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Chance für Konzept

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In Genf begannen am 29. Juni die Verhandlungen zwischen den USA und der UdSSR über eine Reduktion strategischer Langstrecken- Atomwaffensysteme (START). Die USA schlagen als ersten Schritt eine Räumung der Atomsprengkopfarsenale um ein Drittel und eine Verschiebung des UdSSR-Verhältnisses von Land-zu See- und Luftraketen von 80:20 auf 50:50 an.

Ein Propagandatrick zur Besänftigung der Friedensbewegungen?. Auf diese Frage antwortete US-Chefunterhändler Edward Rowney mit einem „klaren, unzweideutigen Nein”: Der Regierung Reagan sei es mit „sehr wesentlichen beidseitigen Abbaumaßnahmen” absolut ernst.

Wie Rowney hat auch sein sowjetischer Partner Viktor Kar-pow alle SALT-2-Verhandlungen mitgemacht. Man kennt einander, weiß um die Argumente der jeweiligen Gegenseite, könnte sich also viel Propagandazeit ersparen, wenn man will. „Es könnte viel schneller als bei SALT 2 gehen,” sagt Rowney. Warten wir ab.

Vor Ungeduld ist jedenfalls zu warnen. Der Verhandlungsbeginn aber ist sehr positiv, auch in Europas Sicht. Warum haben dann die westeuropäisch-amerikanischen Beziehungen dennoch einen neuen, besorgniserregenden Tiefpunkt erreicht?

Westeuropäische Politiker nennen das neuerliche Nein Reagans zum westeuropäischen Erdgasleitungsgeschäft mit der UdSSR und die Ausweitung der Wirtschaftssanktionen. Hier aber muß man Gerechtigkeit im Urteil wahren.

Reagan hat bei Verhängung dieser Sanktionen wegen des Kriegsrechts in Polen angekündigt: Wenn es nicht bald Erleichterungen gibt, werden wir bei den Sanktionen „weitere Schritte” setzen! Das Kriegsrecht in Polen gibt es nun ein halbes Jahr. Soll wirklich in alle Zukunft die Faustregel gelten, daß man sich an jede Art von Rechtsverletzung gewöhnt, wenn diese nur genügend lange dauert?

Alle, haben wir im Dezember 1981 befürchtet, daß der Gewöhnungseffekt eintreten werde. Die westeuropäischen Regierungen scheinen ihm tatsächlich erlegen, zu sein. Der Bonner Bundeskanzler warnt vor einem „Wirtschaftskrieg”, Frankreichs Staatspräsident denkt gar an ein internationales Schiedsgerichtsurteil gegen Washington.

Reagan bleibt konsequent und setzt den nächsten Schritt durch Ausweitung der Liefersperren für bestimmte Technologien auf Auslandsfirmen, die mit US-Lizenzen arbeiten.

An der Regierung Reagan gibt es vieles auszusetzen. Aber wenn sie einmal so konsequent auftritt, daß sie für Freund und Gegner kalkulierbar ist, erweist sie beiden einen Dienst. Dafür verdient sie keine Prügel.

Bedauerlich ist, daß Außenminister Alexander Haig ausgerechnet die Sanktionsausweitung zum Anlaß seines überraschenden Rücktritts nahm. Dadurch entstand der Eindruck, als wäre sein Nachfolger einer Politik des neuerlichen Säbelrasseins verpflichtet.

Manches spricht dafür, daß dies von George Shultz gar nicht zu erwarten ist. Gegen diese Optik wird er sich freilich erst einmal behaupten müssen.

Alexander Haig ging, weil sein starkes Ichbewußtsein es nicht länger ertrug, vom Präsidenten zum Teamwork gezwungen zu werden. Er wollte der alleinige Herr im Haus sein, aber das Haus der US-Außenpolitik bestellen traditionellerweise mehrere Personen, vor allem der Präsident selbst.

Wenn der Präsident außenpolitisch unsicher ist, hat derjenige die größte Chance, der mit einem Konzept und dem Vertrauen des Mannes im Weißen Haus versehen ist.

Ein umfassendes Konzept hatte Haig nie, die Unterstützung Reagans nur bedingt. Aber Haig hatte Instinkt und einen Sinn für Realitäten. Gepaart mit der persönlichen Kenntnis der meisten westeuropäischen Staatsmänner, machte ihn diese Kombination einige Zeitlang zum stärkeren Mann der US-Außenpolitik. Ein starker war er nie.

Die Welt dankt ihm manch sinnvolle Einbremsung ideologischer Fanatiker um Reagan. Eine zusammenhängende Globalkonzeption kam gleichwohl nie zustande.

Die Lateinamerikapolitik der USA liegt seit dem Falkland-Krieg in Scherben. Die NATO-Kohärerrz ist ausgehöhlt wie nie zuvor. Die einst visionäre US-Chinapolitik gleicht heute einem Reisessen mit einem statt zweier Stäbchen: mühsam und auszehrend.

Es gibt kein Nahost-Konzept. Es gibt kein Afrika-Konzept. Amerikas UN-Botschafterin Jeane Kirkpatrick hat längst die Nase voll, ist selbst aber für die Regierung Reagan eine große Belastung geworden.

Ein Trost: Der von inneren und äußeren Problemen geschüttelte Ostblock steht um nichts besser, eher noch viel übler da.

Und eines sollten die Westeuropäer, wenn sie jetzt wieder einmal über Führungs- und Konzeptschwächen ihrer transatlantischen Vormacht klagen, nicht vergessen: Es war und ist ihnen nicht verboten, mit eigenen Ideen das Vakuum zu füllen! Man merkt nur nichts davon.

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