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Krähwinkel spielt Nestroy

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Man darf es sich mit der „Freiheit in Krähwinkel“ von Johann Nestroy nicht leichtmachen, denn dieses Stück macht es uns in mehrfacher Hinsicht nicht leicht. Herwig S e e b ö c k hat es sich mit seiner Volkstheater-Inszenierung leichtgemacht.

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Man darf es sich mit der „Freiheit in Krähwinkel“ von Johann Nestroy nicht leichtmachen, denn dieses Stück macht es uns in mehrfacher Hinsicht nicht leicht. Herwig S e e b ö c k hat es sich mit seiner Volkstheater-Inszenierung leichtgemacht.

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Einem auf die dramaturgischen Qualitäten verengten Blickwinkel mag , .Freiheit in Krähwinkel“ als schwacher Nestroy erscheinen, aber es ist nun einmal das einzige politische Stück, das er geschrieben hat. Auch in den Monaten, in denen „Freiheit in Krähwinkel“ hastig geschrieben und in einem Hexenkessel der politischen Leidenschaften in drei Monaten sechsunddreißigmal gespielt wurde, war Nestroy keineswegs frei von Druck. Seine Warnungen vor der Reaktion, denen er am 1. Juli 1848 auf der Bühne höchstpersönlich die Züge des russischen Fürsten Knutikof Sybirit-schefsky Tyrannsky Absolutski (eine der Verkleidungen der Hauptperson, des Journalisten Ultra) verlieh, gefielen dem Publikum nicht. Trügerische Selbstbestätigung war den Wienern auch im Sommer 48 lieber als von Wunschdenken freie Analyse. „Seiner Herrlichkeit“, des Bürgermeisters, Wunschtraum von den russischen Grenadieren, unter deren Knuten die Freiheit der Krähwinkler untergeht, wurde nicht von der Zensur, sondern vom Publikum gestrichen.

Wer „Freiheit in Krähwinkel“ nicht gelesen oder nur dunkel in Erinnerung hat, dürfte im Volkstheater kaum darauf aufmerksam werden, welch gallbitteres, illusionsloses und desillusio-nierendes (und aktuelles!) Stück das ist. Da ist auf der einen Seite das rückhaltlose, stellenweise geradezu mit Schillerschem Feueratem vorgetragene und nur ganz leicht durch Nestroy-Skepsis eingetrübte Bekenntnis zur Freiheit. Und da ist auf der anderen Seite die mitleidlose Registratur dessen, was die Krähwinkler mit ihrer Freiheit anzufangen wissen: Nach anfänglichem großen Freiheitsrausch dient sie nur noch dazu, das Zueinan-derfinden der Paare voranzutreiben. Dahinter verbirgt sich Nestroys bittere Ironie: Genau das, was seinem Stammpublikum so gefiel, diente ihm hier zur Verbergung dessen, was er von eben diesem Publikum und seiner politischen und revolutionären Potenz hielt. Am Ende kulminieren das Happy-End der Paare und die allgemeine Krähwinkler Euphorie, und Nestroys Voraussieht dessen, was der Euphorie folgen mußte, mag ihn davon zurückgehalten haben, seine Kritik am vormärzlichen „Zopfensystem“ in Worte zu kleiden, die ihm nach eingetretener Ernüchterung allzugroße Schwierigkeiten hätten bereiten können.

Schließlich war ja auch Nestroy Wiener.

Dieses Stück wird unweigerlich zum Prüfstein der gängigen Nestroy-Inszenierungsmasche, von der sich Herwig Seeböck nur zum Schein ein wenig distanziert Da die Qualitäten dieses Werkes auf völlig anderer Ebene als der der gewohnten Nestroy-Unterhaltung hegen, kann selbige nicht geboten werden, und die dabei auftretenden inneren Widersprüche killen die Inszenierung.

Die Vorbedingung einer „Krähwin-kel“-Inszenierung, die ernstgenommen werden soll, heißt Analyse. Um Nestroy hier gerecht zu werden, muß man den inneren Widerspruch dieses Stückes, der jene Spannung erzeugt, die es noch nach 130 Jahren zu einer Provokation macht, bloßlegen, statt ihn zu verkleistern. Keine Red' davon, daß diese Volkstheater-Krähwinkler über ihren privaten Kabalen die Freiheit verspielen. Klar, was also herauskommt: Die gängige Lustigkeit einer

Nestroy-Einheitsinszenierung, schaumgebremst durch politische Elemente, die auf diese Weise lediglich aufgesetzt erscheinen.

