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Dichterschicksal aus Deutschlands dunkelster Zeit

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„Drei schwarze Särge standen vor den offenen Gruben. Die Trauergemeinde, die sich am frühen Nachmittag des 15. Dezember 1942 auf dem Friedhof neben der kleinen Kirche von Nikolassee versammelt hatte, war nicht groß. Nachbarn, Verwandte und einige Freunde, wie 6ie mehr oder weniger zufällig hatten benachrichtigt werden können. Nicht alle hatten gewagt zu erscheinen. Jeder empfand den lähmenden Schrecken, der von den drei Särgen ausging.“

Hinter diesen lapidaren Sätzen, mit denen der Herausgeber das nachgelassene Romanbruchstück Jochen Kleppers einbegleitet, verbirgt sich ein Zeitschicksal von gnadenloser Härte. Jochen Klepper, gläubiger Protestant, mit einer Jüdin verheiratet und Vater zweier Töchter, zog durch die Veröffentlichung seines außerordentlich erfolgreichen Preußenkönigromans „Der Vater“ die Aufmerksamkeit hoher nationalsozialistischer Kreise auf sich. Von allen Dämonen gehetzt, in einem pausenlosen Wettrennen zwischen seinen Bemühungen, wenigstens Teile der gefährdeten Familie in6 rettende Aueland zu schaffen, und den wachsenden Judendeportationen der Machthaber sah sich Klepper schließlich im frühen Winter des Jahres 1942 vor eine Situation gestellt, die ihm für sich und die Seinen ausweglos erschien, und beging mit Frau und Tochter (die eine Tochter konnte scho.i früher die Grenze passieren) Selbstmord — „Im Anblick des segnenden Christus“, wie die hintergründige, heute kaum mehr faßbare Tagebucheintragung meldet. „Wir sterben nun — ach, auch das steht bei Gott.,.“

Nun liegt ein erstes von zwanzig geplanten Kapiteln seines letzten Werkes, „Das ewige

Haus“, vor uns. Im Stoff Vorwurf ungewöhnlich, so wie das tragische Schicksal des Verfassers und die schwierige Entstehung des Werkes — unter steigenden Stockungen und Hemmungen geschrieben, in tausend Nöten, gefördert nur von den engsten Freunden, zu denen auch der Katholik Reinhold Schneider zählte. Es handelt von der Flucht des geistlichen Edelfräuleins Katharina Von Bora mit acht Nonnen In der Osternacht 1523 aus dem Zisterzienserinnenkloster Nimpsdi nach Torgau. (Luther, der die Flucht begünstigt hatte, ließ sich bekanntlich zwei Jahre später mit Katharina trauen, um so seine Gegnerschaft zu Zölibat und Mönchsgelübde zu dokumentieren; Katharina von Bora gebär Luther seche Kinder, lebte, teilweise in bitterstet Not, zuletzt als Witwe in Wittenberg und starb 1552, also sechs Jahre nach Luthers Tod, in Torgau.)

Es ist natürlich nicht möglich, auf Grund des vorliegenden Fragments ein gültiges Urteil über den vermutlichen Rang des Gesamtwerkes zu fällen. Doch kann auch dem Teil nachgerühmt werden, daß die Behandlung des schwierigen, für den Katholiken besonders empfindlichen Stoffe« mit hohem Takt und überraschendem Formgefühl gelungen ist. Überrascht das an einem Werk, das im Feuer einer Unerbittlichen staatlidien Verfolgung des gesamten religiösen Empfindens seinen Impuls und seine Form empfangen hat? Das furchtbare Ende seines Dichters ist darum doppelt beklagenswert; als menschliches Drama in der Zeit und als Verlust eines unersetzlichen schöpferischen Werkes. — „Ach“, sagte der Dichter in der letzten Stunde, „auch das steht bei Gott,“

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