopold f. Der Kaiser sichert den Serben “die freie Ausübung; ihres “orthodoxen Glaubens zu; die Wahrung ihrer Bräuche und Sitten; die unbeeinflußte Wahl ihrer Ordnung und Obrigkeit. Diese, modern ausgedrückt, kulturelle und regionale Autonomie ist für lange Zeit der Pivot der Existenz des Volkes. Denn im österreichischen, genauer: in der Militärgrenze der Backa und Syr-miens, an Theiß und Maros, verfestigt sich zum erstenmal die unter türkischer Herrschaft jahrhundertelang darhiederliegende nationale Kultur der Serben; entfaltet sich Ihre autokephale Kirche; wird der Raum zwischen Karlowitz und Novi Sad die Fluchtburg des Serbentums. Erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts bricht im Süden, jenseits der Donau, die nationale Revolution aus, die eine erste Bresche in die Herrschaft der Türken über Altserbien schlägt. Auf das Fundament des Serbentums in der Vojvodina reflektieren heute mit der größten Unbefangenheit und Selbstgewißheit der orthodoxe Priester und der Funktionär der staatlichen Kultusverwaltung; der fortschrittliche Intellektuelle im Kulturzentrum Matica Srpska und der traditionsbewußte Angehörige irgendeiner der Volksgruppen des Landes.

Hier, in der Backa, erlebt der Österreicher eine Orthodoxie, deren äußere Gestalt ihm vertraut und zugleich ein wenig fremd anmutet. Die kirchliche Kunst steht vielfach unter dem Einfluß des Barock. Der Betrachter, der auf die Ikonenmalerei nach byzantinischen Traditionen der Ostkirche eingestellt ist, wird immer wieder künstlerischer Beziehungen gewahr, die ab dem 18. Jahrhundert mit Wien bestehen. Die Akademie der Bildenden Künste in Wien hat hier weit verstreute und unverlierbare Traditionen für sich. Ähnliches gilt für die Kirchenmusik, von der wir in der Bischofskirche in Novi Sad eine erlesene Probe zu Gehör bekommen; tiefe Frömmigkeit und Einfühlung und Musikalität, die der österreichischen in Stil und Gehalt verwandt ist, verstärken die optische Einstimmung auf das religiös Wesentliche einer Orthodoxie angesichts der barocken Ikonostase.Sprache und Literatur, Baukunst und Malerei, Musikaltät und Erziehung sprechen für Traditionen, die dem österreichischen oft so verwandt sind, daß immer wieder Fundamente des Gemeinsamen sichtbar werden.

Ob es im Empfangssaal des Bischofs in Novi Sad geschieht oder in den Gängen des Klosters von Kuvlij; von den Wänden sprechen die Abbildungen historischen Geschehens eine überwältigende Sprache: Da ist der Metropolit Rajecic, geschmückt mit den Sternen des Leopoldsordens und des Ordens der Eisernen Krone. Neben dem Brustkreuz, das er anstatt des sonst gebräuchlichen Medaillons trägt, werden die Kollan dieser hohen Auszeichnungen sichtbar. So dekoriert wurde bis 1918 kein orthodoxer und kein katholischer Erzbischof mehr wie dieser serbische Metropolit, der am 13. Mai 1848 die auch von Belgrader Nota-beln und Studenten besuchte Volksversammlung nach Karlowitz einberufen hat, um die serbischen Landschaften als Vojvodina (= Herzogtum) in der Treue zu Wien zu vereinigen. Keine Treue wurde von den Zentralstellen in Wien so vertan wie diese in der Sternstunde des Austroslavismus; und so sind heute dessen Traditionen leer und verschollen wie die Gräber auf dem St. Marxer Friedhof.

