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Verfremdete Klassiker

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Eigentlich hätte man sich zu den Festwochen in der zweigeteilten Stadt an der Spree eine stärkere Konfrontation mit Erzeugnissen jüngsten dramatischen Schaffens, vor allem auch Uraufführungen internationaler Bedeutung gewünscht. Dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung, ist vielleicht auch schwer zu befriedigen im Hinblick auf die seit einigen Jahren in Spree-Athen heimisch gewordenen Veranstaltungen des internationalen Theatertreffens im Mai. Zweimal im Jahr den Besuchern erregende und anregende Bühnennovitäten zu bieten, dazu reicht derzeit das dramatische Schaffen, selbst die west-östlichen Hemisphären zusammengenommen, nicht aus.

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Eigentlich hätte man sich zu den Festwochen in der zweigeteilten Stadt an der Spree eine stärkere Konfrontation mit Erzeugnissen jüngsten dramatischen Schaffens, vor allem auch Uraufführungen internationaler Bedeutung gewünscht. Dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung, ist vielleicht auch schwer zu befriedigen im Hinblick auf die seit einigen Jahren in Spree-Athen heimisch gewordenen Veranstaltungen des internationalen Theatertreffens im Mai. Zweimal im Jahr den Besuchern erregende und anregende Bühnennovitäten zu bieten, dazu reicht derzeit das dramatische Schaffen, selbst die west-östlichen Hemisphären zusammengenommen, nicht aus.

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Also begnügte man sich diesmal hei den Festwochen im westlichen Teil der Stadt — zu gleicher Zeit fanden ja auch hinter der Mauer künstlerische Festtage statt, die im übrigen von diesem Dilemma auch nicht frei waren — mit Adaptierungen mehr oder minder bekann ter Werke von der Klassik bis ipi die Gegenwart, in denen sich nun regieliche Phantasie und Deutung gehörig austoben konnten. Sie taten es häufig auf Kosten der vorhandenen Substanz und initiieirten Inszenierungsbemühungen, die getragen waren von dem Gedanken, „ä tout prix“ anders sein zu wollen als ihre Vorgänger. Intentionen, die hei einem so sensiblen Instrument erfahrungsgemäß meist schon von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Und die beiden Klassikerinszenierungen der Festwochen, unter diesem Signum vorangetrieben, machten keine Ausnahme von dieser Regel. Vielleicht hatte Boleslaw B a r 1 o g, Herr des Schiller- and S c hloß p a r k-Theaters, insgeheim gehofft, vor allem den Berliner Kritikern, die ihm seit einiger Zeit Konvention und Konservativismus in seiner Spielplangestaltung vorwerfen, durch diese beiden Exempel, an den Klassiker Lessing und Schiller statuiert, etwas das Wasser abgraben zu können.

Ein trügerisches Unterfangen. Denn sowohl die Absicht Emst Schröders, aus Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“ eine Commedia dell’arte mit den als Larven skizzierten Interpreten zu machen, wie auch die Ver- fremdungskünste des sich noch revolutionärer gebärdenden jungen Wieners Hans Hollmann, die Gestalten von Schillers „Kabale und Liebe“ zu zuckenden, textleiemden Marionetten unter der Pression absolutistischer Fürstenmacht zu stempeln, fanden keineswegs den erwünschten Widerhall. Hinterher dann mit der Behauptung aufzutrumpfen, das Ganze sei ja überhaupt nur so aufgezäumt worden, um die Besucher zu schockieren und aus ihrer angeblichen Lethargie zu wecken, scheint mir doch etwas zu billig, um von einem durchaus verzeihlichen Mißlingen einer Idee, abzulenken.

Vor allem ist es verfehlt — und diesem Trugschluß unterlagen beide Regisseure —, die von den Dichtern geformten blutvollen Geschöpfe in einen sprachlichen Manierismus hineinzuzwängen, der ihnen die Antipathien jedes einigermaßen normalen Zuhörers eintragen muß. Mag diese exaltiert hysterische Sprechweise und Mimik, mit der Schröder seinen Kollegen Erich Schellow den intriganten Kammerherm Marinelli in ..Emilia Galotti“ spielen läßt, noch hingehen, so wird einem die ermüdende. widersprechliche Sprechmonotonie, zu der Hollmann die junge Susanne Tremper als Luise in „Kabale und Liebe“ zwingt, völlig unverständlich. Buh-Rufe für die Regisseure und Beifall für die von ihnen mehr oder minder gemarterten Akteure waren das Ergebnis.

