6636407-1957_18_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Präsident

Werbung
Werbung
Werbung

Nur noch wenige Tage, dann hat Oesterreich wieder einen Bundespräsidenten. Wird er Professor Dr. Wolfgang Denk heißen oder Doktor Adolf Schärf? Darüber zu befinden ist das österreichische Volk am kommenden Sonntag aufgerufen.

Es ist das zweitemal in der Geschichte unseres Landes, daß die Bevölkerung zu den Urnen geht, um den ersten Mann im Staat zu bestimmen. Das zweitemal — und doch: wie selbstverständlich erscheint uns heute schon dieser Gang. Verstummt sind die Stimmen, die uns mehr oder weniger deutlich suggerieren wollten, die Berufung des Staatsoberhauptes durch das Bundesvolk sei eine höchst dubiose Angelegenheit. Sie errege nur die politischen Leidenschaften und koste außerdem Geld, viel Geld. Man täte daher besser, das Geschäft, den Mann zu finden, der Oesterreich, nach innen und außen zu repräsentieren hat, lieber heute als morgen den berufenen Leuten zu überlassen: den Politikern im allgemeinen, den National- und Bundesräteft im besonderen. Verstummt sind diese politischen Sirenenklänge heute; ganz zum 5ehweigert müßten sie kommen angesichts einer Wahlbewegung, die — ungeachtet einiger schäbiger, Attacken berufsmäßiger.. publizistischer Bravos — zu den ruhigsten und nüchternsten gehört, die Oesterreich je. erlebt hat. Noch ist nicht aller- Wahlkampftage Abend; allein die Aussichten jener sind gering, die die Oester- reicher bis tum Sonntag gerne in ein hektisches Wahlfieber hineinsteigern möchten.

Somit steht e i n Ergebnis der Bundespräsidentenwahl vom 5. Mai 1-957, gleichgültig, wer als Nachfolger Dr. Körners in die Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg einziehen wird, bereits fest: Es wird die zweite Wahl eines österreichischen Staatsoberhauptes durch das Volk sein, aber nicht die letzte. Das Recht, den ersten Bürger der Republik in geheimer und direkter Wahl selbst zu berufen, wird man dem österreichischen Volk in Hinkunft kaum mehr streitig machen können.

Doch denken wir nicht an das Uebermorgen, konzentrieren wir uns auf die Entscheidung des kommenden Sonntags.

Denk oder Schärf: das ist die Frage. Die Argumente, die für die Wahl des einen oder des anderen Kandidaten ins Treffen geführt Werden, wurden in hunderten großen und kleinen Versammlungen, in Rundfunkreden und Zeitungsinterviews zur Genüge variiert. Einige klare Tendenzen treten dabekimmer wieder zutage. Die Sozialistische Partei versucht ohne Zweifel, ihrem Parteiobmann im Schatten der großen alten Männer Renner und Körner den Weg in die Präsidentschaftskanzlei zu bahnen. „Wie Renner und Körner” ist ihr immer wieder zu hörender Slogan. Daneben hat sie alles auf eine Karte gesetzt, wenn sie — entgegen einer in breiten Kreisen der Bevölkerung, gleichgültig welcher Partei und Weltanschauung, anzutreffenden Reserviertheit gegen jedes überspitzte Parteidenken — den politischen Fachmann unbedingt mit dem parteipolitischen Experten gleichstellt. Sie scheut sich dabei in ihrer Propaganda nicht, Vizekanzler Schärf mit Toni Sailer und O. W. Fischer in einem Atemzug als Meister ihres jeweiligen Metiers zu preisen. Schon ernster zu nehmen ist der Appell an das wiederholt im österreichischen Volk anzutreffende ,,Gleichgewichtsdenken”, das aus einer zutiefst im Volkscharakter verwurzelten Skepsis und Abneigung gegen zuviel Macht in der Hand einer Person oder Gruppe Nutzen zu ziehen versucht. Die Volkspartei hat diesem Argument einen guten Teil seines Bodens entzogen, als sie sich zur Kandidatur des parteilosen Universitätsprofessors, die auch von den „Freiheitlichen” unterstützt wird, entschloß. Sie wagte damit bewußt ein politisches Experiment. Aber wohin kommen wir, wenn man immer nur ausgetretene Pfade gedankenlos weitergeht? Die Parole vom „Mann über den Parteien” ist jedenfalls gut bei der Bevölkerung angekommen. Das schlichte Auftreten des bekannten Gelehrten und Chirurgen Professor Dr. Denk hat außerdem ein weiteres zur Popularisierung dieser Losung beigetragen. Mit der Kandidatur eine Universitätsprofessors für das höchste Amt im Staat tritt außerdem — und dieses Argument scheint uns nicht das geringste — der Geist wieder heraus aus der unfreiwilligen inneren Emigration. Er begibt sich mitten auf das Forum, er überläßt den politischen Marktplatz nicht mehr allein den geschickten Maklern und den lauten Schreiern. Politische Unerfahrenheit? Sie hätte man auch allen jenen Männern entgegenhalten können, die oft erst nach einem halben Leben gediegener Arbeit in ihrem Beruf dem Appell zur Uebernahme von Verantwortung für Staat und Volk folgten. Das ist doch der oft so betrübliche Unterschied zwischen der Politik von einst und heute. In früheren Jahrzehnten ging man in die Politik oder wurde — wie diesmal Professor Denk — in die Politik geholt, wenn man sich in seinem Beruf einen Namen gemacht hatte und auch finanziell über eine gewisse Unabhängigkeit verfügte. Heute wird gar nicht so selten der umgekehrte Weg bevorzugt. Ergebnis: man steht und fällt mit einer oft noch so geringen politischen Position. Man „klebt”, man verteidigt Würde und Pfründe mit Zähnen und Klauen. Das Gesagte gilt — das sei ruhig bemerkt — nicht für Vizekanzler Schärf. Allein mit seinem Plädoyer, daß die zu Höherem befähigenden „niederen Weihen” der Staatspolitik ausschließlich in einer Karriere durch den Parteiapparat zu erwerben sind, macht er sich zu einem Fürsprecher jener Entwicklung, die zwangsläufig zu dem vielzitierten „Unbehagen in der Demokratie” (Fritz Klenner) führen muß. Die Wahl des Gelehrten und eine darauffolgende glückliche Führung der Geschäfte durch ihn könnte mithelfen, hier einiges ins richtige Lot zu bringen.

