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Bogumilengräber

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Wolkenlose Spätsommerzeit wirft ihre weißgoldenen Sonnenreflexe auf die steile Serpentinenstraße, die aus der feuchtfruchtbaren Sumpfebene von Kameni Most in aussichtsreichen Kurven, an dem men-sdienüberfüllten Gebirgsstädtdnen Imotski vorüber, sich auf die steingrauen Felsenberge der Herzegowina hinaufschwingt.

Es war gerade Mittwochmarkt gewesen. Die Leder- und Fellhändler, Hühner- und Eierverkäufer, die Wolle- und Feigenhausierer brachen ihre Zelte ab, ambulante Krambuden wurden verstaut, unter lustigem Tumult verluden morlackische, resolute Bäuerinnen ihre restlichen bunten Schätze an Tomaten, Paprika, Melanzani, Melonen und Trauben auf Esel und Karren. Das Getöse der Marktleute war unbeschreiblich gewesen, doch nun flaute es ab, blitzschnell war das Städtchen still und leer geworden und wandelte sich mit einem Anfluge von Melancholie wieder ins Alltägliche. Licht,

Farbe, Geräusche — alles war wie eine

Illusion verrauscht.

Doch eine scheinbar undurchdringliche Prozession von Landleuten, hochbeladenen Tragtieren und Leiterwagen zog vor uns her durch die von den verschiedenen Armeen gründlich abgeholzten Wälder, welche, noch von den Österreichern angelegt, den Stolz des Sonnenlandes gebildet hatten.

Immer unwirtlicher gestaltet das leuchtende Himmelslicht die umliegende Steinwelt, bis man gleichsam in eine blaue Leere aufgestiegen ist, eine von fernen Schneebergen eingefaßte, winddurchwehte Hochebene.

Herrenlose Tandstriche. Man hat das kuriose Gefühl, in eine unirdische Landschaft geraten zu sein, in der alle Dinge nur angedeutet, in der man selbst zu einem Schemen eingesdirumpft ist. Kein Haus, kein Feld verscheucht diesen Traumzustand.

Längst sind die Marktleute andere Straßen gezogen, nach den Vinjanidörfern, oder ins Bosnische hinab.

Heulende Hunde tauchen auf, verschwinden wieder, wie Geister, welche andere Geister heimgesucht haben. Girrende Rufe von Zugvögeln vibrieren in der Höhe, es sind Wildenten, die nach den Sümpfen der Tiefebene ziehen, Nomaden der Lüfte, die sich nach wechselnden Stationen sehnen.

So wandern wir die nach Mostar führende Bergstraße, „die Österreicherstraße“ — wie sie heißt —, weiter, bis die sdineebedeckte, wolkengleiche, über 3000 Meter hohe Prenj Planina sich aus blauem Duft der Ferne abhebt.

An einem Punkte wird die Aussicht so fesselnd, daß wir eine Weile rasten wollen. Und wie wir uns seitwärts der Straße auf einen flachen Stein niederlassen wollen, so ist es ein Grabstein. Ein uralter Friedhof liegt hier oben, halb heidnisch, ohne jedes Kreuz.

Diese weithin sichtbare Begräbnisstätte inmitten der verlorensten blaudämmernden Bergregionen enthält Gräber der Bogu-milen, an deren Sekte sich so viele seltsame Legenden knüpfen. Wir sind heute bereits an mehreren derartigen Friedhöfen vorbeigekommen — in Lovrec, nahe vor Imotski, bei Mittelvinj.ini —, doch hatte es der vorwärtsdrängende Strom der Marktbesucher unmöglich gemacht, dort zu verweilen. Nun betrachten wir die großen, merkwürdigen Grabplatten, die hohen Stelen und Sarkophage, in die Sinnbilder des Glaubens, Mensch- und Tierdarstellungen modelliert sind. Wer vermag diese Bildergeschichten zu enträtseln, wer zu deuten, was hier christlich, was muselmanisch, was heidnisch sei! Gewiß, der Fisch, der Pfau, das Lamm, die Schlange sind uns vertraute Symbole, Sonne, Sterne, Weinblatt, Anker, Kreise, Vierecke vermag man zu deuten. Doch die häufig wiederkehrenden hageren Reiterfiguren, behelmt und mit Lanzen bewaffnet, sollten sie die himmlisdien Reiter versinnbildlichen? Sie muten wie hastig in die Schlacht ziehende, wildbewegte Krieger an. Dann ist da mit Orientalischer Phantasie ein Jagdzug dargestellt, zwischen „Lebensbäumen“ sieht man Hirsch, Wildschwein, sogar den lebendig modellierten Löwen, von Hunden aufgeschreckt, vorüberhetzen. Düstere Jäger, mit scharfen, starren Gesichtszügen, schleudern von galoppierenden Pferden aus Wurfsperre nach dem Wild. Manchmal folgt ein Zug langschnäbeliger Wasservögel einer solchen Reiterjagd.

Auf mehreren dieser Grabmäler sind in verzierten Bändern runenartige Zeichen angebracht. Durchwegs primitiv und kindlich, üben diese flachgewordenen alten Reliefs doch einen seltsamen Zauber aus.