Das multinationale, empire „Völkerkerker“ und „Vormacht des Katholizismus“ war Versuchsstätte religiöser Toleranz und christlicher Einigungsbestrebungen, bevor sich dieser hohen Aufgabe die organisierte ökumenische Bewegung und die ratio der Theologen angenommen hatten. Der kürzlich verstorbene Direktor des österreichischen Kriegsarchivs und spätere Direktor des Staatsarchivs Oskar Regele erinnert in seiner Biographie des Feldmarschalls Conrad an jene Szenen im ersten Weltkrieg, in denen Imame bosnisch-herzegowiinischer Regimenter den nichtmuselmani-schen Verwundeten letzten Trost spendeten; und an jenen Feldkura-ten des Salzburger Hausregiments, der sich in Galizien der jüdischen Flüchtlinge ebenso angenommen hat wie der Verwundeten orthodoxen Glaubens in feldgrauen und erdbraunen Uniformen. Für unsere serbischen Gastgeber war es eine Selbstverständlichkeit, einen Tag für den Besuch ihrer kirchlichen Einrichtungen und einen für die Begegnung der Katholiken aus Wien mit ihren Glaubensbrüdern zu reservieren. In unserer Erinnerung steht der Besuch beim römisch-katholischen Bischof in Subotica. 50 Jahre nach der Grenzziehung von 1919 ist die Diözese im Vorjahr errichtet und das Provisorium der apostolischen Administratur beendet worden. Der Bischof führt uns durch das kürzlich neu erbaute Knabenseminar der Diözese. Hier, so wie in den Lehranstalten der Orthodoxen Kirche, ist der Besucher aus dem Westen betroffen angesichts der eindrucksvollen Quantitäten und Qualitäten des Priesternachwuchses. Auch hier geht es mit Feuer und Bewegung vorwärts; aber die Resultante schlägt nicht nach innen hin aus, sondern markiert einen unübersehbaren Fortschritt.

Die vita communis der Konfessionen ist auch heute in diesem Land nicht nur der Ertrag aus organisierten Bemühungen der Hierarchen, des Klerus und der Theologen. Das spüren wir, als wir in der orthodoxen Kathedrale von Novi Sad stehen. Um uns sind Orthodoxe und Katholiken in gleicher Zahl und zahlreich; die katholischen Ordensschwestern geben uns einen herzlichen Gruß; der orthodoxe Eräpriester findet Worte der Begrüßung und der Erklärung, von denen keines zwischen den eigenen Gedanken der Zuhörer zu Boden fällt; immer wieder werden Namen des Kardinals in Wien und seiner Stiftung genannt. Der Gast aus Wien darf in der Kirche antworten; nachher drängen sich Menschen an uns heran; sie sind froh, daß wir gekommen sind; sie weisen sich nicht nach Konfessionen aus; es sind „Gewesene“, unverkennbar in Haltung und Ausdruck und Jedermann; und sie reden ohne Phrase.

Die Stiftung Pro Oriente ist für die Begegnung mit der Ostkirche da. Sie hat keinen Auftrag in den Beziehungen von Staat zu Staat und sie hat keine außerkirchliche Funktion im Sinne eines politicum. In Pro Oriente soll der genius loci von Wien präsent sein. In diesem Sinne reflektieren auch die staatlichen Kultusverwaltungen der autonomen Provinz Vojvodina, der föderativen serbischen Republik und der Volksdemokratie Jugoslavien auf den Besuch der Delegation von Pro Oriente. Es geschieht in der untadeligen Form der Gastfreundschaft, so wie sie landesüblich ist. Das Gespräch vollzieht sich ohne politische Chiffren. Dabei ist die Konfrontation der Kommunisten und der Christen prägnant und eindeutig. Die Trennung von Staat und Kirche und die soziale Revolution sind vollzogen, und die Narben davon sind sichtbar. In diesen Kategorien denkt man nicht das Gleiche; aber man ist sich in einem Punkt einig: Die Distanz wird nicht mit dem Zollstock kontrolliert. Es existiert eine gewisse Bandbreite, in der Entscheidungen fallen, Konflikten aus dem Wege gegangen wird und Diskrepanzen beseitigt werden können. Und vor allem: Hierin ist es heute anders geworden, als es gestern gewesen ist. In dem Dreiecksverhältnis Religion, Politik, Staat hat nicht nur ein Eckpunkt den Standpunkt verändert. Wie überall ist der Dialog unter den Christen auch eine Herausforderung der „anderen“ zum Dialog mit den Christen. Diese Tatsache verdient bei jenen in der Welt des Westens Beachtung, die da und dort nach einem oft uferlosen Dialogismus in der Gesprächsbereitschaft zu ermüden anfangen.

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