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Der Bundespräsident empfängt

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Der Bundespräsident hat in der vergangenen Woche die Presse zu sich gebeten. Genauer: Dr. Schärf sprach, wie es in der Einladung zu lesen war, den Wunsch aus, „vor den Vertretern der in- und ausländischen Presse zu erscheinen“. Eine Pressekonferenz des Staatsoberhauptes? Man sieht, das ansonsten nicht leicht in Verlegenheit zu bringende Protokoll hatte einige Schwierigkeiten, den Wunsch des ersten Mannes im Staate, durch die Presse direkten Kontakt mit der Oeffentlichkeit zu nehmen, in seiner Sprache zu verdolmetschen. Das ist kein Wunder. Gibt es doch keine Parallelen hierzu in der schon nicht mehr so kurzen Geschichte der Republik. Von der Monarchie ganz zu schweigen.

Der Gedanke des Bundespräsidenten, neben Diplomaten und Politikern von Zeit zu Zeit auch die Wortführer der österreichischen Journalistik zu empfangen, ist dankenswert und ehrenvoll für letztere. Wir glauben aber — warum es verschweigen? —, daß von den Beratern des Bundespräsidenten noch nicht die richtige Form für eine solche Begegnung gefunden wurde.

Und davon — und nur davon wollen wir zunächst hier sprechen.

*

Es begann schon mit der Einladung. Hekto-graphierte Briefbogen — einer Vorladung zum Steueramt oder einer anderen Behörde nicht unähnlich — kamen in die Redaktionen, in denen neben dem schon oben erwähnten Wunsch des Bundespräsidenten, dem Datum und dem Ort auch abschließend bemerkt wird, dieses Schreiben gelte als „Zulassungsausweis“. Für den Kabinettsdirektor: faksimilierte Unterschrift. Aus.

Es ist nicht die Empfindlichkeit einer Person oder eines Standes, wenn daran erinnert werden soll, daß heutzutage nicht nur alle Ministerien, Unternehmen bis herunter zur kleinsten privaten Vereinigung ihre Einladungen in eine den geltenden gesellschaftlichen Usancen entsprechende Form zu kleiden wissen. War einmal eine Dissonanz angeschlagen, so haben es auch im Kreis der Geladenen einzelne an Stilwidrigkeiten nicht fehlen lassen. Ledermäntel sind an sich keine glückliche Gesellschaftskleidung, auch wenn sie in der Garderobe abgegeben werden. Weit schlimmer ist es, wenn unter ihnen einzelne lichtgraue und grüne Anzüge zum Vorschein kamen, die alsbald die in neuem Glänze strahlenden Gemächer Maria Theresias in der Hofburg selbstbewußt bevölkerten. Nicht sehr höflich war es ohne Zweifel auch, wenn die Gäste nach dem Schluß des offiziellen Teiles rasch einige Brötchen zu sich nahmen und, während der Bundespräsident um Konversation bemüht war, einer nach dem anderen, gleich den Musikern in Haydns Ab-schiedssymphonie, ade sagten, statt es dem hohen Gastgeber zu überlassen, den Abend zu schließen. Und dabei machte sich kaum jemand Gewissensbisse Alle handelten nur so, wie sie es eben von Pressekonferenzen, die zum täglichen Brot des Journalisten gehören, gewohnt sind. Gestern die Generalvertretung der Volkswagenwerke, heute der Bundespräsident der Republik Oesterreich, morgen die Eröffnung eines neuen Krankenkassenambulatoriums...

Hier halten wir auch schon bei der entscheidenden Frage, ob die routinemäßige Einberufung und Durchführung von Pressekonferenzen die dem ersten Mann im Staat und dem hohen Amt, das er verwaltet, zustehende Form eines Kontaktes mit der öffentlichen Meinung Ist. Aus den Erfahrungen der letzten Woche muß man sie eigentlich verneinen. Vergleiche mit dem amerikanischen Staatsoberhaupt sind nicht zulässig, da der Präsident der Vereinigten Staaten bekanntlich gleichzeitig verantwortlicher Regierungschef ist. Wie schwer ist es auch für den Bundespräsidenten selbst, peinliche Situationen zu meiden, die jederzeit entstehen können, wenn ihm Fragen gestellt werden, die zu beantworten einwandfrei Sache des Regierungschefs beziehungsweise einzelner Ressortminister ist.

Dr. Schärf “will — er hat dies eindeutig zu verstehen gegeben — als Bundespräsident mehr sein als ein „Staatsnotar“. Warum auch nicht? Es gibt aber auf dem ureigensten Aufgabensektor des Staatsoberhauptes noch ein weites Betätigungsfeld, auf dem er sich nicht so bald mit den von der Verfassung in klaren Worten gezeichneten Grenzen für die Aktivität eines Bundespräsidenten stoßen wird. Wir meinen das Gebiet einer richtig verstandenen und geübten Repräsentation.

