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Neues Spiel vor

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B ald also ist es soweit. Die Monate der räumlichen und or- . ganisa torischen Provisorien sind für sie vorbei, die Zeit der Rechtferti. gung. für übertragene Kompetenz Und Autorität.in künstlerischer und kaufmännischer Hinsicht über die Grazer Vereinigten Bühnen beginnen. Zunächst noch im Verborgenen, ab dem Herbst vor dem_ auf-

grund etlicher Ungeschicklichkei- .. ten wahrscheinlich überkritischen Auge und Ohr des Grazer Publikums: die vorerst einmal auf fünf } ahre begrenzte Ära des neuen Irite'n danten Gerhard Brunner und sei fies Teams Marc Günther (Schauspiel), Gundula Janowitz (Oper), Peter Nebel (kaufmännische Lei- . tung) und Jörg Kossdorff (Technik):

Viele· verklärende Bilder beste- ; heri i'miner noch aus der fast zwei Jahrzehnte dauernden Vorgängerschaft Nemeths, die sich in Reaktionen aus Publikumskreisen auf dessen Nachfolger bis hin zu sogenannten „ wissenschaftlichen " Aufbereitungen der letzten Jahr-

zehnte des Grazer Theaters durch engagierte Fans auftürmen. Gegen - alle diese „Feindbilder" schwärmerischer Enthusiasten und selbsternannter Kritiker muß das neue Team zunächst einmal ankämpfen. . Daß da vieles dazukommt, was die $timmung gegen den Intendanten angeheizt hat, ist seine und seiner · Mitarbeiter Schuld: mangelndes Feingefühl gegenüber Meinungen und Strömungen, mangelndes Feingefühl m der diffizilen Frage der Auflösung bestehender. Verträge, mangelndes Feingefühl in der Zusammenarbeit mit den Medien, mangelndes Feingefühl gegenübei: der Jugend, den Kindern und dem Theaternachwuchs.

So beginnt auch dies.e neue Phase des GrazerTheaters mit dem Kampf des Brunner-Teams um verlorengegangenes Publikum. Mehr als ein Drittel aller Sitzplätze in den nunmehr nur mehr zwei Zuschauerräumen der Vereinigten Bühnen blieben in den letzten Jahren unverkauft an den diversen Kassen liegen. Was für den geforderten kommerziellen Erfolg zu wenig ist, zumal das Budget unverändert bei 2'80 Millionen Schilling geblieben ist. Und dieser Kampf ist zugleich ein Antreten gegen eine Dilemma-Serie: das Dilemma des technischen Direktors Kossdorff ist eine nur „im großen und ganzen" funktionierende Technik und ein zu kleiner Mitarbeiterstab, das Dilemma des Schauspi e ld irektors Günther ist seine ger.il'lge Kenntnis der österreichischen Theaterszene, das Dilemma der OperndiC rektorin Janowitz ist der Mangel an Geld für Spek takuläres, das Dilemma des Finanzdirektors Nebel sind die drückenden Altlasten und das Dilemma des Intendanten Brtmner ist der Mangel an derzeit bespielbaren Bühnen.

Deswegen will Brunner im ersten Jahr seiner Regentschaft keine Experimente wagen und lieber auf anerkannt publikumsträchtigen Wegen pirschen: zuerst· einmal müssen wieder die Plätze gefüllt und die Löcher in der Akzeptanz gestopft werden, bevor man Waghalsiges beginnen mag. Und außerdem: man kann so schnell gar nichts Neues versuchen, weil der Wechsel des künstlerischen Personals (freiwillig vorgenommen oder nicht) einen zu großen Aderlaß bedeutet hat, um gleich zu großen Sprüngen ansetzen zu können. Das zaghafte Vorwärtstasten durch die fruchtbaren Ebenen der I{ulinarik soll erst später einmal die Kraft zum Aufbruch in experimentelle, innovative Gefilde erm????glichen.

