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In Basel: Titus statt Dürrenmatt

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Wie bekannt, hat der Berner Friedrich Dürrenmatt das Basler Stadttheater nach nur einjähriger Tätigkeit (während der Spielzeit 1968/69) verlassen. Er legte sein Amt als Mitglied des unter der Leitung von Werner Düggelin stehenden Direktoriums nieder und wird sich nun wieder ausschließlich schriftstellerischer Tätigkeit widmen. Auf ewige Zeiten war diese Kollaboration des erfolgreichen Dramatikers mit einer der ersten Bühnen seiner Heimat wohl nicht gedacht. Aber zwei, drei Jahre hätte man dem Experiment Dürrenmatt gewünscht. (Noch schneller ging es etwa zur gleichen Zeit in Zürich mit der Direktion Peter Löfflers zu Ende, den man bereits in der Mitte seiner ersten Spielzeit gekündigt hat. Wegen Entfremdung zwischen Theater und Stammpublikum. Wahrscheinlich auch wegen zu ostentativer Linksabweichung.) Als Fremder, der aus dem — wenn auch benachbarten — Ausland kommt, kann man die Basler Interna natürlich nicht beurteilen. Anscheinend befürchtete man, daß Dürrenmatt aus dem Basler Theater seine Privatwerkstatt für Bühnenexperimente machen wollte. Das wäre zwar ganz interessant, aber doch nicht spielplanfüllend gewesen. So kam es also zur Trennung. Ihr waren einige Kommuniques von beiden Seiten vorausgegangen. Aber aufs Ganze gesehen blieb die Kirche im Dorf bzw. das Basler Stadttheater an seinem Platz.

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Wie bekannt, hat der Berner Friedrich Dürrenmatt das Basler Stadttheater nach nur einjähriger Tätigkeit (während der Spielzeit 1968/69) verlassen. Er legte sein Amt als Mitglied des unter der Leitung von Werner Düggelin stehenden Direktoriums nieder und wird sich nun wieder ausschließlich schriftstellerischer Tätigkeit widmen. Auf ewige Zeiten war diese Kollaboration des erfolgreichen Dramatikers mit einer der ersten Bühnen seiner Heimat wohl nicht gedacht. Aber zwei, drei Jahre hätte man dem Experiment Dürrenmatt gewünscht. (Noch schneller ging es etwa zur gleichen Zeit in Zürich mit der Direktion Peter Löfflers zu Ende, den man bereits in der Mitte seiner ersten Spielzeit gekündigt hat. Wegen Entfremdung zwischen Theater und Stammpublikum. Wahrscheinlich auch wegen zu ostentativer Linksabweichung.) Als Fremder, der aus dem — wenn auch benachbarten — Ausland kommt, kann man die Basler Interna natürlich nicht beurteilen. Anscheinend befürchtete man, daß Dürrenmatt aus dem Basler Theater seine Privatwerkstatt für Bühnenexperimente machen wollte. Das wäre zwar ganz interessant, aber doch nicht spielplanfüllend gewesen. So kam es also zur Trennung. Ihr waren einige Kommuniques von beiden Seiten vorausgegangen. Aber aufs Ganze gesehen blieb die Kirche im Dorf bzw. das Basler Stadttheater an seinem Platz.

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Im Jänner-Mitteilungsblatt des Theaters hat der geschäftsführende Direktor (Adolf Zogg) einen Artikel mit dem Titel „In eigener Sache“ veröffentlicht, aus dem wir einige Sätze zitieren. Es geht nicht darum, nachträglich Zensuren erteilen zu wollen. Aber es ist am Platz, danke schön zu sagen. Danke schön an die Behörden und die Theatergenossen-chaft Basel, die die Direktion loyal unterstützt hat, an den sachlichen Interpellanten im Stadtrat und den, der ihm ebenso sachlich antwortete, Dank für die Stellungnahme des Großen Rates, danke schön an die Basler Presse, die nicht versucht hat, aus der Dürrenmatt-Story Kapital zu schlagen, Dank auch an das künstlerische Personal, die Administration und die Technik, die Ruhe bewahrten und die Fortführung des Betriebes ermöglichten. „Denn sobald es um Theaterskandal geht, werden Emotionen frei. Daß sie alle, die Theaterfreunde, die Behörden, die Presse und das Personal die Ereignisse analysierten und sachlich dazu Stellung nahmen, ist nicht selbstverständlich.“ Und ein solches Verhalten kann — nach Meinung des Basler Direktors Zogg (und auch nach der unseren) nicht genug gewürdigt werden.

