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Teures Bauen

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Es ist keine Frage, daß man mit dem Ergebnis des Wohnungsbaues unzufrieden ist, keine Frage auch, daß nidit einmal das geschehen ist, was hätte geschehen können. Das ist in allen Ländern gleich, in Frankreidi oder Italien noch sdilimmer als in Oesterreich. Nach Jahren der großen Hoffnungen auf die „durdi Technik“ bewirkte Lösung des Wohnungsproblems und des Zornes über die Saumseligkeit der Gesetzgeber und der Bürokratie, beginnt man das ungelöste Wohnungsproblem als eine Parallelerscheinung zu dem ungelösten Problem einer neuen Gesellschaftsordnung anzusehen. So ergibt sich auf der einen Seite fast Resignation oder Kapitulation vor den bisher unterschätzten Schwierigkeiten, auf der anderen Seite aber wächst die Verbitterung. Die Lage in den Großstädten ist nach wie vor ernst. Vielleicht soll man einen neuen Schwung durch Aufzeigung der Versätimnisse versuchen:

Der soziale Wohnbau in Oesterreich begann mit sichtbarer Bevorzugung der Grünlandsiedlung. An den Rändern der Großstadt herrschte Bautätigkeit, während „baureife“ Parzellen der inneren Bezirke liegenblieben. Als man dann die Kosten für Straßen, Kanäle, Verkehrslinien übersah, verließ man die zwei-oder gar nur eingesdrossige Bauart sehr rasch und schuf hohe und dichtbebaute Blöcke, die an Ausnutzung des Bodens den Stadtbildern von Prag, Warschau, Paris oder Rom ähneln. Unbesdiadet der längst illusorisdien Grundrente wuchsen nunmehr die Blöcke ebenso dicht wie in den kapitalistisdnen oder kommunistischen (Moskau, Charkow) Ländern. Aber die Reformer hatten die finanziellen Folgen, das Gekoppeltsein von größerer Bequemlichkeit und geringerem Einkommen vergessen. Sie wollten die „Zinsknechtschaft brechen“ und waren finanzpolitisch unerfahren. Der erste Schritt zur Wohnbauverbilligung wäre also die Abschüttelung der Doktrinäre gewesen, die die gesetzliche Sicherung der im Zentrum vorhandenen „erschlossenen“ Baugründe, die sofortige Beschreitung des „mittleren Weges“, verhinderten. So mußte man in bedrängter Lage nicht nur neue Häuser, sondern auch neue Straßen, Kanäle, Verkehrslinien, Schulen u. s. f. bauen. Wenn heute, etwa im 3. Bezirk,' dichter als dicht gebaut wird, so hängt dies gewiß mit der im Anfang übertriebenen Flachsiedlung zusammen.

Der zweite, womöglich schwerere Fehler war die Nichtschaffung eines erträglichen Baugeldzinsfußes. Bauhypotheken sind überhaupt nicht oder nur unter sehr schweren Bedingungen zu erhalten. Aber der Wiederaufbaufonds gibt Geld sozusagen umsonst. Nie wird der Laie einsehen, warum dieses billige Geld mit dem teuren vermischt nicht einen erträglichen Mittelkurs hätte ergeben können, ähnlich etwa den drei- oder vierprozentigen Krediten der Bundesländer, die bestimmte Arten von Häuser wie Pilze aus dem Boden schießen machen. In Deutschland ist ebenfalls durch Mischung verschieden verzinslicher Baur.jldcr die eindrucksvolle Bewegung erreicht worden. Auch ist hier auf das Beispiel der Tschechoslowakei zu verweisen, die zwischen 1920 und 1940 ohne große Enqueten, ohne Beschreitung des gefährlichen Weges der „Begünstigtenwohnungen“, ohne Verschleierung der wahren Kosten, ohne Blockierung des Grundstückmarktes und dadurch bewirkter Abdrosselung des Zentrums, außerordentliche Wohnbauleistungen vollbrachte. Bei unmerklicher Manipulierung des Hypothekensatzes, der immerhin 6,5 Prozent plus Amortisation betrug, bewirkte allein die 25t bzw. 40jährige Steuerfreiheit sowohl die Adaptierung der alten Bestände wie die Verdoppelung des W.ohnvolumens. Die Hausherren, wurden nicht enteignet. Der zweite wichtigste Fehler nähert sich bereits dem politischen Urgrund der Teuerung, der Blockierung gesunder Finanzwirtschaft durch Proporz und Kollektivdenken.

