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Saisonbeginn im Theater
Das Volkstheater eröffnete seine Spielzeit im Zeichen seines 75jährigen Jubiläums mit einem so gut wie unbekannten Stück seines Hausdichters Anzengruber: „Brave Leut’ vom Grund”. Die 1880 entstandene und erst nach Anzengrubers Tod (1889) am Volkstheater aufgeführte Posse mit Gesang zeigt, obwohl ein Nebenwerk, alle Charakteristiken dieses urwienerischen Volksdichters. Anders als in seinen berühmteren Stücken mit ihrem idealisierten Bild von Bauer lind Bäuerin und ihrem synthetischen Bauerndialekt (es waren die Jahrzehnte der Entdeckung der Sommerfrische und damit der Idylle des Landlebens) fehlt hier den Genrebildern von den „braven und den schlechten Leut’ vom Grund” der eigentliche dramatische Atem. Aber dafür konturierte dieser moralisierende Realist, der immer Theater und nicht Literatur wollt, seine Wiener Typen trefflich und stattete die positiven unter ihnen mit Herz, Humor und einem nie versagenden Mundwerk aus. Neben der reschen, lebensklugen, mütterlichen Amalie (Hilde Sochor) zeigt er uns die für ihr verpfuschtes Leben an ihrem zweiten Mann sich rächende Ehefurie (Paula Pflüger) und die hilflose und schließlich unglückliche Näherin Rosa (Susi Peter). Die beiden tragenden Männerrollen verkörpern der kreuzbrave, seinem Eheweib gehorsame Drechslermeister Lorenz (Joseph Hendrichs) und der verkommene Filou Kranzberger (Harry Fuß). — Die zahlreichen Mitwirkenden ließen nur wenige Wünsche offen. Regisseur Gustav Manker verstand es, Anzengruber dem Publikum von heute nahezubringen, ohne Konzessionen an Sentimentalitäten. Die Bühnenbilder von Rudolf Schneider- Manns Au geben die Atmosphäre der Gründerjahre gut wieder. Das Ergebnis ist kein großer, aber ein liebenswürdiger Theaterabend, für den das Publikum beifallsfreudig dankte.
Das Theater in der Josef stadt wählte für den Beginn der Spielzeit die Komödie „System Fabrizzi” von Albert Husson, einem erfolgreichen Komödienautor aus Lyon. Sein Freund (und ebenso erfolgreicher Autor Andrė Roussin) bescheinigte ihm in einem Vorwort zu dem Stück, „daß wir, wenn wir eine von Hus- sons Komödien sehen, immer jenen Humor finden werden, der ein Ausdruck von Zartgefühl und Bescheidenheit ist und jener Herzensanmut, wie sie eben Dichtern eignet”. — Nun, das ist hochgegriffen und hält, auf „System Fabrizzi” bezogen, nicht stand. Zugegeben, man lächelt häufig über den köstlichen Grundeinfall der Komödie, daß ein weltfremder, den einfachen Dingen des Lebens zugetaner Mensch aus reinem Vergnügen und nicht aus Geschäftssinn Geld zu drei Prozent Zinsen verleiht und 30 Prozent für Geldeinlagen verspricht. Er kommt dabei notgedrungen mit der herrschenden Finanz- und Bankmoral in Konflikt, bleibt aber standhaft der reine Tor und entgeht dem unausweichlichen finanziellen Zusammenbruch am Ende nur durch ein „Wunder”. Das hat etwas Märchenhaftes an sich und ist wohl auch so gedacht, wenngleich es manchen boshaften Seitenhieb auf Staat und Gesellschaft. Land und Leute (das Stück spielt in Italien, meint aber auch jedes andere Land) setzt.
Die Aufführung im Theater io der Josef stadt unter der leider zuwenig kurzweiligen Regie von Dietrich Haugk fand ihre Hauptstütze in Leopold Rudolf, der wie immer mit komödiantischer Verve seinen grundgütigen und dabei doch recht pfiffigen und halsstarrigen Signor Fabrizzi mimt. Neben ihm gefallen am besten Gertraud Jesserer als siebzehnjährige Straßenschlainpe, die sich unter dem Einfluß des Herrn Fabrizzi (allerdings nicht ganz glaubwürdig) in ein braves Ehefrauchen verwandelt, und Lotte Lang als deren grotesk aufgeputzte, versoffene Mutter. Gut noch Hilde Jaeger als bekümmerte Gläubigerin. Eine Fehlbesetzung war Michael Toost in der Rolle des mit Geschmacklosigkeiten überhäuften Monsignore Ottavia. Das Bühnenbild von Roman Weyl hätte einen helleren, südlichen Hintergrund vertragen. Das Publikum, erst vergnügt, spürte dann einige Längen und bedachte schließlich die Schauspieler mit viel Beifall.
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