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Gestern, heute, einst

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Wer schätzt heute das alte Österreich? Nur noch einige jener, die es miterlebt haben? Ist es endgültig versunken? Im Volkstheater ersteht es überaus lebendig in dem vor fast siebzig Jahren entstandenen Volksstück von Felix Salten „Der Gemeine“, im Aspekt Wien mit den feschen Offizieren und ihren Amouren, mit den Volkssängern und den Strizzis.

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Wer schätzt heute das alte Österreich? Nur noch einige jener, die es miterlebt haben? Ist es endgültig versunken? Im Volkstheater ersteht es überaus lebendig in dem vor fast siebzig Jahren entstandenen Volksstück von Felix Salten „Der Gemeine“, im Aspekt Wien mit den feschen Offizieren und ihren Amouren, mit den Volkssängern und den Strizzis.

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Ein prächtiger erster Akt: Im Hof des Gebäudes, in dem die Assentierungen stattfinden, schäumt das Juhu derer über, die einrücken werden. Nur der junge Kemthaler befürchtet, Marie, die Tochter einer Volkssänge- rin, die er heiraten will, in den drei Jahren seiner Dienstzeit zu verlieren. Die Prämissen für ein wirkungsvolles Stück sind gesetzt. Aber Salten löst sie kaum ein. Marie, der ein Leutnant nachstellt, wird auf sein Zimmer gelockt, der „Gemeine“ Kemthaler trifft sie da als Aushilfsordonnanz an und knallt sie nieder. Alle diese Szenen bieten dem Volkstheater die Gelegenheit, darstellerisch zu brillieren. Unter der Regie von Rudolf Kautek ist jede Rolle richtig besetzt und vollendet durchgezeichnet. Brigitte Swoboda als scheu verhaltene Marie, Herwig

Seeböck als der sie verbittert Liebende, Albert Rolant als schnittigeleganter Leutnant, Hilde Sochor und Harry Fuß als ein Volkssängerpaar von mitreißendem Temperament und Herbert Propst als für alles Militärische schwärmender alter Kemthaler tragen unter den vielen Darstellern vor allem den Abend. Die wirkungsvollen Bühnenbilder — das mit der Praterbude wurde beklatscht — entwarf Georg Schmid.

Auch Schwankautoren haben manchmal dramaturgische Einfälle. Der 31jährige Engländer Alan Ayckbourn erweist dies in dem als Lustspiel bezeichneten Stück „Die bessere Hälfte", das im Theater in der Josef- stadt zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte. Da gibt es ge-

trennt reziproke Vorgänge — Verheimlichung von Seitensprüngen samt zugehörigen Ausreden — bei zwei Paaren, Vorgänge, die im gleichen Wohnraum simultan ineinander verschnitten vorgeführt werden. Die Figuren sprechen aneinander vorbei, gehen aneinander vorbei, da sie eigentlich je in einem anderen Raum hausen, es sei denn, man besucht sich. Da dies bis zu einer Parallelität des Reziproken getrieben wird, könnte das Stück durchaus reizvoll wirken, wenn sich der Autor nicht mit konventionellen Verwicklungen, konventionellen Gestalten und belanglosen Dialogen begnügen würde. Klaus Gmeiner bietet als Regisseur lediglich Unterhaltungsroutine. Die vorzügliche Ursula Schult wäre eines besseren Stücks wert. Elfriede Ott, Ernst Waldbrunn dämpfen erfreulich ihre Eigenart.

Als einen Routinier des vergnüglichen Theaters lemt man den Schweizer Pierre Bürki kennen, der im „Kleinen Theater der Josefstadt" mit seiner Komödie „Die Intrigantin oder Ehe mit beschränkter Haftung" uraufgeführt wurde. Die Ehe des Boulevardautors Maurice ist eingerostet, dieses Mannsbild steckt durch einen Alterskomplex in einer Krise des Selbstvertrauens, was sich in der mangelnden Qualität seines letzten Stücks bemerkbar macht. Da bewirkt seine Frau Viviane durch eine Intrige als Medizin, daß sich ihrem Mann die junge knusprige Corinne an den Hals wirft, wobei sie im Gefüge ihrer Maßnahmen ein außereheliches Gastspiel mit in Kauf nimmt. Ergebnis: Die Frischzellentherapie mit der bald abservierten Corinne klappt, die Ehe wird wieder flott. Viviane liebt ihren Gatten. Bürki, perfekter Techniker der leichten Hand, bietet typisch gestriges bourgeoises Theater von guter Konfektion, lediglich eine der Gestalten wird zum heutigen Einsprengsel. Unter der Regie von Friedrich Kaltina beeindrucken vorweg Marion Degler und Leopold Rudolf in sordiniertem „Josefstadt- Stil“, Erni Mangold setzt schärfere Farben ein.

Einzig eine Kleinbühne, das Ateliertheater, brachte in diesen letzten Wochen ein Stück, das wesentliche Problembereiche aufwirft: Die vor 35 Jahren entstandene Parabel „Yvonne, Prinzessin von Burgund" von dem Polen Witold Gombrowicz, einem Vorläufer des „absurden“ Theaters, der im vergangenen Jahr an der Riviera starb. Bei diesem Stück ergibt sich der Eindruck, als sei der Autor nicht von einer Situation ausgegangen, wie die meisten Dramatiker, sondern von einer Frage. Und zwar davon, welche Funktion dem Häßlichen, Mißgestalteten, Verkrüppelten in der Welt zukomme. Prinz Philipp begegnete dem mißgestalteten Mädchen Yvonne, das ihn zunächst zum Spott reizt, aber bald wird ihm das Häßliche, das Anderssein zum Rätsel, das er zu ergründen trachtet. Er macht Yvonne gegen den anfänglichen Widerstand der königlichen Eltern zu seiner Braut, um mit ihr Wie besessen zu experimentieren, aber auch, um das verachtete Anderssein als berechtigte Seinssituation zu postulieren.

Unter der Regie von Peter Janisch kommt das Dialektische des Stücks gut zur Geltung. Das bewirkt im besonderen die Intensität von Peter Wolsdorff als Prinz. Johanna’Tomek zeigt als Yvonne erbarmungswürdige Verstörtheit. Karl Dobravsky hat als König die Vitalität eines gekrönten Spießers, als Königin exaltiert Trude Marlen in einem längeren Monolog. Von Haitger Max Böken stammt das schlichte Bühnenbild.

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