Ich möchte aber dem Volkstheater keinesfalls die Unfähigkeit zur geforderten Analyse unterstellen. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß eine sehr realistische Kenntnis der Situation, in der die Theater heute leben, unsere seit Jahrzehnten stagnierende, sterile Wiener Nestroy-Rezeption konserviert. Die gängige Masche fixiert Nestroy auf das Biedermeier und verharmlost ihn. Sie beugt damit der Gefahr vor, ein Publikum, das entschlossen ist, diese Possen im satten Gefühl seiner Überlegenheit zu konsumieren, könnte sich in ihnen erkennen, könnte Nestroys Spott auf sich selbst beziehen, könnte merken, daß ihm ein Spiegel vorgehalten wird. Damit wird aber auch jedes Aufbegehren gegen „die da oben“ entschärft.

„Freiheit in Krähwinkel“ als Warnung an die Befreiten, die mit ihrer Freiheit zu wenig anzufangen wußten. Darin hegt seine atemberaubende Aktualität. Als Nestroy einmal im Leben frei sagen durfte, was er sagen wollte, hat er es - trotz aller für ihn typischen, auch inneren Abhängigkeit von der Gunst des Publikums - diesem nicht leicht gemacht. Dementsprechend zwiespältig waren die damaligen Reaktionen. Zurückschrecken vor dieser Provokation stellt unserem heutigen

Theaterbetrieb kein gutes Zeugnis aus. Wir haben zwar keine Zensur mehr, dafür üben die mitteleuropäischen Theater heute eine Selbstzensur, über die jeder vormärzliche Zensor nur jubeln könnte - was prompt dazu geführt hat, daß die wirklich provozierenden, die sensibel auf die gesellschaftlichen Realitäten reagierenden Stücke entweder in den osteuropäischen Diktaturen oder in England (wo es unser System der Theatersubventionierung nicht gibt) entstehen. So daß man in Abwandlung der Brechtschen Frage „Was ist das Ausrauben einer Bank gegen die Gründung einer Bank?“ sagen könnte: „Was ist das Zensurieren des Theaters gegen das Erhalten des Theaters durch den Staat?“ Wobei es selbstverständlich egal ist, welche Couleur dessen jeweilige Regierung gerade hat.

Seeböcks Volkstheater-Inszenie-rung verrät ihre kaum mehr auffallende, weil allgemeinübliche Theaterpraxis gewordene Tendenz in vielen Details. Heinz Petters ist ein Sündenbock mit umgekehrtem Vorzeichen, er ist das fleischgewordene Alibi der Inszenierung, schreitet als revolutionärer Feuergeist durch das Stück. Rundum viele sehr gute und gute schauspielerische Leistungen, aber durchgehend zurechtgetrimmt auf harmlose Ne-stroy-Possenhaftigkeit wie gehabt. Viele politische Anspielungen bleiben für ein Publikum, das nicht gerade das

Jahr 1848 und seine Vorgeschichte studiert hat, unverständlich. Chancen, die eine halbwegs wache Regie benützen müßte, Aktualität oder wenigstens Verstehen herbeizuführen (die Traumbilder!), werden verplempert Entpolitisierung auf der ganzen Linie. Das Bühnenbild (Maxi Tschunko) ist zum Teil hübsch, zum Teil unfunktionell. Das winzige Zimmerl im kleinen Bidermeier-Hauserl, in dem sich die gute Gesellschaft trifft, könnte eine mit der Tarnung des Reichtums als Armut beauftragte Werbeagentur erfunden haben. Ultra tritt zwar in Metternich-Verkleidung auf, hat aber den in Nestroys Regieanmerkung erwähnten Mantel vergessen, geht goldbetreßt mitten durch die revolutionäre Menge. Und so weiter, und so fort. Ungereimt-

heiten als Ersatz für die Inszenierung eines Stückes, das zu denken gibt, als -Aufforderung zum Denken. Krähwinkel spielt Nestroy, ohne sich zu erkennen.

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