Freilich sieht Brunner in der mehr oder minder erzwungenen Personalfluktuation auch Positives: so seien dadurch auch alle übernahmen aus der Ära des Vorgängers quasi

Neuinszenierungen, we.il neue Darsteller eben Altes auch neu proben müßten und sich so neue interpretatorische Gesichtspunkte ergeben würden - alt bliebe ja doch bloß .das Bühnenbild. Und auch, um die Qupte der Rentabilität zu heben, wäre man angehalten, das alte Repertoire· noch älter werden zu lassen. Und dazu werde im Bereich der Oper noch kommen, daß man Wiederholungen .mehreren jungen Dirigenten übertragen möchte, die wiederum. neue Sichten eines Werkes einbrächten. Hierin meinen Brunner und Janowitz auch zugleich den Stein der Weisen · gegen die Saturiertheit arrivierter Taktstockschwinger gefunden zu haben: bei guter Leistung (bloß wer wird sie wie messen?) seien FolgeEngagements an die Vereinigten Bühnen durchaus im Bereich des Möglichen. Auf diese Art könnte die Grazer Oper eine Nachwuchsschule der österreichischen Dirigentenelite werden. Ob dabei allerdings noch jemand anderer als die Grazer Musikhochschμle mitspielen wird, bleibt abzuwarten.

In der Grazer Oper wird es vier Neuinszenierungen im kommenden . Spieljahr geben (vier echte, also ganz neue, denn mit den „neuinszenierten" Wiederaufnahmen sind's vierzehn): „Lohengrin" , „La forza del destino" , „Die verkaufte Braut" und „Don Giovanni" . Allerdings ist der „Don Giovanni" · nicht von Mozart (sondern von Giuseppe Gazzaniga), denn Brunner will trotz aller Kulinarik des ersten Jahres zunächst keinen Mozart-Schwerpunkt in seiner Dramaturgie setzen. Das ist kein schlechter · Ansatz: je näher das Mozart-Jahr rückt, desto mehr Bühnen wollen dem Genius huldi- . gen (man denke bloß an die Wiener Mozart-überfülle und die erdrükkende Allgegenwärtigkeit des locus genii in Salzburg ab 1991 !). Brunner will hier abwarten, sichten und werten und erst danach mit dem fehlenden Etwas der großen Mozart-Bühnen als Netiinterpretator hervortreten.

Aber. trotzdem wird .ein „Don Giovanni" aufgeführt werden-und das ist ebenfalls einer der guten Ansätze der Brunnerschen Dramaturgie. Weil nämlich die Querverbindungen zu anderen Formen des Theaters und sogar darüber hinaus hergestellt werden: nicht nur die Oper singt „Don Giovanni", auch das Ballett tanzt „Don Juan" (von Gluck), das Schauspiel spielt „Don . Juan" (von Moliere) und ein ausgewähltes Publikum kann an einem „Don Juan"-Symposium partizipieren. Diese interdisziplinäre Sicht von Bühnen-Themen ist erfrischend, offen und gut und liegt ganz in der geistigen Mehrdimensionalität -der Brunnerschen Sicht des Theaters, die es ermöglichen kann, tatsächlich neue Publikumsschichten in die sich täglich verdunkelnden Häuser zu führen.

Ab dem zweiten Spielplanjahr sollen dann die neuen Leitlinien des Führungsteams deutlicher hervortreten: das slawische Repertoire soll (nicht zuletzt wegen der geopolitischen Lage von Graz und der neuen Situation an den Grenzen) verstärkt und bewußt gespielt werden, Janacek etwa (vielleicht wird sogar ein fünfjähriger Janacek-Zyklus begonnen), eine Serie des jungen v????rdi soll gestartet werden (der wahrscheinliche Beginn sind „l due foscari" und der einzige AlperiVerdi „Stifelio", wie.überhaupt in Zukunft auch an einer eigenständigen Verdi-Dramaturgie gearbeitet

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