So ist also die “Situation am Vorabend der Präsidentenwahl: die Sozialistische Partei will eine staatspolitische Position einem der Ihren erhalten. Sie verteidigt. Sie ist in der Defensive. Auch propagandistisch wirkt sich dies durch eine gewisse Gereiztheit und stärkere Neigung zu gelegentlichen persönlichen Attacken aus. (Dabei kommt freilich mitunter auch ein Pallawatsch heraus: Während das sozialistische Zentralorgan zum Beispiel Denk unlängst zuwenig Rückgrat in der NS-Aera vorwarf, schwenkt ein anderes von der Sozialistischen Partei gefördertes Blatt triumphierend den schon halb verschimmelten NS-Gauakt des Universitätsprofessors, in dem doch schwarz auf weiß zu lesen ist, daß Denk, mit braunen Augen gesehen, ein höchst unsicherer Kantonist war. Und so einem Menschen wird doch kein wahrer deutscher Mann in Oesterreich seine Stimme geben!)

Der Tenor der Wahlpropaganda der Volkspartei ist weit ruhiger. Anscheinend hat man aus den Erfahrungen der letzten Präsidentenwahl die Folgerungen gezogen, daß man mit gehässiger Polemik gegen den Gegenkandidaten mitunter der eigenen Sache auch schaden kann. Außerdem liegt — darüber besteht kein Zweifel — Professor Denk recht gut im Rennen. Wäre die Präsidentenwahl eine reine Addition der Stimmen von Volkspartei und FPOe bei der Nationalratswahl vor genau einem Jahr, so wüßte man schon heute, wie der nächste Bundespräsident heißt. Allein Optimismus darf nicht Sorglosigkeit heißen. Ein Unsicherheitsfaktor, und kein geringer, ist nach wie vor jenes sich zur Zeit „Freiheitliche Partei” nennende Lager.

Wird es geschlossen der Parole seiner Führung folgen? Erfahrungen der Vergangenheit lehren, daß man dafür seine Hand besser nicht ins Feuer legt.

Katholiken und Bundespräsidentenwahl! Auch davon muß die Rede sein. Den Katholiken wird am kommenden Sonntag die Entscheidung nicht allzu schwer gemacht. Mit der Aufstellung von Vizekanzler Schärf, der, wie allgemein bekannt ist, mehr als einmal durch sein persönliches Veto die Erfüllung nicht unbeträchtlicher katholischer Anliegen bis zur Stunde verhindert hat, verzichtete man in der Löwelstraße von Anfang an darauf, bei bestimmten Adressen anzuklopfen. Auf der anderen Seite steht noch dazu ein Mann, der auch in seinem von der Politik entfernten Beruf und in seinem Privatleben es nie gescheut hat, als einer der ihren aufzutreten.

Die österreichischen Katholiken sind aber auch gewohnt, staatspolitische Verantwortung zu tragen. Recht und Gesetz zu hüten versprach Professor Denk mehr als einmal in Wahlkundgebungen. Es gibt aber auch ein u n k o d i- fiziertes Staatsgrundgesetz. Und dieses heißt in Oesterreich: den Aufbau des Staates auf jenen beiden politischen Säulen, die sich in dem letzten Jahrzehnt allein als tragfähig erwiesen haben, fortzusetzen.

Daß Dr. Denk — so ihn die Mehrheit des österreichischen Volkes in das hohe Amt beruft ~ diesem „Geist der Gesetze” unbeeinflußt Rechnung trägt und allen möglichen andersgearteten Ratschlägen — ähnlich wie sein Vorgänger — widersteht, erwarten die österreichischen Katholiken, die am kommenden Sonntag’ den Stimmzettel mit seinem Namen in die Urne legen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung