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Genmanipulation nur ein Buhmann?

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Mit der Behauptung, die Chancen seien maßlos übertrieben worden, die Risken minimal, nimmt ein Molekularbiologe vom Institut Pasteur die Gentechnik in Schutz.

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Mit der Behauptung, die Chancen seien maßlos übertrieben worden, die Risken minimal, nimmt ein Molekularbiologe vom Institut Pasteur die Gentechnik in Schutz.

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"Sternstunden der Menschheit" nannte Stefan Zweig sein Buch. Die Konferenz von Asilomar war dann wohl ein Stemschnuppenstünd-chen, denn die von einer Elite von Biochemikern 1975 in dem kalifornischen Ort beschlossenen Sicherheitsregeln für gentechnische Experimente blieben nur sehr kurz verbindlich.

Es gibt aber auch jene erhellenden Momente, in denen Kräfte imd Motive erkennbar werden, die zu historischen Entscheidungen führen. Ein solches Aha-Erlebnis ist dem Leser des Buches "Genetik -

Gentechnik - Genmanipulation" von Philippe Kourilsky beschieden. Kourilsky leitet das Labor für Molekularbiologie und Genetik am Institut Pasteur in Paris und war 1975 Teilnehmer in Asilomar. In seinem 1987 unter dem Titel "Les Artisans de l’Hereditė" erschienenen, nun auf Deutsch vorliegenden Werk will er den Standpunkt der Vernunft und Sachlichkeit vertreten und durchlnformation Verständnis und Kritikfähigkeit des Lesers auf die Sprünge helfen.

Asüomar ist Kourilsky als "zugleich aufregendes und verworrenes Ereignis" in Erinnerung geblieben. Aufregend, weil es ganz neue Forschungsperspektiven, neue wis-

senschaftliche Abenteuer versprach, aber auch, weil die Debatten über die Macht und die Pflicht der Wissenschaft niemandengleich-gültig lassen konnten. Verworren, weil über einige Grundfragen nur wenig Klarheit herrschte, weil sie entweder völlig unzulänglich oder gar nicht angesprochen wurden. An der Grenze unseres Wissens gingen die Meinungen weit auseinander. So klar die positiven Zielsetzungen waren - Genreinigung, Manipulation von Mikroorganismen zum angeblichen Wohl der Gesundheit oder der Wirtschaft -, so verschwommen waren die Vorstellungen über mögliche nachteilige Auswirkungen. Die Auseinandersetzung darüber erfolgte im Zeichen großer Unkenntnis. Es war keineswegs sicher, daß es überhaupt Risiken gab. Und wenn Risiken bestanden, so vermochte niemand zu sagen, welcher Art und wie groß sie waren. Vielleicht waren sie wirklich besorgniserregend, vielleicht waren sie aber auch unbedeutend. Und wie sollte man über Art und Ausmaß von Risiken entscheiden, ohne zu experimentieren, ohne ein Mindestmaß an Risiken in Kauf zu nehmen?…

Wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft kein eindeutiges Urteil fällen könnte, dann, so meinte man mit Recht, würden andere es tun, vor allem die Politiker. Am Abend des dritten Tages arbeiteten die Veranstalter der Tagung bis spät in der Nacht ein Abschlußdokument aus, das dem Plenum am nächsten Morgen zur Billigung vorgelegt, in einigen Punkten abgeändert und schließlich fast einstimmig angenommen wurde… Man hatte sich einfachauf höchste Sicherheitsvorkehrungen geeinigt. Bestimmte Experimente sollten nach dem Willen der Teilnehmer völlig unterbleiben. Für andere wurde nachdrücklich eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen empfohlen. Zu ihrer Verwirklichung waren teilweise sehr kostspielige Spezialeinrichtungenerfor-derUdi™ Jch gehörte zu den wenigen, die sich gegen die Entschließung aussprachen. Dabei hatte ich, wie ich zugeben muß, auch keine sehr klaren Vorstellungen, aber ich befürchtete, daß diese Konferenz, die unter der Schirmherrschaft der Akademie der Wissenschaften der USA stattgefunden hatte, mit ihren

F.nt.gphlipRiingpn njirliVialtig auf den

Förschungsbetrieb anderer Länder einwirken würde, ohne daß die jeweiligen Besonderheiten Berücksichtigung fänden."

Deutlicher wurde die Ablehnung radikaler Vorsicht aufgrund eines sich erst undeutlich abzeichnenden, unkalkulierbaren Gefahrenpotentials ausgedrückt Kourilsky ist ein bedeutender Wissenschaftler. Er kann wissenschaftliche Sachverhalte einleuchtend erklären. Er zeigt die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis und Methoden. Woran er vorbeigeht, vorbeischreibt: Die Notwendigkeit, aufgrund lückenhaften Wissens und unvollständiger Information Entscheidungen zu treffen.

