Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Gibt es Heilige in der Politik?
Leopold von Österreich (vor genau 500 Jahren heiliggesprochen) zähltsicher wie Jeanne d'Arc oder Thomas Becket zu den „politischen Heiligen”. Gibt es die auch heute?
Leopold von Österreich (vor genau 500 Jahren heiliggesprochen) zähltsicher wie Jeanne d'Arc oder Thomas Becket zu den „politischen Heiligen”. Gibt es die auch heute?
Gibt es das überhaupt: „Heilige in der Politik”, „Politische Heiligkeit”? Ist es nicht eines der vielen Modeworte, deren Inhalt im nachhinein mühevoll (dazu)konstru-iert wird?
Wenn wir aber positiv herangehen, was steckt dahinter? „Mutig gegen den Strom der Zeit”, so sollen 16 „Politische Heilige” gewesen sein, die Ferdinand Reisinger, Linzer Professor für Christliche Gesellschaftslehre vorstellt. In einem Essay dazu liefert er sozusagen die „Theorie” für ihr Leben und unser Verständnis von „Politischer Heiligkeit” nach. In diesen Zeüen geht es um ein paar Gedanken zu seiner „geistlichen und politischen Theorie”, weil sich der nachdenkliche Leser nicht mit dem Faktum begnügen will, daß es diese Heiligen eben einmal gegeben hat, sondern weiterfragen wird, ob und unter welchen Bedingungen solches Sein heute noch möglich, ja vielleicht sogar gefordert sei. Damit öffnet sich der Blick auf die vielen, zumeist nicht „heiliggesprochenen” Heiligen unserer Tage.
Heiligwerden ist heute kein allgemein anerkanntes Programm, wenn als Maßstab für diese These das Wollen oder die Absicht vieler
Menschen gelten soll. Doch in diesem Sinne kann Heiligkeit auch kein Programm sein. Wenn unter Heiligkeit die konsequente Gestaltung des Lebens aus dem Geist Jesu heraus verstanden wird, dann wird klar, daß solches Gestalten nicht in einem eigenmächtigen Tun und Wollen bestehen kann, sondern daß Heilige in allen Lebensbezügen eine Instanz erkennen lassen, durch die ihr Leben und Handeln diese Richtung und keine andere genommen hat: Man kann dies „Berufung” nennen, „göttliche Provokation” oder einfach „Grunderfahrung”.
Entscheidend ist: Diese Umkehr zur Neugestaltung des Lebens in Heiligkeit ist nicht sosehr und nicht zuallererst Forderung, sondern dem Menschen anvertraute Gabe, einfach: Gnade, die nicht verstehbar ist ohne das Ereignis Gottes in Jesus Christus.
Heiligkeit hat sich weder in früherer Zeit noch heute vornehmlich im Außergewöhnlichen gezeigt — uns ist als den „Heiligen” die ganz gewöhnliche Heiligkeit zugesagt und ermöglicht: In den konkreten Situationen des Alltags. Dort ist weniger Heroismus und Erfolg als vielmehr das Zulassen von und Sich-Führen-Las-sen in Situationen gefordert. Normale Heiligkeit beginnt damit, „sich heiligen zu lassen”.
Kein Programm
Streben nach Heiligkeit ist so kein freiwilliges Hobby einiger Glaubensfanatiker und Exzentriker, sondern Teil des Glaubendürfens. Die Beispiele ausnahmslos aller „politischen Heiligen” der Geschichte und der Gegenwart machen deutlich, daß es persönliche Vollkommenheit nur gibt, wenn das eigene Leben bedingungslos und risikobewußt eingesetzt wird. Nimmt es da Wunder, wenn wir vermeinen, heute kaum noch Heilige, noch dazu im Feld der Politik zu finden?
Politik galt seit der Antike als Bestreben um ein gutes Leben in der Gemeinschaft. Dieses Streben und nicht der Beruf eines „Politikers” oder die öffentliche und anerkannte Wirksamkeit ist das Hauptkriterium für den Titel „Politischer Heiliger”. Freilich geht damit immer eine unauflösbare Verschränkung von Privatheit und Öffentlichkeit einher, die ihren Ausdruck in einer ebensolchen Umklammerung von Frömmigkeit („Mystik”) und Engagement („Politik”) findet.
