Lob-und Abgesang DES KRIEGES

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Es gab Zeiten, da war es eine große Freude, ein Krieger zu sein. Sogar in der Nachwelt hatte man eine gute Nachrede. Achilles, dem größten Kriegshelden Homers ging es so, kurz nachdem er vor Troja sein blutiges Leben ausgehaucht hatte. Odysseus besucht ihn auf seiner Irrfahrt in der Unterwelt und wird dabei ganz elegisch. "Dich Lebenden einst verehrten wir, gleich den Göttern Argos Söhne, und jetzo gebietest du mächtig den Geistern wohnend allhier. Drum lass dich den Tod nicht reuen, Achilles."

So einfach geht das, wenn man im trojanischen Krieg in einer Aufwallung legendären Zorns gezählte 27 Menschen nacheinander erschlägt, ersticht, aufschlitzt und im Blut der Feinde watet. Das bedeutete Ruhm, von Homers Zeiten 800 vor Christus bis in die Neuzeit. Das ist auch eine der traditionell allerersten paradoxen Eigenschaften des Krieges gewesen. Indem er ihre Lebenszeit abkürzt, verewigt er manche seiner Opfer - oder Täter.

Bis in die allerletze Zeit tat er sich mit dem Verewigen leicht, da in den Geschichtsbüchern, wie Sigmund Freud es treffend ausdrückte, "die Weltgeschichte als eine Reihenfolge von Völkermorden" dargestellt war, welche der Nachkommenschaft eingetrichtert wurde. Ganz so ist es nun nicht mehr und entscheidend dazu hat auch der Zweite Weltkrieg beigetragen, dessen Beginn sich in diesen Tagen zum 75. Mal jährt. Ein Krieg mit über 50 Millionen Toten, der zwischen London und Moskau Spuren der Verwüstung, Kraterlandschaften und die "Bloodlands" Ostmitteleuropas hinterließ, ließ keinen Platz mehr für Glanz und Glorie.

Verblassende Ablehnung

Je weiter sich das Datum des Horrors entfernt, desto eher verblasst die mit dem Krieg verbundene Ablehnung. Nach den unbedingten Pazifisten der 70er-Jahre verschaffen sich heute Utilitaristen Aufsehen und öffentliches Gehör mit der Ansicht, aus dem Morden von Hunderten Millionen Menschen im Lauf der Geschichte sei denn doch auch etwas Gutes entstanden. 1967 war das nur als zynische Persiflage möglich: Ein Anonymus hatte in New York den "Report from Iron Mountain" veröffentlicht, in dem der Krieg als unabdingbar für das Funktionieren einer Gesellschaft dargestellt wurde. 2014 hingegen kann so etwas auch ernst gemeint sein. Der Historiker Ian Morris nimmt das Thema in vollkommener ökonomischer Kühle auf und behauptet auf knapp 450 Seiten, dass das Blutvergießen gut für die Zivilisation war. Kriege, so Morris, schaffen größere Staaten - größere Staaten schaffen eine bessere Verwaltung und Rechtssicherheit - was wiederum Reichtum für Generationen schafft. Kleine Einheiten hingegen hätten eine wesentlich höhere Rate von Gewalt und individuellem Mord und Totschlag. Positiv-Beispiele: Das römische Reich, das Han-Reich in China. Und nun, mit der Erfindung perfekter Waffen, mache sich der Krieg vollends selbst unmöglich.

Das soll eindrucksvoll und neu sein, doch Morris vergisst seine Vorläufer zu erwähnen, die dasselbe - wenn auch nicht ganz so unverschämt - schon vor Jahrhunderten behaupteten. Allen voran ist das der Nationalökonom Adam Smith, der in seinem "Wealth of nations" zum Schluss kommt, dass die "Erfindung von Feuerwaffen, eine auf den ersten Blick so verderblich scheinende Erfindung, sowohl der Dauerhaftigkeit als auch der Ausbreitung der Zivilisation mit Sicherheit förderlich ist".

Der eingangs erwähnte Sigmund Freud kommt zu dem Schluss, dass manche Kriege "den Übergang von Gewalt zum Recht ermöglicht haben, indem sie größere Staatsgebilde schufen ( ) so wie die Römer die 'pax romana'". Morris, wiewohl er Freud nicht zitiert, scheint dieser Gedanke so gut gefallen zu haben, dass er zunächst die zweite Hälfte von Freuds Argument übersieht: dass mit den großen Reichen nämlich nichts gewonnen war, weil sie wieder kriegerisch zerfielen und damit nur "kleine Kriege von großen abgelöst wurden".

