7009551-1988_02_11.jpg
Digital In Arbeit

Ruft nicht zum Martyrium auf!

Werbung
Werbung
Werbung

Innerhalb der 14 autokephalen orthodoxen Kirchen besteht heute Einmütigkeit darüber, daß nach einem Erfolg des ökumenischen Gesprächs mit der katholischen Kirche entweder alle 14 Kirchen die Union aufnehmen oder gar keine. Das war nicht immer so. Der Wiener Ordinarius für Ostkirchenkunde, Ernst-Christoph Suttner, Mitglied der offiziellen Dialogkommission, sieht persönlich keine offene dogmatische Frage von solchem Gewicht, die das bestehende Schisma noch rechtfertigen würde. Im Gespräch mit der FURCHE weist Suttner jedoch darauf hin, daß er mit dieser theologischen Position noch zu einer Minderheit gehöre. Er hofft, daß sich seine Ansicht im ökumenischen Dialog durchsetzt.

In diesem Gespräch gibt es viele nichttheologische Faktoren als Hindernisse. So etwa historische Mißverständnisse und Falschinformationen, die bis zur Entstehung von Feindbildern führten. Auch die politische und psychologische Ebene spielt ins ökumenische Gespräch hinein.

Kommunistische Behörden könnten nämlich bei ökumenischen Erfolgen auch Abstriche ihres Einflusses auf die orthodoxen Nationalkirchen befürchten. Vor einer starken übernationalen Kirche bestehen auf seiten kommunistischer Staatschefs Ängste, die abgebaut gehörten.

Zu dieser politischen Schwierigkeit trit$ als weiteres Hindernis das Wissen mancher Bischöfe, daß sie - je nach konfessioneller Zusammensetzung des Landes -im Falle einer Union möglicherweise ins zweite Glied zurücktreten müßten.

Fortschritte in der Ökumene werden durch ein entsprechendes Niveau der theologischen Ausbildung der Gesprächspartner erzielt. In diesem Zusammenhang weist der Wiener Ostkirchen-kundler darauf hin, daß sich die katholische Theologie mit dem Standard der Theologie in der russisch-orthodoxen Kirche vor der Revolution kaum messen konnte. Nach der Oktoberrevolution, im Gefolge der äußerst repressiven Kirchenpolitik des Sowjetstaates sei die russisch-orthodoxe Theologie „um einen Kopf kürzer gemacht“ worden.

Suttner: „Nach dem Zweiten Weltkrieg mußte die Russische Orthodoxie den Neuaufbau eines theologischen Schulwesens beginnen. Hut ab, was hier bisher geleistet wurde. Daß der Standard vor 1914 noch nicht erreicht wurde, ist eine andere Sache.“

Für den Ostkirchenexperten steht fest, daß man in der Sowjetunion heute daran interessiert sei, daß gut ausgebildete Theologen in den Westen entsandt werden. Diese haben nach Suttners Worten einen „großen Meinungsbildungseffekt“.

Hier kommt Suttner auf die Vorwürfe gegenüber der russisch-orthodoxen Kirche zu sprechen, die aus gewissen Kirchenkreisen des Westens kommen. Entschieden wendet sich der Ost-kirchenkundler gegen die Gehässigkeit der russisch-orthodoxen Auslandskirche gegenüber dem Moskauer Patriarchat. Die russisch-orthodoxe Kirche - so Suttner — habe Kompromisse schließen müssen, um das gottesdienstliche Leben zu gewährleisten. Der russisch-orthodoxen Kirche vorzuwerfen, sie sei sozial inaktiv, hieße, die Geprügelten noch einmal zu prügeln, da bekanntlich der kommunistische Staat das Monopol auf jede soziale Tätigkeit beanspruche.

Vom Ausland her dürfte nicht die Forderung zum Martyrium an die russisch-orthodoxe Kirche herangetragen werden, sagt Suttner. Sinnvoll sei es, auf Verletzungen der Religionsfreiheit hinzuweisen, da dies den Kommunisten zu schaffen mache.

Den scharfen Kritikern des Verhaltens der russisch-orthodoxen Kirche in der Sowjetunion stellt Suttner die Frage, was sie selbst in dieser Situation anders machen würden. Man müsse Respekt vor jenen haben, die keine Kompromisse schließen könnten. Diese Haltung dürfe aber nicht allen abverlangt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung