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Größe bedroht das System

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Im Haus der Industrie wurde für Marktwirtschaft geworben. Leider zu undifferenziert. Denn der derzeitige Wettbewerb bedroht das Überleben der kleinen Unternehmen und damit das System selbst.

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Im Haus der Industrie wurde für Marktwirtschaft geworben. Leider zu undifferenziert. Denn der derzeitige Wettbewerb bedroht das Überleben der kleinen Unternehmen und damit das System selbst.

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Wolfram Engels, Universitätsprofessor aus Frankfurt, hielt das Hauptreferat beim fünften „Forum Schwarzenbergplatz" im Haus der Industrie in Wien. Er war der Frage nachgegangen, ob die Markt- oder eher die Planwirtschaft als Wirtschaftssystem für die Zukunft geeigneter seien. Wie nicht anders zu erwarten, brach er eine Lanze für die Marktwirtschaft.

Obwohl ich seit langem ein Verfechter des dezentralen, marktwirtschaftlichen Systems bin, hat mich die Art, wie da der Markt als Allheilmittel für alles und jedes angeboten wurde, gestört. Dadurch wird nämlich aus einem nützlichen Instrument ein Kultobjekt gemacht, wodurch dem marktwirtschaftlichen System mehr geschadet als genützt wird.

Gerade wer von der Leistungsfähigkeit dieses Systems überzeugt ist, sollte die Stärken, aber auch die Schwächen des Systems klar erkennen.

Worin liegt nun die Stärke des marktwirtschaftlichen Systems? Sein wohl größter Vorteil ist, daß die Entscheidungen an der Basis des Wirtschaftsgeschehens, bei den einzelnen Produzenten und Konsumenten fallen und nicht in Zentralen, die weitab vom Geschehen sind.

Dadurch kann es zu vielfältigen Lösungen für Produktion und Lebensgestaltung kommen. Wer besonders günstige und begehrte Leistungen anbietet, wird über den Preismechanismus mit wirtschaftlichem Erfolg belohnt. Es ist die Vielfalt der Ansätze, die kennzeichnend für das System ist. Ein dezentrales System ist dadurch besonders lern- und somit anpassungsfähig.

Nun ist aber gerade dieser zentrale Vorteil des Systems eminent gefährdet. Und zwar nicht nur durch planwirtschaftliche, staatliche Eingriffe, sondern durch die Logik des Systems selbst.

Erfolge auf dem Markt führen zu einem Wachstum des Unternehmens. Je aufwendiger die angewandte Technik ist, umso schwerer kann eine erfolgreiche Produktion durch andere nachgeahmt werden. Dazu kommt, daß das Produzieren in großen Serien (ebenso wie das Handeln mit großen Mengen) zu Kosteneinsparungen führt. Beide Effekte begünstigen damit das Anwachsen von Unternehmen.

Diese Ausweitung aber, wenn sie sich über Jahrzehnte erfolgreicher Tätigkeit erstreckt, führt dazu, daß eine relativ kleine Zahl wachsender Unternehmen, die Erfolg haben, eine große Zahl von kleineren verdrängt. Typisch dafür ist heute die Entwicklung im Handel: Der Supermarkt verdrängt den Greißler.

Mit zunehmender Größe weiten die Unternehmen den Bereich ihrer Aktivitäten auf andere Märkte aus. Sie können dort vielfach Fuß fassen, weil sie unter Bedingungen anbieten, die kleinen und spezialisierten Einheiten nicht zugänglich sind (etwa eine Zeitlang auf das Erzielen von kostendeckenden Preisen zu verzichten). Das nötige Know-how wird häufig durch Mehrheitsbeteiligung an einem kleineren eingeführten Unternehmen erlangt.

Soweit es dabei zu Preisreduktionen kommt, scheint dies für den Konsumenten nur Vorteile zu bringen. In Krisenzeiten aber, wenn es um rasche Umstellungen geht, kann die Größe zum Klotz am Bein werden. Dann kann es geschehen, daß eine auf marktwirtschaftlichem Boden gewachsene Struktur der einer Planwirtschaft sehr ähnelt.

Die Riesenunternehmen werden nämlich ebenso von Bürokratien gesteuert wie Planwirtschaften. Sie sind vielfach durch den Einsatz sehr kapitalintensiver Technologien recht unflexibel. Und vor allem würde ihr Zusammenbruch so vielfältige negative Auswirkungen auf die betroffenen Volkswirtschaften haben, daß der ansonsten mit so viel Argwohn betrachtete Staat einfach zur Hilfe kommen muß.

Typisch dafür ist die Situation der Stahlindustrie: Die westlichen Länder haben allein seit 1974 in diesen Sektor 500 Milliarden Schilling an Subventionen investiert.

Wer dies für ein spezifisches Problem eines vielfach verstaatlichten Sektors ansieht, wird sich vielleicht von der Situation der Automobilindustrie in den USA eher überzeugen lassen: 65 Milliarden Schilling Verluste im Jahr 1980 und Freisetzung von 200.000 Mitarbeitern. Wenn das nicht Kosten für die Allgemeinheit sind! Einer der drei Giganten, Chrysler, überlebt nur dank massiver Hilfe von außen.

Sicher versucht man schon seit langem dem Problem übertriebener Größe und Machtzusammenballung durch Kartell- und AntiTrust-Gesetzgebung zu Leibe zu rücken. Bisher sind die Erfolge aber mager: Unter den 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt findet man 39 Industriekonzerne! General Motors und Exxon weisen einen höheren Umsatz auf als die Schweiz oder Argentinien Bruttonationalprodukt (nämlich rund 1000 Milliarden Schilling). Österreich liegt hinter Shell und Ford an 32. Stelle.

Diese vom Marktsystem tolerierte Machtkonzentration gefährdet gerade jenen Mechanismus, der den Markt leistungsfähig macht, nämlich den Preismechanismus. Verloren geht dabei vor allem auch der besondere Vorteil des Marktes, seine Anpassungsfähigkeit. Eine Wirtschaft verkraftet eben leichter den Zusammenbruch von einigen kleineren Unternehmen als den eines großen. Statt undifferenziert das Marktsystem als die Lösung für die Zukunft anzubieten, wäre eine eingehendere Behandlung der Randbedingungen seiner Funktionsweise wohl zielführender gewesen. Gerade Vertreter der Marktwirtschaft sollten nicht müde werden darauf hinzuweisen, daß „small is beautif ul" einen Grundwert ihres Ansatzes darstellt.

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