Morris tritt solchen Relativierungen nicht näher. Im Gegenteil: Die mutmaßliche Zahl der Opfer der römischen Eroberungskriege (fünf Millionen Menschen) rechnet er gegen den dadurch erreichten Fortschritt hoch und so scheinen die Toten schließlich als Preis für Gesetz, Sicherheit und Reichtum der Überlebenden ganz passabel. Doch die Methode, wiewohl rational bis zur moralischen Demenz anmutend, ist nichts weniger als logisch. Morris vergleicht etwa die Gesamtzahl gewaltsamer Tode in kleinen Gesellschaften mit Kriegsopferzahlen in großen Staaten, so als wären nicht Kriegsopfer zwangsweise nur ein Teil aller Gewaltopfer. So kommt er für Steinzeitvölker auf wesentlich höhere Gewalt-Todesraten als selbst für Europa im Jahrhundert der großen Kriege.

Suche nach dem "gerechten Krieg"

Morris' These ungeachtet, tut sich der Krieg immer schwerer mit rationalen Rechtfertigungen in Gesellschaften, in denen Gott oder die Vorsehung als Instanzen höherer Rechtfertigung ausgefallen sind. Selbst in Ländern mit Berufsarmee ist die Ablehnung von Kriegseinsätzen vehement, wie zuletzt der britische Premier David Cameron erfahren musste, als sein Plan, militärisch in den Syrien-Konflikt einzugreifen im britischen Parlament Schiffbruch erlitt. Damit eine Regierung Unterstützung für eine solche Maßnahme findet, reicht es nicht einmal mehr aus, dem "gerechten Krieg" gerecht zu werden, der seit Cicero durch die Rechtsbestände des Abendlandes geistert und von allen Kriegsparteien als Vorwand benutzt wurde.

Demnach darf nur Krieg führen, wer im Auftrag eines Souveräns einen "gerechten Grund" und "rechte Absichten" geltend machen könne. Diese schwammige Formulierung wird von allen Kriegstreibern seit mehr als 2000 Jahren in Geltung gebracht. Sie hat in hunderten Konflikten jeden noch so absurden Vorwand legitimiert. Was ist denn schon nicht "gerecht", wenn es um den subjektiven Vorteil geht? Nicht einmal Adolf Hitler ließ das Argument des "gerechten Kriegs" aus, als er am 1. September 1939 vorgab, Deutschland sei von Polen aus beschossen worden: "Seit 5:45 wird zurückgeschossen."

So einfach geht das zumindest in Demokratien nicht mehr. Der Krieg hat dort vollständig seine moralische Glaubwürdigkeit verloren. Er muss sich quasi selbst persiflieren, um Wirklichkeit zu werden, etwa als eine "humanitäre Intervention", wie bei den Luftschlägen der NATO 1999 im Kosovo, die einem dubiosen, bis heute ungeklärten "Massaker" in der Ortschaft Racak folgten. Russland war damals der erste Staat und Verbündete Milos evic´s, der die offizielle Version anzweifelte. So gesehen wirken die weißen Lastwagen-"Hilfskonvois" Russlands in der Ostukraine heute wie eine Persiflage der Persiflage.

Und trotz solcher zynischen Kuriositäten bleibt der Krieg die mächtigste Ressource der Macht und wird sich auch durch den Fortschritt der Technik, wie Ian Morris sich das erhofft, nicht vertreiben lassen. Vor allem nicht, wenn die zehn größten Waffenproduzenten allesamt in den reichen Industrienationen produzieren, und ungehindert die zehn größten Konfliktherde, die allesamt außerhalb ihrer Hemisphäre liegen, reich beliefern können. Afghanistan, Syrien, Palästina, Sudan, Zentralafrikanische Republik, Libyen, Irak. Allein diese Kriege haben seit dem Jahr 2000 mehr als zwei Millionen Menschenleben gefordert. In diesen Konflikten ohne Illusionen und ohne Helden, ohne Ritterschlag und Ruhm, zu denen -wie im Fall Syrien/Irak -junge Menschen aus allen Erdteilen strömen, entpuppt sich der Krieg zu einer Sammelstelle perverser Charaktere in einer sadistischen Orgie der Gewalt mit Mord als Klimax der menschlichen Impotenz.

Homer muss vor 2800 Jahren etwas Ähnliches empfunden haben, nachdem er das Morden vor Troja in allen Details geschildert hatte. In der zitierten Unterweltszene lässt er Achilles auf Odysseus' Lob antworten: "Nicht rede mir vom Tod ein Trostwort, Odysseus. Lieber ja wollt ich das Feld als Tagelöhner bestellen, einem dürftigen Mann, ohne Erbe und Wohlstand, als die sämtliche Schar der geschwundenen Toten beherrschen."

Wege des Todes

Wenn der Krieg der Vater aller Dinge ist, dann ist er gleichzeitig auch ihr Mörder. Im Zweiten Weltkrieg, der vor 75 Jahren begann, starben 55 Millionen Menschen. Die Kirchen spendeten oft Kanonen, ihren Segen, und sie lernten spät Menschlichkeit. Nicht ganz so geht es Historikern, die aus dem Krieg immer noch Wohlstand und Reichtum wachsen sehen.

Redaktion :Otto Friedrich und OliverTanzer

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