Den Wissenschaftlern, die in Asilomar zusanmienka-men, schwante etwas von apokalyptischen Gefahren. Aufgrund ihrer Ahnungen entschie-den sie sich für möglichst" große Vorsicht. Die Pharmaindustrie wiederum konnte, als sie groß in die Gentechnik einstieg, keinesfalls ausschließen, daß es ein solches Gefahrenpotential gab.

In der Zwischenzeit kam es zu einer Serie von Erkrankungen an einer seltenen Krebsform unter Wissenschaftlern, die in einem gentechiüschen Labor des Pariser Institut Pasteur arbeiteten, wo auch Philippe Kourilsky leitend tätig ist. WilHam Roskam starb am 5. April als vierter einer Gruppe von Gentechnikem, die gemeinsam an einem Projekt gearbeitet hatten. Der Verdacht eines Laborunfalls liegt nahe, der Gedanke an eine neue, sich nun möglicherweise in der Welt verbreitende, ansteckende Krebsform hegt in der Luft. Alle, die etwas wissen könnten, schotten ab. Eine Kommission von Wissenschaftlern versucht der Ursache auf die Spur zu kommen, doch ein Erfolg ist nicht in Sicht. Sollte tatsächlich eine im Laborversuch künstlich erzeugte Krebs-

form entkommen sein, würden die Folgen möglicherweise erst im Lauf von Jahrzehnten erkennbar.

Es handelt sich nicht um das von Kourilsky geleitete Laboratorium. Es ist möglich, daß er nichts Näheres über den Vorfall wußte, als er sein Manuskript fertigstellte. Trotzdem berührt es heute seltsam, das Buch eines so kompetenten Mannes über das Thema Gentechnik zu lesen, ohne daß der mögliche Laborunf all am Institut Pasteur auch nur erwähnt wird.

Und es berührt in dieser Situation auch seltsam, von der Irrationalität jener zu lesen, die politische Entscheidungen fordern (oder treffen), bevor sie Genaues über die Chancen und/oder Gefahren wissen, mit denen sie es zu tun haben - und kein Wort darüber, daß in solchen Fällen keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist.

Jede Kritik am Tun hochspezialisierter Wissenschaftler, die nicht aus ihrem eigenen, inneren, hochspezialisierten Fachkreis kommt und von Außenstehenden sowieso nicht verstanden werden könnte, kann in Kourilskys Augen nur irrational sein, in den phantastischen Mythen der Science-fiction-Autoren wurzeln, bestenfalls, als der "rationalste Aspekt dieser Reaktionen… tiefe Sorge um die Ausübung wissenschaftlicher Macht sowie über die Möglichkeiten ihrer gesellschaftlichen Kontrolle" zimi Motiv haben. Aber auch dann, meint er, konime die Gentechnik unschuldig zum Handkuß. Kourilsky vermittelt seinen Lesern eine FüUe von Information. Zu den aufregendsten Stellen gehören die, wo er die Bedeutung neuester molekularbiologischer Erkenntnisse für zu Evolutions-Diskussion erläutert. Aber er vorsteht seine Rolle als Wissensvermittler offensichtlich etwa so wie ein berühmter Theatermann, dem man absolute Treue zum demokratischen Führungsmodell nachsagte, solang seine Mitarbeiter jene demokratische Reife besaßen, die sie in die Lage versetzte, die Richtigkeit seiner, des großen Theatermannes, Erkenntnisse imd Konzepte zu erkennen und zu akzeptieren.

Seine Position deckt sich voll und ganz mit dem extrem technokratischen Denken der Führungsschicht seines Landes. Nur engste Fachkollegen sind in der Lage, Wert, Originalität, Zukunftsbedeutungwissen-schaf tücher Erkenntnisse und Projekte zu bewerten. Wörtlich: "Das elitäre Prinzip ist in der Forschung unverzichtbar. Deshalb ist ihre gesellschaftliche Verwaltung so schwierig: Die Interessen der Mehrheit müssen denen der Elite weitgehend untergeordnet werden."

Wobei die höchstspezialisierten Mandarine des jeweiligen Faches im Zentrum des jeweiligen Landes die Elite bilden und die Mehrheit aus den weniger erfolgreichen, weniger qualifizierten, im konkreten französischen Fall: nicht in Paris arbeitenden Forschem besteht. Der Steuerzahler hat das Recht auf die notwendige Information, die es ihm ermöglicht, die Richtigkeit der von dieser Elite getroffenen Entscheidungen zu verstehen und gutzuheißen.

Nur Wirrköpfe können daher, dies die logische Konsequenz solcher Position, die politische Kontrolle wissenschaftlicher Instanzen und die Mitsprache des Wählers bei der Vergabe von Forschungsmitteln wirklich wollen. Ein Standpunkt, den man noch schwerer zu teilen vermag, wenn man erfährt, daß auch Kourilslqr einer der Forscher ist, die durch Gründung einer Firma an der praktischen Verwertung ihrer Erkenntnisse teilzunehmen versuchten.

GENETIK - GENTECHNIK - GENMANIPUIATION. Von Philippe Kourilsky. Piper Vetlag, Mlncben 1969. 314 Seiten, In., öS 310,44.

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