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Dürrenmatts letzter Plan war es. das härteste Stück Shakespeares, „Titus Andronicus“, das aus einer fast schon grotesken Folge von Mord, Schändung, Folterung und Grausamkeiten jeder Art besteht, neu zu bearbeiten und zu aktualisieren — so wie er es in „König Johann“ und in „Play Strindberg“ gemacht hatte. Dieses Projekt wurde nun von Hons Hollmann (Regisseur), assistiert von Hilmar Broecker und Beatrice Schlag, ausgeführt, denen Thomas Richter-Forgasg]} ein einfaches, fast kahles, aber suggestives Bühnenbild beistellte. Als Autoren des Textes und. dgi Musi'- sind in dem um fangreichen und gehaltvollen Programmheft angegeben: Wolf Graf von Baudissin, Hermann Beil, H. M.

Tederle, Hans Hollmann, Ludwig Tieck und Ensemble. Der vollständige Titel dieser Produktion lautet: „Titus-Titus. 50 theatralische Vorgänge von Hans Hollmann nach der Tragödie /Titus Andronicus' von Shakespeare.“

Das Stück beginnt damit, daß eine Horde Jugendlicher durch ein großes rückwärtiges Tor, also gleichsam von der Straße her, auf die Bühne stürmt und alle Requisiten, darunter ein riesiges, prunkvolles, goldenes Bett im Mittelpunkt, zu zerstören beginnt. Hierauf bemächtigen sich die Eindringlinge eines Bündels mit Kostümen, das vom Schürboden herabgelassen wird, darunter findet sich auch ein Textbuch, das der kleinste Mann, ein Liliputaner, in die Hand nimmt — und dann wird gespielt. Zur Erläuterung einige Titel der 50 Aktionen: Der Kampf um die Rol-

len, Totengesang I und II, Der erste Mord, Die Bestechung, Der Hymnengesang, Der Staatsempfang, Der Kindsmord, Der Hochzeitsmarsch von Richard Wagner, Kein schöner Land in dieser Zeit, Hunde untereinander, Ansprechendes Theater I und II, Verarztung, Verduften, Staats-jugend, Gruppensex, Friedenspfeile, Regierungserklärung usw., bis zum „Schlußpfiff“.

Gespielt wird zunächst etwas zaghaft und fast ohne Text, dann immer couragierter und enthemm-

ter, einige Nummern werden von einer Gitarre begleitet, es gibt Chansons und Chöre, die Melodie des Liedes „Der Kaiser und der Bauer, die gehen Hsnd in Hand“, ist aus der Hymne der DDR, dem Deutschlandlied und einem Operettenschlager zusammengesetzt. In der Aktion 34 „Heile Welt II“ schwebt eine wohlgenährte rosige Amme vom Schnürboden herab und rezitiert in öfüßigen klassischen Blankversen:,, Da staunt sie dumm, die ungezogene Bande / Bewundert stumm die Vorkriegsqualität. Wenn Kinder kommen braucht man gute Ammen. Und gute Ammen war'n noch niemals jung. Nicht Schönheit ist der guten Ammen Zierde / Doch stark sei sie, spend' reichlich Milch, sei rein... Auf junge Ammen ist nicht viel Verlaß. Auch ich war jung, doch das war'n andre Zeiten... Die Frau vom Mann noch wollt man unterscheiden / Und lange Haare schnitt man einfach ab...“

