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Kassandra im eigenen Saft

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Bisher schien es doch dem Verteidigungsminister Vorbehalten gewesen zu sein, bei jeder Gelegenheit ins Fettnäpfchen zu treten. Neuerdings beginnt Finanzminister Hannes Androsch daran Gefallen zu finden. ÖGB-Präsident Benya tat sich sichtlich schwer, seinen Parteifreund nicht gerade heraus zu desavouieren. Und jene seiner Genossen, die unmittelbar mit der Materie zu tun haben - Sozialminister Weißenberg und Hauptver- bands-Präsident Millendorfer-, konnten nicht umhin, die Kassandrarufe des Finanzministers durch dürre Zahlen zu widerlegen.

Nun haben Kassandrarufe seit je die Aufgabe aufzurütteln, zum Denken, besser noch zum Umdenken zu mahnen, den Anstoß zu geben, einen eingeschlagenen Irrweg aufzugeben. Wenn Androsch meint, eine Steuersenkung- die ohnehin lediglich die Progressionsspitzen abschneiden könnte würde die Deckung der Bundeszuschüsse zur Pensionsversicherung in Frage stellen, man werde sich also etwas einfallen lassen müssen, etwa die Höchstbemessungsgrundlagen ein- frieren und mehr der Selbstvorsorge überlassen, dann vermischt er nicht nur Äpfel und Birnen, sondern negiert auch eine durch zwanzig und mehr Jahre von seiner Partei vertretene und immer weiter verstärkte Ideologie, deren Folgen schließlich - über verschiedene Wege - zum heutigen Ergebnis geführt haben.

Zunächst zu den Zahlen: Daß dem Mann, der seit sieben Jahren für das Budget verantwortlich ist, damit für eine Inflation, die erst in letzter Zeit leicht gedämpft werden konnte, für ein Defizit in Größenordnungen, in denen vor gar nicht langer Zeit das gesamte Budget Platz gehabt hätte, und damit für einen Schuldenberg wie noch nie daß diesem Mann das Grausen aufsteigt, ist verständlich. Die Version, es geschehe dies alles im Dienst der Arbeitsplatzsicherung, zieht nicht mehr. Sie ist spätestens seit dem Moment löchrig geworden, da bekannt wurde, daß ein wesentlicher Teil der Mittel, die ausdrücklich hiefür bewilligt worden waren, für das Stopfen vorhandener Löcher herhalten mußte.

Also mußte ein neues Phantom gefunden werden - was wirkt besser, als die Sorge um den Lebensabend, um die Sicherung der Renten? Wie lange ist es her, daß die SPÖ selbst mit dem Buhmann „Rentenklau” gegen die „kapitalistische” ÖVP in den Wahlkampf gezogen ist? Nun muß sich Hannes Androsch selbst von den Karikaturisten als solcher apostrophieren lassen. Gleichzeitig aber rechnet der Beirat für die Pensionsanpassung vor, daß bis 1980 die Gesamtbelastung des Bundes bei leicht fallender Tendenz stabilisiert sei. Der Bundesbeitrag an’ den Pensionsleistungen nach dem ASVG wird nach diesen Berechnungen von den 24,37 Prozent für 1976 auf 23,52 Prozent für 1980 sinken. Auch die Belastungsquote, die das Verhältnis der Aktiven zu den Pensionisten aufzeigt, werde sich in Zukunft verbessern, sagt der Beirat voraus.

Wer hat nun recht? Die Versicherungsfachleute, die auf Beruhigung machen, obwohl sie nicht nur bis 1980, sondern auch darüber hinaus für eine Deckung der Pensionsansprüche sorgen müssen, oder der Finanzminister, dem angeblich die Bundeszuschüsse - auch wieder über weitere Fristen gesehen - Sorgen bereiten?

Dabei soll noch gar nicht besonders hervorgehoben werden, daß Androsch selbst vor wenigen Wochen erst als Minister und Abgeordneter der 32. AS VG-Novelle zugestimmt hat, jener Novelle, die bis 1980 in mehreren Schritten eine außerordentliche Erhöhung der Höchstbemessungsgrundlage vorsieht, um die in den Jahren zuvor eingetretene Unterversicherung auszugleichen. Konnte er damals noch nicht ahnen, was ihn so kurze Zeit später bereits in Frontstellung zu den eigenen Genossen bringen sollte?

Berechtigt erscheint Androschs Unbehagen jedoch nicht nur angesichts der selbstverschuldeten Finanzmisere, sondern mehr noch angesichts der Gesamtbilanz sozialistischer Politik, die sich nun eben gerade im Sozialsektor schlagartig bemerkbar macht. Die Utopie, das Paradies auf Erden zu versprechen; die Täuschung, man könne allen alles geben und alles zur gleichen Zeit- das mußte sich rächen. Es ist ohnehin zu verwundern, daß es nicht schon früher zum Krachen kam.

Natürlich wäre es schön, alles das in einer Generation verwirklichen zu können, was man sich als Optimum sozialen Zusammenlebens vorstellen kann. Wenn dieses Optimum einerseits aber ausschließlich materiell verstanden wird; wenn Ideologie und Politik anderseits ausschließlich darauf gerichtet sind, eine anonyme „Gesellschaft” für alles verantwortlich zu machen und den Menschen als Einzelwesen in seiner Eigenverantwortung zu ignorieren - dann muß dies schließlich darin enden, daß jeder alles fordert und nichts mehr zu geben bereit ist.

Dann ist es aber zu spät für die Eigenvorsorge. Nicht nur wegen der Inflation, die in jungen Jahren aufgesparte Notgroschen zerfließen läßt, auch wenn sie zinsenbringend angelegt wurden. Vor allem weil der Mensch im Kollektiv, der nichts anderes mehr kennt, als von der Wiege bis zur Bahre eingeplant und versorgt zu werden, kein Gefühl mehr dafür hat, daß ei; selbst für sich und die seinen Vorsorgen sollte - und daß ihm der Staat dazu auch die Möglichkeit gibt Den Menschen dieses Gefühl zurückzugeben, wäre die erste Voraussetzung. Aber dazu müßten Marxisten I über ihren eigenen Schatten springen.

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