Politische Heiligkeit hat es immer mit Ordnungen in Gesellschaft und Kirche zu tun, die entweder in ihrem Unrecht kritisiert oder in ihrem Recht bestätigt und unterstützt werden: Heilige kämpften und kämpfen für die je bessere Ordnung, weil sie auf Seite derer stehen, die von der bestehenden Ordnung unterdrückt werden (P. Maximilian Kolbe, aber auch die noch nicht „zur Ehre der Altäre erhobenen, wie Bischof Oscar Romero, Bruder Charles de Foucauld — und warum nicht auch einen M. L. King nennen, der aus denselben Motiven lebte und handelte).
Sie bewährten sich im aktuellen Konflikt — wie etwa Johanna von Orleans und Katharina von Siena, Bruder Klaus und Thomas Bek-ket. Manche scheuten sich nicht, Partei zu ergreifen, aber niemals die, die ihnen ein angenehmes Leben versprach, sondern immer die, die die Schattenseiten des Lebens bot. Bewährung, nicht Bewahrung; in aller Parteilichkeit dem größeren Ganzen dienen, Entscheidung für ein Leben in der Nachfolge — das könnten einige Motti für „Politische Heilige” sein.
Was den Umgang mit dem Wort der Heiligen Schrift betrifft, so fällt auf, daß diese Heiligen, auch unserer Tage, ein viel unkomplizierteres Verhältnis zu ihr hatten, daß sie dieses Wort vorbehaltlos als „Frohbotschaft” aufnehmen und sich in Anspruch nehmen lassen konnten, daß sie ihr Dasein einfach in Kongruenz, zur Dek-kung mit der Schrift zu bringen suchten.
Dabei ging es nicht so sehr um eine wortwörtliche Auslegung als vielmehr darum, den Sinn zu erfassen — diesen erlebten sie ganz aus ihrer Grunderfahrung heraus. Jesus selbst ist einladende, anziehende und lebenspendende Identifikationsfigur, der jedem einzelnen von ihnen den „schöpferischen Verzicht” ermöglicht: Schöpferisch ist der Verzicht auf das Festhalten am Eigenen, weil er nur so das Neue (das Reich Gottes) in je vollerem Umfange zuläßt.
Als Katalog politischer Tugenden werden leicht die vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und rechtes Maß genannt — sie müssen für heutiges Verständnis weit ausholend interpretiert werden. Heiligkeit läßt sich nicht auf Befehl erzeugen — das wäre eine totale Verkehrung der göttlichen Absichten und der Möglichkeiten des Menschen. Deswegen bleiben die meisten Heiligen im Schatten einer unbekannten Geschichte und sind trotzdem „Vorläufer im Glauben”.
Disziplin und Kritik
Die Radikalität ihrer Liebe, die Spontaneität ihrer Barmherzigkeit, die Zurückgezogenheit, um Spannungen bis zum Austrag durchhalten zu können, ihr Mut zum Ganzen in allen Teilen, ihre Disziplin und (Selbst-)Kritik: Dies alles und noch einiges mehr sind die Haltungen, aus denen sie gelebt haben.
Doch steht der Heilige nicht (nur) auf einem Podest: „Der Heiligen von heute sind viele”. Heilige sind — so gesehen — nichts anderes als die sichtbaren Zeichen für das Wirken Gottes, das in der Geschichte, und das heißt: unter uns, anhält. Als Heilige eröffnen sie neue Wege, indem sie das Unveränderbare verändern, das Un-durchstehbare durchstehen und so den „Anspruch Gottes auf die ganze Welt” anmelden — in diesen Anspruch hinein hebt sich alle Politik auf.
MUTIG GEGEN DEN STROM DER ZEIT. Politische Heilige. Von Ferdinand Reisinger. 96 Seiten, 16 Abbildungen, Veritas-Verlag, Linz 1983, kart., öS 98,-. DAMIT WIR MORGEN CHRIST SEIN KÖNNEN. VORLAUFER IM GLAUBEN: Johannes XXIII., Charles de Foucauld, Oscar Romero. Von Ludwig Kaufmann. Herder Verlag, Freiburg-Basel-Wien 1984,159 Seiten, kart., öS 131,-.
FRIEDEN IST KEIN GESCHENK. Ausgewählte Texte: Von der Kraft der Gewaltlosig-keit. Von Martin Luther King. Herder Verlag, Wien-Freiburg-Basel 1984, 91 Seiten, kart., öS 140.-.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!