Eine weitere Reihe von verpaßten Gelegenheiten, den Wohnbau zu verbilligen, hängt ebenfalls mit Fehlerquellen der Gesetzgebung zusammen. Doch mögen die schwierigen innen- und außenpolitischen Verhältnisse im besetzten Lande das entschuldigen. Sie ließen es geraten erscheinen, zunächst abzuwarten. Dies betrifft zum Beispiel die Frage der Modernisierung alter Wohnungen, der Teilung von Großwohnungen, der Enteignung von Baugründen im Zentrum, der Steuerbefreiung der Neubauten in einem allgemeineren Sinn, die Valorisierung der Mieten, die Abschaffung des Hauskollektiveigentums (das beiden staatstragenden Parteien den Vorwurf der Protektionswirtschaft eintrug) u. s. f.

Gegen die Wirksamkeit dieser „durch Gesetz“ zu erreichenden Bauimpulse stehen alle „durch Technik“ zu erreichenden Verbilligun-gen zurück. Die Technik ist wendig genug, um augenblicklich einen durchsetzbaren Vorteil zu ergreifen. Zwar sieht der Laie nicht ein, warum das Praktischere Widerstand findet. Eine neue Art von Wänden oder Decken, ein sparsamerer Grundriß berührt aber augenblicklich finanzielle oder bürokratische — in der Auswirkung also ebenfalls politische — Gegebenheiten. Die Aemter, die alles aufs beste wollen, fühlen sich durch neue Ideen geschulmeistert und der Erzeuger der bisherigen Wand durch die neue finanziell bedroht. Die Interessen sind verworren, ja verfilzt. Sich gegen sie zu stemmen, verlangt sehr breite Schultern. Wenn es auch dem Einfältigen klar ist, daß Straßen und Kanäle teuer sind, und daß es besser wäre, statt ihrer Wohnungen zu bauen, so wird der die Welt kennende, kluge Mann trotzdem nicht versuchen, die Nebenräume ins Innere des Hauses zu legen, dadurch die Hausfront und die Straßen zu kürzen. Er weiß: Bei uns wie im Bonner Wohnbauministerium, wurden Typengrundrisse erarbeitet, die im wesentlichen so sind wie die expansiven Schmalzeilen der Hitler-Zeit. Diesen Typus mit seinen ungeheuren Höfen, dieses möglichste Niedrigsein der Häuser, war bis zur eisernen Belehrung durch finanzielle Folgen ein aussichtsloses Unterfangen. Die Beamten, die diese Typen in endlosen Ausschüssen berieten, gaben natürlich nicht zu, daß man auf andere Weise nützlicher bauen könnte. Sie wissen hinter sich die Kompaktheit eines Volkswillens, welchem die komplizierten Zusammenhänge zwischen Bauart und Wohnvorteil nicht begreiflich gemacht werden kann. Wer das Wort Wohngarten“ ausspricht, mobilisiert tausend blinde Sehnsüchte, die den, der die Unmöglichkeit des Wunschtraums behauptet, in der

Abstimmung vernichten. Dabei ist Wien gegen Deutschland fortschrittlich: es ist von den etwa 9 Meter tiefen Hitler-Zeilen auf 11,5 Meter vorgeschritten. Aber nur der Private (und neuerlich das Wohnungseigentum) wagt sich auf größere Haustiefen, weil sie den Grundwert einzukalkulieren gezwungen sind und über die Vorteile der Innenlüftung, Innenstiege, Zentralheizung sich orientieren. Die öffentliche Hand nutzt die Fortschritte der Technik nicht, nicht den Vorstoß „ins Höhenklima“, verschleiert den Begriff der Grundrente, der selbstverständlich ip jedem städtischen Gemeinwesen sei es sozialistisch oder kommunistisch — ganz genau so wie im kapitalistischen Westen besteht.

Ein ähnliches Zusammenstoßen von Fortschritt und „beharrender Macht“ bietet das Bild des Kampfes gegen die alten Ziegelbau-weisen, bei dem höchst mühsam Neuland abgerungen wird, wo aber eine vorausschauende staatliche Entwicklungsarbeit den Wohnungssuchenden hätte frühere Früchte bescheren können. Die Leichtbauweisen verstießen gegen die Interessen fundierter altbewährter Industrien, die sich selbstverständlich wehrten. Die Neuerer gingen zu stürmisch vor und machten Fehler. Es war keine Stelle vorhanden, welche Rückschläge zu überbrücken half. So wurden auch im technischen Bereich gute Gedanken an dem das Bauwesen kennzeichnenden ungeheuren Konservatismus zuschanden. Unmerklich nur wandelt sich das Bild der Konstruktion und der Grundriß. Die Technik erringt im Wohnwesen ihren Sieg nachhinkend in einer Zeit, die die dringendste Not bereits überwand. „Auf halbem Wege und mit halber Tat“ blieb die Bürokratie mit dem Wahnwesen stecken.

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