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Grobe Marchen- und Zauberoper

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In demselben Brief vom 20. März 1911, der den ersten Plan tu „Ariadne auf Naxos“ enthält, deutet Hofmannsthal seinem Partner Richard Strauss ein neues Projekt an: ob für eine Oper geeignet oder nur ein großes Ausstattungsstück mit begleitender Musik — darüber werde man noch sprechen. Deutlich sieht er mit seinem inneren Auge zwei Männer und zwei Frauen, die einander gegenüberstehen. Die eine Frau ist ein Feenwesen, die andere, irdische, eine „bizarre Frau mit einer sehr1 guten Seele im Grunde, unbegreiflich, launisch, herrisch und dabei doch sympathisch“, sie wäre sogar die Hauptfigur, „und das Ganze bunt, Palast und Hütte, Priester, Schiffe, Fackeln, Felsengänge, Chöre, Kinder“, und es könnte sich zur „Zauberflöte“ etwa so verhalten wie „Der Rosenkavalier“ zu „Figaro“.

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In demselben Brief vom 20. März 1911, der den ersten Plan tu „Ariadne auf Naxos“ enthält, deutet Hofmannsthal seinem Partner Richard Strauss ein neues Projekt an: ob für eine Oper geeignet oder nur ein großes Ausstattungsstück mit begleitender Musik — darüber werde man noch sprechen. Deutlich sieht er mit seinem inneren Auge zwei Männer und zwei Frauen, die einander gegenüberstehen. Die eine Frau ist ein Feenwesen, die andere, irdische, eine „bizarre Frau mit einer sehr1 guten Seele im Grunde, unbegreiflich, launisch, herrisch und dabei doch sympathisch“, sie wäre sogar die Hauptfigur, „und das Ganze bunt, Palast und Hütte, Priester, Schiffe, Fackeln, Felsengänge, Chöre, Kinder“, und es könnte sich zur „Zauberflöte“ etwa so verhalten wie „Der Rosenkavalier“ zu „Figaro“.

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Jahre vergehen, bis sich aus vielerlei Quellen die Handlung und ihre Träger in Hofmannsthals Phantasie konkretisieren: Motive aus 1001 Nacht werden mit Gozzis Chinesischem Märchen verbunden, Raimunds Zauberstücke regen ihn ebenso an wie die Volksmärchen der Brüder Grimm und arabische Sagenfiguren. Bereits im April 1915 bestätigt Strauss dem Dichter: „Der 1. Akt ist einfach wunderschön und so konzentriert und einheitlich, daß ich nicht mehr ein Pünktchen daran gestrichen oder geändert mir denken könnte“; und drei Monate später: „Jedenfalls haben Sie noch nichts Schöneres und Geschlosseneres in Ihrem Leben gedichtet, und ich rechne es mir zum Verdienst, Sie durch unsere gemeinsame Arbeit dazu gebracht zu haben.“

Ein gelungenes Libretto also für den Komponisten, das aber noch Jahrzehnte später beim Publikum als verworren, schwerverständlich und symbol-überladen gilt. Dabei ist die Grundfabel ganz einfach: Die Kaiserin, ein Geistwesen, Tochter des mächtigen Zauberers Keikobad, wird durch den Boten ihres Vaters verständigt, daß sie binnen drei Tagen Schatten werfen müsse, zum Zeichen dafür, daß sie ganz Mensch und auch Mutter geworden sei. Andernfalls müsse sie ins Geisterreich zurückkehren und ihren Gatten, den Kaiser, verlassen, der dann versteinern werde. Ihr bietet sich die Möglichkeit, einer Irdischen, der oben geschilderten „bizarren“ Frau des biederen Färbers Barak, den Schatten abzulisten. Aber sie verzichtet auf ihre und ihres Gemahls Rettung — und wird eben deshalb von den „Übermächten“ gerettet.

Die simple Handlung wird freilich durch die Phantasie des Dichters durch allerlei Nebenfiguren und Symbole angereichert, was wiederum die Phantasie des Musikers Strauss mobilisierte. Bis zum August 1916 arbeitete er an der Partitur. Die Uraufführung an der Wiener Staatsoper verzögerte sich, kriegsbedingt, bis zum 10. Oktober 1919. Sie fand unter der musikalischen Leitung Franz Schalks in Dekorationen und Kostümen Alfred Rollers statt.