Repräsentation heißt nämlich nicht nur Festspiele eröffnen, Straßenbänder durchschneiden und der Weihe von neuen Kindergärten beiwohnen.' Repräsentation im echten, im besten Sinn des Wortes bedeutet nämlich nichts anderes, als jederzeit und an jedem Ort durch persönliches Auftreten die Republik Oesterreich präsent erscheinen zu lassen. Das ist, wenn man sie genau nimmt, gar keine kleine Aufgabe. Und keine leichte dazu. Ohne großes Einfühlungsvermögen und ein gewisses Maß von Form, ja auch von Förmlichkeit, wird es dabei nicht abgehen. Dr. Körner war hier, geschult durch die alte Armee, auf einem guten Weg. Ihn heißt es konsequent weiterzuverfolgen, nicht etwa zu verlassen. Gerade in Oesterreich, in dem Hoch und Nieder auf gewinnende Lebensformen (Betonung auf „gewinnend“ genau so wie auf „Formen“) nicht geringen Wert zu legen pflegten, hat man hierfür Verständnis. Und auch Bedürfnis. Eine falsche Schlichtheit und Alltäglichkeit kann genau so entfremden wie vermeintliche Unnahbarkeit. Die Oesterreicher wollen an der Spitze des Staates einen Mann, der, obwohl er aus dem Volke kommt — oder gerade deswegen —, die gewisse Distanz zu allen zu wahren und von allen zu fordern versteht.

Andere Republiken haben dies erkannt und durch eine Art republikanisches Zeremoniell auch institutionell verankert. Auch Dr. Schärf müßte eigentlich für den Gedanken aufgeschlossen sein, daß der Bundespräsident nicht als ein möglichst unauffälliger Zeitgenosse durch Staat und Gesellschaft zu wandern habe, hätte er doch sonst zum Beispiel von sich aus nicht — zwar scherzend, aber mit ernstem Hintergrund — angeregt, die Dienstwohnung des Bundespräsidenten in das Schloß Schönbrunn zu verlegen. In diesem Zusammenhang ist auch nicht einzusehen, warum bis heute nicht das Bundesheer die Ehrenwache vor dem Amtssitz des Präsidenten stellt — in anderen Staaten eine Selbstverständlichkeit.

Der von uns zur Debatte gestellte Empfang des Bundespräsidenten für die Presse war ein Experiment, Es ist begrüßenswert, wenn der erste Mann des Staates wagemutig zeigt: Oesterreich kann im Kreis junger und sehr vital aufstrebender Völker nur dann sich behaupten, wenn es den Mut hat, eigene und auch neue Formen staatlicher Dokumentation und Darstellung ihrer politischen Perspektiven zu suchen. Gerade deshalb scheint es uns wichtig, darauf hinzuweisen, wie wichtig hier die Form und die Vorbereitung sind. Die Empfänge des österreichischen Bundespräsidenten werden in Hinkunft eben jene Bedeutung und jenen Rang einnehmen, den sie sich selbst schaffen. Hier könnte eine Stelle geschaffen werden, die für Oesterreichs Stellung in Mitteleuropa und für das Echo und die Resonanz bei allen unseren Nachbarn von Bedeutung werden kann; in ruhigen und in weniger ruhigen Zeiten. Da aber kommt alles auf die Vorbereitung an. Extempores schaden. Ein freies Wort, lange überlegt, von vielen mitberaten und von hoher Warte repräsentativ vorgetragen, geht alle an und wird von allen gehört werden.

Formsache. In der sorgfältig gewählten, guten Form wird der gute Kern sichtbar. Hier kann die Wiedergeburt einer Autorität des Staates ansetzen, die nicht nur für unsere eigene Jugend, sondern für unser aller Zukunft bedeutendes Gewicht zu erlangen vermag. *

Nur wenige Schritte sind es vom Leopoldini-schen Trakt der Hofburg hinüber zum Burgtheater. Dort können wir gerade in diesen Tagen die großen, weisen Staatsreden hören, die Grill-parzer als sein eigenes politisches Testament Kaiser Rudolf IL sprechen läßt. Und wenn dieser vom ersten Mann im Staate sagt: „Er ist die Fahne doch des Regiments, zerrissen oder ganz, gebührt ihr Ehrfurcht“, so gilt dies in gleicher Weise für die Monarchie wie auch für eine Republik.

„Zerrissen oder ganz, gebührt ihr Ehrfurcht.“ So haben wir es immer gehalten, gleichgültig, wer das hohe Amt zur Zeit verwaltet. „Die Fahne ist er doch des Regiments“: So wollen wir aber auch an höchster Stelle das Mandat des Volkes aufgefaßt sehen.

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