Wo Kirche (ver)blüht

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Die katholische Kirche Oberösterreichs hat sich - wie kaum sonstwo - ihre selbständige und selbstbewusste kirchliche Identität im Gefolge des Zweiten Vatikanums bewahrt. Das prägte auch die Amtsführung des "Volksbischofs" Maximilian Aichern.

Wo Kirche blüht" lautete in den frühen 1990er Jahren ein Slogan der Linzer Kirchenzeitung. Tatsächlich galt - und gilt zum Teil bis heute- das kirchliche Leben in der Diözese Linz als im österreichischen Vergleich besonders stark ausgeprägt und vielfältig. Obwohl das Bistum auf eine "erst" 220-jährige Geschichte zurückblicken kann, gibt es eine vitale Linzer Diözesanidentität. Zur Mutterdiözese Passau ebenso wie zu den anderen österreichischen Diözesen sind gleichermaßen enge Kontakte wie klare Abgrenzung vorzufinden.

Schon beim Bau des Neuen Linzer Doms vor einem Jahrhundert wagten es die Oberösterreicher, ihren Turm höher als jenen der Wiener Stephanskirche zu planen, was auf allerhöchsten Befehl verhindert wurde. So ist der Linzer Dom heute zwar die größte, aber nur zweithöchste Kirche Österreichs.

"In Linz beginnt's"

Im Bundesland, dessen Hauptstadt Linz ist, leben die Oberösterreicher. Sind hier auch die Ober-Katholiken zu Hause? Wer sich je in gesamtösterreichischen Kirchengremien bewegt hat, der kennt das oberösterreichische "Nase vorn"-Gefühl, das allerdings nicht vom Musterschüler-Ehrgeiz oder von polternder Möchtegern-Lautstärke herrührt. Im Land ob der Enns entwickelte sich im 20. Jahrhundert (schon vor und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem aber um das Zweite Vatikanum unter Bischof Franz Zauner, 1904-94) tatsächlich eine selbstbewusste und selbständige Kirchlichkeit. Besonders die Verantwortung und Kraft der Laien fiel und fällt auf. Nicht zufällig kam Eduard Ploier (1930-98), wohl der bekannteste und profilierteste katholische Laie Österreichs nach dem II. Vatikanum, aus Oberösterreich.

Was die Zusammenarbeit der Laien mit dem Klerus betrifft, so gibt es zwar angeblich regionale Unterschiede ("Was ist der Pfarrer? Im Traunviertel ist er der Bruder, im Hausruckviertel der Freund, im Mühlviertel der Herr und im Innviertel der Knecht"), aufs Ganze gesehen ergänzen Priester und Laien aber einander gut. Während in anderen Diözesen Gliederungen der Katholischen Aktion längst abgeschafft oder verwaist sind, sind die Laienbewegungen in der Diözese Linz nach wie vor mitgliederstark.

Doch auch hier ist die Blüte nicht von ewiger Dauer, wachsen auch hier die Bäume nicht in den Himmel. Schon seit Jahren sind über dem Garten der Kirche Oberösterreichs Wolken aufgezogen.

Maximilian Aichern, von 1982 bis 2005 Bischof und derzeit Apostolischer Administrator von Linz, müsste davon ein Lied singen können. Als er kam, war er zunächst der - skeptisch beäugte - Überraschungsbischof aus dem steirischen Nirgendwo. (Wer in der Diözese Linz mit den "großen" Stiften Kremsmünster, Schlägl, Schlierbach, Reichersberg, Lambach, Engelszell, St. Florian und Wilhering kannte damals schon das "kleine" St. Lambrecht, wo Aichern zuvor Abt gewesen war?)

Altbischof Franz Sales Zauner übergab ein gut bestelltes Haus. Weitgehend war Zauners pastorales Ziel "In jeder Pfarre soll es Pfarrheim, Bildungswerk und Katholische Aktion geben" realisiert. 1982 wies das Linzer Diözesanjahrbuch 1033 Priester, 2140 Ordensfrauen, 5 ständige Diakone und 120 hauptberufliche Laien in der Pastoral auf. Diese Zahlen haben sich bis 2004 massiv verändert: 768 Priester, 1101 Ordensfrauen, 71 ständige Diakone und 257 hauptberufliche Laien in der Pastoral.

Zu Beginn der 1980er-Jahre lebten in Oberösterreichs 484 Pfarren 1,11 Millionen Katholiken (89,4 Prozent der damaligen Bevölkerung), 2004 waren es 1,067 Millionen (76,9 Prozent der Bevölkerung).

Aichern kam, sah und - gewann die Herzen im Flug. Er besuchte die Pfarren und suchte den Kontakt zu den Menschen. Ein dialogbereiter und -fähiger Kirchenmann, hörend, offen und zulassend, so wurde er von vielen erlebt.

Andere allerdings wünschten sich als Antwort auf den - nicht nur in Oberösterreich - spürbaren Rückgang der Kirchlichkeit (auch im Bistum Linz halbierte sich in den letzten 25 Jahren der Anteil der Messfeiernden am Sonntag beinahe) und auf die - nicht erst damals - ausbleibenden Priesteramtskandidaten eine strengere bischöfliche Hand.