Unterdessen hat sich ein einsamer Wanderer dem Friedhof genähert, es ist der Franziskanerpater Fra Ivan, der in den weitverstreuten Dörfern der Gemeinde Vin-jani die Seelsorge versieht. Als wir uns begrüßt hatten, sagte er lachend:

„Ich glaube gar, daß Sie sich in die Kunst der^ Bogumilen vertiefen?“

Wir bitten ihn, uns einiges über diese •usgestorbene Sekte zu erzählen.

„Ausgestorben? Da, sehen Sie: Halbmond und Türkenstern!“

Wir sind neugierig, mehr zu erfahren. Aber erst nach langem Zureden beginnt Fra Ivan zögernd:

„Unter dem schwächlichen Zaren Peter im zehnten Jahrhundert, war in Bulgarien der byzantinische Einfluß erstarkt. Gegen die schwelgerische Lebensführung der Reichen, des Hofes, des Adels und der orthodoxen Hierarchie erhob sich Pope Bogumil unter den Taulikianern, einer in Thrakien als Grenzwächter angesiedelten gnostischen Sekte, und predigte eine neue Gesellschaftsordnung gegen die Machthaber. Wo immer es auf dem - Balkan Unterdrückte gab, konnte seine Lehre auf Zuzug rechnen. Selbst in Byzanz strömten ihr anfäng'ich Neugierige zu, doch vermochte sie sich in dieser üppigen Kaiserstadt auf die Dauer nicht zu halten. Das Schicksal drängte sie westwärts in schwächer besiedelte Länder. Um 1200 war die Sekte in Bosnien, bald auch' in der Herzegowina und in Dalma-cien mächtig. Hier nannte man sie ,Pata-renen'.“

Hier erhob sich Fra Ivan und deutete ftach allen Himmelsrichtungen.

»Überall im Lande finden Sie diese Bogu-milenfriedhöfe. Wir haben sie geduldet, weil wir niemals fanatisch dachten. Als im fünfzehnten Jahrhundert das Türkenheer in den Balkan eindrang, fand es durch den Einfluß der Sekte den Boden vorbereitet, ja, mitunter zogen die Sektierer den .Befreiern' entgegen und schlössen sich ihnen an. Vielleicht haben die Eroberer sie aufgesogen, vielleicht sind sie von ihnen ausgetilgt worden. Spärlich nur sind die Aufzeichnungen aus jener Zeit. Auch unser Orden besitzt nur wenige Überlieferungen über das Kommen und Gehen der Sekte.

Die Lehre der Sekte? Eine neugnostische Satanslehre, nach der Gott in seinem Grimm einen erstgeborenen Sohn Satanael aus dem Himmel gestürzt, dieser aber als ,Mammon' hat die unreine Seele des von ihm geschaffenen Menschen mit seiner Hand befleckt und beherrscht die Welt, bis er von dem zweiten Sohne Gottes gestürzt werden wird. Alles besteht nach Mammons Willen: Himmel, Erde, Luft und Sterne, Mensch, Kirche und Kreuze. Alles dieses ist daher Teufelswerk. Mammon ist der Erschaffer der sichtbaren Welt! Alle, die sich dem Wohlleben ergeben, Fleisch essen, Wein trinken, sind Diener Mammons. Daher mußten die Anhänger der Sekte in äußerster Askese leben, ihr düster-ernstes, vom Fasten bleiches Aussehen wirkte erschreckend.

Sie lachten angeblich niemals, sprachen sehr wenig. Das Alte Testament gilt als Teufelsmache, daher wird es von den Bogumilen verworfen. Von der ersten Keimung bis zum Tode ist der Mensch in Mammons Gewalt, aus der ihn auch die Taufe nicht befreien kann. Nur Gebet und Fasten bringt Rettung!

Satan hat Johannes den Täufer ausgesandt, in seinem Namen die Taufe mit Wasser vorzutäuschen. Deshalb wird bei den Patarenentaufen nur das Vaterunser ausgesprochen. Jeder Madonnenkult, jede Heiligenanrufung ist Teufelserfindung. Darum verwirft die Sekte nicht nur die Kirche, sondern auch kirchliche Gesänge, neigt sich weder vor Kreuzen, noch vor Ikonen und verdammt den Empfang des Altarsakraments. Ihr einziges erlaubtes Gebet ist das Vaterunser, das jederzeit an jedem Orte gesprochen wird. Doch ich vermute, ich habe nun genug über die Bräuche der Ketzer erzählt. Es ist nicht gut, sich mit abgestorbenen Geistern einer finsteren Sekte näher einzulassen. Sehen Sie, wie die roten Streifenwolken nun den hohen Prenj bedecken! Das bedeutet für morgen Schirokko. Ich muß nun dort auf die Bergkuppe nach meiner Kirche im oberen Vinjrmi hinaufsteigen. Besuchen Sie mich bald.“

Eine fremdartige Mystik umwebt die einsame alte Grabstätte. Schemenhafte Reiterfiguren, Sinnbilder eines untergegangenen Volkes, raunen hartnäckig ihre tote Schattensprache. Sie scheint uns noch zu verfolgen, als wir in den t»uf'rv5?“ AK*nd hineinwandern.

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