Wie souverän und elegant hatte dagegen doch Jean-Louis Barrault die Synthese von Vergangenheit und Gegenwart in seinem faszinierenden dramatischen Spiel „Rabelais" gelöst, das von den großartigen, theaterbesessenen Mitgliedern der „Compagnie Madeleine Renaud — Jean- Louis Barrault“ einem begeisterten, um nicht zu sagen hingerissenem Publikum auf der inmitten der Zuschauer angesiedelten Laufstegbühne der Berliner Akademie der Künste dargeboten wurde. Dabei hatte der von genialen Regieeinfällen und überschäumender Phantasier strotzende Franzose nichts weiter getan, als das berühmteste Werk des sinnenfreudigen Renaissancedichters François Rabelais, nämlich den derben und in jeder Beziehung vollsaftigen Roman „Gargantua et Pantagruel“, in Dialoge und mit gegenwartsnahen Bezügen durchflochtene Reflexionen aufgelöst. Michel Polna- reff hatte mit kongenialem Schwung eine aus alten Madrigalen und modernen Pop-Elementen gemischte Musik von enorm stimulierendem Rhythmus und Melodik dazu geschrieben, die Valerie Camille in eine von Tänzerinnen und Tänzern mit unerhörter Disziplin exekutierte Choreographie, die an sinnlicher Deutlichkeit keinen Wunsch offen ließ, übersetzte. Mit einer Zügellosigkeit, die jedoch in keinem Augenblick die schmale Grenze von Kunst und Unkunst überschreitet, wird hier die Sinnlichkeit verherrlicht, ohne daß sich jemand auch nur mit einem Anflug durch diese wohldurchdachte Drastik, die auch im gesprochenen Wort nicht fehlt, unangenehm berührt fühlte.

Der von gleichen Absichten getragene Versuch, in dem Musical „Hair“ die Hippie-Philosophie gesellschaftsfähig zu machen, stand im Vergleich dazu auf dem Niveau einer grobschlächtigen Primitivität. Produzent Werner Schmid aus Zürich wird trotzdem in dem Von ihm umgebauten Musical-Theater am Kürfürstendamm volle Kassen machen. Ein echtes künstlerisches Schauspielerlebnis wurde auch die von Beckett persönlich eiinstudierte Inszenierung seines Ein-Personen- Stückes „Das letzte Band“, in dem Martin Held in der. „Werkstatt des Schiller-Theaters“ bei aller komödiantischen Farbigkeit den erschütternden Aufriß eines menschlichen Lebens vermittelte.

Völlig daneben gelungen war die einzige Uraufführung während dieser Wochen: der verlogene Gesellschaftskitsch der sonst so begabten französischen Autorin Marguerite Duras in „Suzanna Andler“, für deren Rolle Heidemarie Hatheyer unnötig verheizt wurde.;

Wir wollen hoffen, daß . der neue Intendant der gesamten Berliner Festspiele, Dr. Walter Schmieding, im nächsten Jahr den theatralischen Ereignissen der Festwochen durch den Zyklus unter dem Motto „Der Friede" ein markanteres Profil geben wird.

• Peler O. Chotjewitz hat den Georg-Mackensen-Literatur- Preis der Zeitschrift „Westermanns Monatshefte“ für die beste deutsche Kurzerzählung 1969 erhalten. Der Literaturpreis wird auch für 1970 ausgeschrieben.

• Gerhard Ruhms Theaterstück „Gehen“, das in Ulm unter der Regie von Rolf Becker uraufgeführt wurde, soll bei deh ‘ Edinbürgher Festspielen in’ englischer Spradhe inszeniert werden.

• Die Jeunesses Musicales vergab beim Leobener Instrumentalwettbewerb „Jugend musiziert“ insgesamt 34 Preise: der erste ging an das Streicherensemble Professor Herta Binder vom Konservatorium Wien.

• Die Wiener Malerin Henriette Florian stellt bis Mitte Dezember im Z.O.A. House in Tel Aviv Gemälde aus.

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