Jede Seite wollte den jungen Bischof für sich reklamieren und ging dabei nicht zimperlich um. Aichern stellte schon 1984 vor dem Pastoralrat fest: "Wie ich merke, können Christen in unserer Diözese sehr intolerant, härtest und unchristlich in ihrer Kritik zu Mitchristen sein ..."

Der zerrissene Volksbischof

Besonders in den Jahren der umstrittenen Bischofsernennungen wuchsen Aicherns Beliebtheit im Land und seine Wertschätzung bei Geistlichen, LaienmitarbeiterInnen, Ehrenamtlichen und "einfachen" Gläubigen. "Den lassen wir nicht mehr fort", hieß es. Und obwohl sich die Linzer Diözesanleitung immer im Gesamt der Weltkirche verstand, erhielt die Diözese einen gewissen Ruf: Hier sei liturgisch angeblich mehr möglich als anderswo; hier gebe es freiere Meinungsäußerung (Kirchenzeitung) als anderswo; an der Theologischen Hochschule (die später Österreichs erste Privatuniversität wurde) werde liberaler gelehrt als anderswo; Laien hätten angeblich viel mehr zu reden als anderswo ...

Jene, denen das alles nicht gefiel, fühlten sich benachteiligt und hielten dagegen. Ab 1985 erschien die "Gegen-Kirchenzeitung" Der 13. und bald folgten weitere Schriften, so etwa Die Wahrheit, die mehrfach zur Umlenkung des Kirchenbeitrags auf ein Treuhandkonto aufrief. An gewissen Wallfahrtsorten trafen sich traditionistische Gruppen um vorkonziliare Priester. Der "Linzer Priesterkreis" entstand als Sprachrohr eines Teils des Klerus, später nach deutschem Vorbild auch der "Initiativkreis Katholischer Laien". Weil mit dem Angebot der Katholischen Jugend unzufrieden, begannen alternative katholische Jugendorganisationen, Interessierte zu sammeln und Themen zu besetzen.

Neben der Linzer Kirchenzeitung standen immer wieder Einrichtungen des Pastoralamts, die Theologische Fakultät, hauptberufliche Laien in Pastoral und Religionsunterricht, die Aktion Leben, das Bildungshaus Puchberg im Mittelpunkt der Kritik. Thematisch waren der Umgang mit Homosexualität, die Rolle von Frauen in der Kirche, kirchenpolitische Fragen und die liturgische Praxis große Steine des Anstoßes. Niemand weiß, wie viele "Briefe nach Rom" geschrieben worden sind, sei es aus echter Sorge, sei es aus Bosheit oder Vernaderungslust. Öffentlich schwieg die Diözesanleitung meist zu den Angriffen.

Ein Höhepunkt der angespannten Entwicklungen war der 16. Juni 1996, an dem die Plattform "Wir sind Kirche" am Linzer Hauptplatz eine Kirchenvolks-Versammlung abhielt. Zur selben Zeit organisierte der "Linzer Priesterkreis" eine Wallfahrt in der Basilika am Pöstlingberg, dem Linzer Hausberg.

In getrennten Grußworten unterstrich Bischof Aichern damals die Bedeutung der Einheit in der Kirche. Diese könne nur dort entstehen, wo Menschen unterschiedlicher Meinung einander in Respekt und Achtung begegnen. Die Liebe zur Kirche sei allen zuzuerkennen, die sich darum bemühen, so Aichern.

Zwischen den Bulldozern, die im Linzer Diözesangarten fuhrwerken, haben es zarte Pflänzchen nicht leicht. Nicht wenige haben aufgegeben und sich zurückgezogen, andere ziehen vor, im Verborgenen zu blühen.

Wie geht es weiter?

Bei der Pressekonferenz am 19. Mai 2005 anlässlich der Bekanntgabe seines Rücktritts als Bischof von Linz machte Maximilian Aichern kein Hehl aus den Belastungen, die die innerkirchlichen Auseinandersetzungen erzeugt hatten. Er verwahrte sich lediglich gegen die Vermutung, dass es bestimmten Kräften nun (vor allem mit einer Kampagne im Internet) gelungen sei, ihn aus dem Sattel zu werfen. Wären die Anwürfe gegen ihn ein Grund zum Rücktritt, so hätte er schon früher gehen müssen, so Aichern. Man sei ständig ein Reibebaum, einmal für diese, einmal für jene Seite.

Nun wird ein neuer Gärtner für die Kirche von Linz bestellt. Wird er kräftig stutzen oder den angeblich Wildwuchs fördern? Wird er nach genauem Plan strenge Beete anlegen oder die bisherige Vielfalt fördern? Von der Wahl Roms wird abhängen, ob es neue Blüte geben wird oder das große Verblühen kommt. Auch für den neuen Bischof gilt, dass man es nie allen recht machen kann. Aber zu einem guten Teil wird es an seinen Entscheidungen liegen, ob die Menschen in diesem Garten jenen Sinn und Schatten, jene Buntheit, Lebensfreude und Ruhe finden, die sie heute suchen.

Dazu hat Maximilian Aichern mit seinem Rücktrittsgesuch den Weg frei gemacht, in der Hoffnung, wie er unterstrich, der Diözese Linz damit Gutes zu tun.

Der Autor ist Theologe und Journalist, er war bis September 2000 Redakteur der Linzer Kirchenzeitung.

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