Überblicken wir die Werkreihe, die Hofmannsthal und Strauss im Lauf von dreiundzwanzig Jahren geschaffen haben (es ist, von Elektra von 1906 bis zu Arabella von 1929, die längste und intensivste musikdramatische Kollaboration, die die neuere Musikgeschichte kennt), so können wir sagen, daß „Die Frau ohne Schatten“ den Höhepunkt bedeutet: Hier war Hofmannsthals Idealvorstellung von der „Bühne als Traumbild“ einmal vollkommen realisiert. Und was Strauss betrifft, so war gerade dieses „Libretto“ dazu geeignet, alle seine reichen Kräfte in Bewegung zu setzen und ins Spiel zu bringen. Die märchenhafte und zugleich phantastische Handlung, die elf Verwandlungen, die große Zahl der Personen, besonders auch die „Stimmen“ — der Wächter, der Kinder, der Ungeborenen, der Geister — erforderten -einen großen Apparat. (Die Hofmannsthal so wichtige Zweiteilung: ein kleines Orchester etwa nach dem Vorbild der Ariadne, das die Vorgänge in der Überwelt begleitet, und ein großes für die Darstellung der „irdischen“ Verhältnisse, wurde bald aufgegeben.)

Allein ein Riesenorchester konnte die Klangvorstellungen von Strauss verwirklichen. Es ist das größte, das er je forderte und beschäftigte: mit vielfach geteiltem Streichercorps, einundzwanzig Holzbläsern, acht Hörnern, vier Tenortuben, vier Posaunen, zwei Baßtuben, drei Trompeten, sechs chinesischen Gongs, vier Tamtams, Xylophon, zwei Celestas, Klavier und Orgel. Damit erzielte er eine bis dahin noch nie dagewesene Differenzierung des Klanges. An die Stelje der Polyphonie einzelner Stimmen, des berühmten Straussschen „Nervenkontrapunktes“, tritt der Einsatz ganzer thematischer Harmoniekomplexe. Ihre Farbigkeit kennt keine Grenzen: virtuoser Streicherklang, zarte Holzbläserpassagen und dröhnende Posaunen-glissandi wechseln mit den geisterhaften Klängen der Glasharmonika.

Der vor kurzem verstorbene Darius Milhaud, selbst ein Meister und Beherrscher großer Klangapparate, sagte einmal, die Lebensdauer einer Oper hänge vom Reichtum der in sehr investierten melodischen Substanz ab. Damit ist die Partitur der Frau ohne Schatten verschwenderisch ausgestattet. Auf fast Gemütlich-Schlichtes (Barak) folgen traumhaft-irrationale Passagen, neben Tonalem gibt es klanglich Hochverfeinertes, nach fast drastischen Schilderungen umgibt uns magisch wirkendes Helldunkel, und das Ohr wird von orphischem Zauber berückt — auch durch die Singstimmen. Es gibt melodramatische Passagen und Sec-co-Rezitative, kurzum: Strauss hat,nach dem Wort eines prominenten Kritikers von 1935, mit der „Frau ohne Schatten“ sein reichstes und reifstes Bühnenwerk geschaffen. Hier zieht er die Summe seiner Existenz als Musiker und ist auf einem Punkt seiner geistig-künstlerischen Entwicklung angelangt, den er in späteren Werken nicht mehr erreicht hat. — Hofmannsthal hat seinerseits durch das breit ausgeführte Prosamärchen mit dem gleichen Titel bezeugt, was ihm gerade dieser Stoff bedeutete und wie hoch er ihn einschätzte.

Ein solches Riesenwerk sprengt den Rahmen des Opernalltags, man kann und soll es eigentlich nur als festliches Ereignis darbieten. Hierüber waren sich beide Künstler einig. „Das Werk ist gut“, schrieb Strauss bereits 1918, „wenn auch wohl über dem Niveau der heutigen Kulturwelt, wenigstens soweit sie das Theater zu füllen verpflichtet wäre.“ Aus diesen Worten klingt, neben der Freude über das Gelungene, auch ein wenig die Sorge für das Weiterleben auf der Bühne. Doch Hofmannsthal argumentiert gerade das „Unverständliche“ sei eine Hypothek auf die kommenden Generationen.

Hofmannsthal rühmt einmal die „struktive Kraft“ seines Partners, „mit der, vereinzelt unter den Deutschen, ein gütiges Geschick Sie begnadet hat.“ Da beide Künstler mit gegenseitigem Lob nicht gerade verschwenderisch umgingen, darf man diese Worte sehr wohl au pied de la lettre nehmen, und es spricht für beide, daß sie trotz vorauszusehender Schwierigkeiten so einmütig zu ihrem Opus magnum standen. .*

Irgendwo in ihrer Korrespondenz, diesem immer wieder faszinierenden „Werkstattgespräch“, steht auch ein Satz, den man der Aufmerksamkeit zeitgenössischer Künstler empfehlen möchte: „Eine wahre Kollaboration zweier reifer Menschen ist ja auch etwas überaus Seltenes, die unsrige erst nur ein Schatten davon, aber wir haben beide guten Willen, Ernst und Konsequenz, das ist mehr als das gottverlassene .Talent', mit dem heute jeder Lump ausgestattet ist.“ Mit diesem Werk — und einigen anderen vorher — ist es Strauss und Hofmannsthal gelungen, Schatten zu werfen im Sinne des tiefsinnigen Märchens, das den Kern dieser großen Zauberoper bildet.

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