Doch das ist einer der unblutigen Spaße. Die blutigen sind durchaus in der Überzahl: Folterungsszenen nach dem Modell der „Grünen Teufel“, Morde aller Art, schließlich die Verstümmelung und Schändung der Lavinia. Aber gerade diese Aktion und der dazugehörige Text, die bei der Premiere Proteste auslösten, stammen von Shakespeare. Von einer Tendenz dieser Szenenfolge kann man kaum sprechen. Es handelt sich hier vielmehr um eine Art von Stalin-Orgel, die nach allen Seiten feuert. Das dokumentieren auch die provokant fettgedruckten Kernsätze, mit denen der Programmtext garniert ist: „Über Gewalt redet man nicht, man wendet sie an“ — „Die Mächt kann nur aus Gewehrläufen kommen“ — „Keine Operetten! Oder warten Sie auf das Lehär-Jahr 1970?“ — „Einen Völkermord kann man erst beweisen, wenn pt vollbracht ist“ — „Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet“ — „Wo bleibt das Positive für unsere Jugend“ usw. In Summa: Ein dreistündiger Abend

des entfesselten Theaters, mehr diszipliniert als improvisiert wirkend, im Schauspielerischen und Theatralischen sehr wirksam, oft amüsant, zuweilen abstoßend, nie langweilig. Nur eben fehlt das geistige Band... Denn die vielen Mordtaten, denen nach und nach alle 25 Akteure zum Opfer fallen (am Schluß bleibt nur der kleine Mann mit dem großen Buch), hängen zwar an einem blutig-roten Faden, aber er ist zu dünn. Zu dünn ist auch die Musik. Ein Kurt Weill zum Beispiel hätte aus diesem Shakespeare-Happening einen großartigen Theaterabend machen können.

*

An einem anderen Abend im Basler Stadttheater: „Pelleas et Meli-sande“ von Claude Debussy, lyrisches Drama in fünf Akten (13 Bildern) von Maurice Maeterlinck. Zehn Jahre lang hat Debussy an dieser seiner einzigen Oper gearbeitet, deren Uraufführung 1902 unter Messagers Leitung in Paris stattfand. In Frankreich gehört sie zu den Standardwerken des Repertoires. Andernorts ist sie eine Seltenheit, vor allem wegen des Textes, der sich nur sehr schwer in eine andere Sprache übertragen läßt. In Basel gibt man „Pelleas“ französisch — und kann mit einem weitgehenden Verständnis rechnen, wie der Besuch und der Beifall bewiesen. Auch der junge Dirigent der Aufführung, Armin Jordan, scheint diese Musik zu lieben. Unter seiner Leitung spielte das Basler Orchester präzis, sensibel und klangschön. Die imposanteste Leistung bot, stimmlich und darstellerisch, Anton Diakow als Golaud, der ältere Königsohn, der Melisande im Walde findet, sie auf sein Schloß nimmt und später seinen Halbbruder Pelleas aus Eifersucht ersticht. — Melisande war die junge Holländerin Hanneke van Bork. — Ihre gesanglichen Leistungen waren ebenso bemerkenswert wie ihr Französisch. Nur Pelleas (Hans Riediker) schien aus anderen Breiten zu kommen. Sein Akzent mag die Basler heimatlich angemutet haben ...

Ein besonderes Problem bietet bei jeder Aufführung dieser Märchenoper, die zugleich auch der französische Anti-Tristan ist, die Ausstattung. Wolfgang Mai fand hierfür eine ebenso originelle wie geglückte Lösung. Er deutete die Interieurs und Requisiten durch altersbraune, zuweilen mit Mattgold verzierte Objekte an. Auf den Hintergrund und den Vorhang hingegen ließ er abstrakte Zeichnungen und Muster projizieren, etwa im Stil des Berliner Malers Härtung. Die dezenten Kostüme vervollständigten das Bild einer schönen, werkgerechten, harmonischen Aufführung, die von dem Regisseur Martin Markun betreut wurde und sich sowohl hören wie sehen lassen kann.

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