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Ist das noch T ourismus ?

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Ob an der Atlantikküste oder in den Alpen - der Fremdenverkehr, schlägt überall Wunden in die Landschaft, lebt von der Substanz, die er verkauft. Zeit für ein Umdenken.

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Ob an der Atlantikküste oder in den Alpen - der Fremdenverkehr, schlägt überall Wunden in die Landschaft, lebt von der Substanz, die er verkauft. Zeit für ein Umdenken.

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Österreich ist ein Land, in dem der Fremdenverkehr eine große Rolle spielt — zumindest wirtschaftlich. Sich kritisch mit dem Thema Tourismus zu befassen, bedeutet daher unumgänglich Provokation — wenn nicht sogar Verletzung.

Eine Urlaubsreise, die mich im Vorjahr durch den Süden Österreichs geführt hat, bewirkte eine intensivere Beschäftigung mit diesem Thema. Was mich besonders bestürzt hat, war der Befund, daß vor allem in den vom Tourismus besonders betroffenen Gebieten Österreichs der kulturelle Ausverkauf eines Landes oder bestimmter Regionen zu beobachten ist.

Diese Feststellung ist keineswegs neu. Sie scheint mir nur angesichts der vordergründigen und kurzfristigen Erfolge des Fremdenverkehrs viel zu wenig Beachtung gefunden zu haben.

Was soll das heißen: kultureller Ausverkauf? Es heißt, daß viele Menschen in Österreich ihre Bindungen an Landschaft (vor allem bäuerliche), Arbeit, an den ihnen eigenen Lebensformen (Fest, Ernährung …), an Glaube und Mitmenschen um der Erfüllung - wie sich mehr und- mehr zeigt — äußerst fragwürdiger materieller Interessen (Wohlstand und Konsum) aufgegeben haben.

Sie haben ihr Selbstbewußtsein als Menschen eben dieser und keiner anderen Region dahingegeben, haben ihre Landwirtschaft in Hotel- und Pensionsbetriebe umgewandelt, sich damit jeglicher Selbständigkeit beraubt und den Gesetzen des Tourismus-Marktes auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Das Ergebnis: verbaute und zersiedelte Landschaften, Verlust des Charakters von Land und Leuten - im Grunde Zerstörung von Heimat.

Vielleicht klingt das ungerecht. Vielleicht teilen Sie diesen Befund nicht in seiner Schärfe. Dennoch können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen für das, was wir tun und getan haben, auch wenn für uns sprechen mag, daß die Folgen im Anfang nicht abzusehen waren.

Freilich — der Blick auf die Gastgeber hat eine Kehrseite: den Blick auf die Gäste. Und da zeigt sich, daß auch von dieser Seite her Unverantwortliches geschieht Mit welchem Recht dürfen sich Gäste anmaßen, als „Könige“ behandelt werden zu wollen? Mit welchem Recht stellen sie eigentlich Erwartungen an das Vorhandensein dieser oder jener Infrastruktur: Diskotheken, Tennisplätze, Surfschulen und Schilifte überall?

Mit welchem Recht verlangen sie, daß die Gastgeber ihre Lebensgewohnheiten denen der Gäste anpassen? Ist Landschaft denn wirklich nur mehr ein Warenhausartikel, der — samt den Menschen, die in ihr leben — per Katalog feilgeboten wird? Welche Respektlosigkeit steckt hinter all dem!

Aber das „Geschäft“ ist eben gegenseitig. Die „Fremden“ beurteilen Angebote nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, die Einheimischen bieten, am Geld der Gäste orientiert, feil. Tourismus ist Geschäft - größtenteils.

In der Reduktion des Geschehens auf das Ökonomische ent-

hüllt sich letztlich nur, daß der Tourismus sein eigenes Wesen, seine wirkliche Chance noch lange nicht entdeckt hat. Mit anderen Worten: Es ist hoch an der Zeit, daß die Tourismus-Diskussion aus den Kinderschuhen ihrer Ökonomie-Orientiertheit herausfindet.

Tourismus müßte von einer „Werte“-Diskussion aus verstanden werden, in der nach seinen eigentlichen Aufgaben, nach seinem Sinn für Mensch und Landschaft gefragt wird, sowie danach, unter welchen konkreten Bedingungen er diesem Sinn zu entsprechen oder nicht zu entsprechen vermag.

Positiv formuliert heißt das etwa: Jede konkrete Form von Fremdenverkehr muß vereinbar sein mit den Lebensgewohnheiten der Menschen, die in einer bestimmten Region leben. Er muß eingebettet sein in die jeweilige „regionale Kultur“ und ihre Ausdrucksformen.

Ja, er sollte diese Regionalität nicht nur wahren, sondern sogar stärken. Dies ist nicht so gemeint, daß Trachtenkapellen nur mehr um der Touristen willen aufspielen. Vielmehr könnte es zum Anliegen der Einheimischen werden. Fremde an ihren speziellen Lebensgewohnheiten (Essen, Trinken, religiöses Leben, Freizeitgestaltung …) Anteil nehmen zu lassen ohne Intimitätsverlust, also ohne sich zu exhibitionieren.

Jede konkrete Form von Tourismus muß vereinbar sein mit den „natürlichen“ Lebensbedingungen und Lebensräumen einer bestimmten Region. Er darf we-

der den Bestand an Pflanzen noch an Tieren gefährden. Veränderungen der Infrastruktur sollten ihre Grenze immer im Ziel der Erhaltung der regionalen Eigenart von Tieren und Pflanzen haben.

Was ermöglicht so gearteter Tourismus? Der Besucher kann eine wirklich eigenständige und besondere Welt mit unverkennbarem Charakter kennenlemen (Landschaft wie Bevölkerung). Im selbstverständlich und selbstbewußt vollzogenen Alltag dieser Region erfährt er wirklich Distanz zum eigenen Lebensalltag. Im anderen erkennt er sich selbst und das eigene Leben besser als im Gleichförmigen der Tennisplätze und Surfschulen allerorten.

Er lernt im anderen sich selbst verstehen—und das könnte (wenn auch hier und da verbunden mit einem heilsamen Schrecken, ob der unheilvollen Situation etwa des städtischen Lebens) zu wirklicher Erholung, Sammlung und Besinnung führen.

Das wäre sozusagen die Erschließung einer geistigen Di-

mension des Tourismus jenseits aller Vergnügungs- und Zerstreuungserwartungen in der modernen Industrie- und Konsumgesellschaft. Der Gast könnte wirklich etwas erleben, anstatt vor einer angenehmeren Kulisse lediglich zu reproduzieren, was er zu Hause auch immer schon tut.

Für den Gastgeber würde das bedeuten, daß er sich nicht mehr ausliefert an die Vorstellungen, die er sich von den Erwartungen seiner potentiellen Gäste macht.

Er muß nicht mehr versuchen, den Gästen etwas zu bieten, was er nicht hat, und kann daher verzich ten, sich selbst und seinen Lebensraum zu vergewaltigen. Selbstbewußt zeigt er vielmehr etwas von seiner ureigenen Lebensart und lädt den Gast ein, daran Anteil zu nehmen. Wichtig ist dabei, daß der Gastgeber materiell nicht vom Fremdenverkehr abhängig wird — auch wenn dies noch so lukrativ zu sein verspricht.

In dieser Weise könnte ein für alle Seiten fruchtbarer Kontakt zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Landschaft zustande kommen. Wahrung und Förderung kultureller und landschaftlicher Vielfalt wären zentrale Werte in einem so gearteten Tourismus-Konzept. Daß der Naturzerstörung, die vielfach mit herkömmlichem Fremdenverkehr verbunden ist, Einhalt geboten würde, versteht sich von selbst.

So verstandener Tourismus würde auch eine erzieherische Aufgabe erfüllen, und er wäre ein wesentlicher Schritt in Richtung auf eine natur- und menschengerechte Lebensform, der wir alle so dringend bedürfen.

Der Autor ist Redakteur von „Umwelterziehung“, sein Beitrag ein Auszug aus Heft 2/87

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