6800600-1971_32_10.jpg
Digital In Arbeit

Salzburg — verbal

19451960198020002020

Die Welt des Verbalen ist bei den Salzburger Festspielen gegenüber der Welt der Töne nicht gleichermaßen geschätzt Tritt bei den Planenden niemand mit Nachdruck für diese Sparte ein, sackt sie ab. Heuer wird im Rahmen der Festspiele außer dem vor zwei Jahren neu inszenierten „Jedermann" nur ein einziges Sprechstück gegeben: das Lustspiel „Der Unbestechliche" von Hugo von Hofmannsthal im Kleinen Festspielhans.

19451960198020002020

Die Welt des Verbalen ist bei den Salzburger Festspielen gegenüber der Welt der Töne nicht gleichermaßen geschätzt Tritt bei den Planenden niemand mit Nachdruck für diese Sparte ein, sackt sie ab. Heuer wird im Rahmen der Festspiele außer dem vor zwei Jahren neu inszenierten „Jedermann" nur ein einziges Sprechstück gegeben: das Lustspiel „Der Unbestechliche" von Hugo von Hofmannsthal im Kleinen Festspielhans.

Werbung
Werbung
Werbung

Herrmann Bahr sprach einmal vom alten Adel, „wo Schönheit, Maß und Würde mühelose Erbschaft ist." Nun, die retrospektive Sicht auf den österreichischen Adel Anno 1912, die in diesem Stüde geboten wird, zeigt dagegen ein meisterhaft gezeichnetes zeremoniöses Wichtignehmen des Belanglosen, ansonsten die Neigung zur Libertinage, während es der Diener ist, der voll köstlich devoter Anmaßung das moralische Prinzip vertritt. Er renkt die Kie des jungen Baron Jaromir, der wie bisher auf Abwegen lustwandeln möchte, gegen Widerstände wieder ein. Zwar nicht recht glaubhaft, doch auf drollig listige Art. Revolte wird spüitoar, aber österreichisch; alles gdit gut aus.

Die Aufführung im Kleinen Festspielhaus leidet unter diesem Raum, nur ein Teü des Dialogs ist hörbar. Dagegen kommt auch ein Regisseur vom Rang Gustav Mankers nicht auf. Es kann sich daher nicht jenes reizvolle Fluidum büden, das eine GeseUschaftskomödie erfordert. Romuald Pekny ist als Diener "Rieo-dor noch am besten vernehmbar, er überzeugt in dieser Rolle, setzt ihr an den Aktschlüssen komödiantische Gickser auf. Helene Thimig gibt der Baronin das Verknautsciite und oft Hilflose einer alten Aristokratin. Michael Heitau hat als Jaromir Nonchalance, die innere Umkehr kann er selbstredend nicht glaubhaft machen. Drei Damen: Die kapriziöse Olga Aubry wirkt als Meiani« rei?-völl in angstvoller Verstörtheit, Anna vind Marie, farblos angelegt, bleiben durtii Johanna Matz und Maresa Hörbiger farblos. Gute Besetzimg des Generals nüt Egon Jordan, des Stubenmädchens Hermine mit Vera Borek. Den milieugerechten Bühnenbildern von Otto Niedermoser fehlt das Ansprecäiende so vieler Schlösser, die Kostüme von Maxi Tschunko lassen die modischen Reize jener Zeit erstehen.

Der Begriff „Straßentheater" hat sich vor drei Jahren für die Straßenaufführung kurzer provokativ-politi-scher Stücke durchgesetzt. Seither wurden in vielen Städten der deutschen Bundesrepublik derartige Aufführungen von verschiedenen Truppen dargeboten, die dazu anreizen sollten, die bestehende Gesellschaft zu verändern. Anders das Straßentheater, das Oscar Fritz Schuh im Vorjahr in Salzburg ‘am Beginn der Festspielzeit mit großem Erfolg startete. Da ist Theater nicht Mittel zu einem theaterfremdem politischen Zweck, es ist zweckfrei wie jede Kunst.

Damals sah man einen Einakter von Nestroy, heuer wird, veranstaltet von der Salzburger Kulturver-einigimg, „Theater in der Vorstadt" von Karl Valentin gespielt. Wie bei den Possen Nestroys geglaubt wurde, es sei unmöglich, sie ohne ihn selbst als Darsteller aufzuführen, so ist es auch mit Valentin und seinen Stük-ken. Die Wiedergabe durch das Salzburger Straßentheater beweist aber, daß es auch da möglich ist Die Qualität dieser Stücke wurde schon früh erkannt, mochte Valentin selbst nur Wert darauf gelegt haben als der beste „Volkssänger" seiner Zeit zu gelten. Bertolt Brecht hat bekannt, daß ihn nach dem ersten Weltkrieg Valentin mehr noch beeinflußt habe als Büdiner und Wedekind. Mit ihm war er auch aorf dem Münchner Oktoberfest gemeinsam aufgetreten. Im Sprachlichen vsrurden bei Valentin mit Recht Parallelen zu Joyce, Kafka, Dada und zu lonesco aufgezeigt. Man kann Tardieu hinzufügen.

Dieses Valentin-Stück führt ein Orchester von fünf Mann vor, das unter Mitwirkung einer Sängerin und einer Soubrette in der Vorstadt spielt, wobei es zu dauernden Kontroversen zwischen dem Kapellmeister und dem ersten Musiker kommt. Es gibt Mißverständnisse, hinterhältig gewollte und ungewollte, die Tücke der Dinge macht sich geltend, die Soubrette bleibt selbstverständlich stecken, der Trommelschlägel knickt plötzlicdi ein, menschliche und außermenschliche Widerborstigkeit als Welterkenntnis. Und die Worte im Mund des ersten Musikers machen sich fast selbständig, spreizen si(3i, treiben ihr eigenes Spiel. Man denkt an Handke, doch ist die Wortmechanik eine andere.

Es wird wieder auf einem Wagen gespielt, den Apfelschimmel bei der Premiere in den Hof des Schlosses Mirabell zogen. Witzig komödiantische Darbietung imter der Regie von Oscar Fritz Scįhuh. Den Kapellmeister, einst Rolle der fülligen Lisi Karlstadt, verkörpert nun die schlanke Elfriede Ott, für den ersten Musiker, RoUe des endlos langen, „wie ein Suppenbein" mageren Valentin, wurde der behäbige Alfred Böhm eingesetzt. Die Ott, gpaumäh-nig, kann beim Dirigieren ihr Temperament beinahe explosiv entfalten, Böhm wirkt dn drolliger Weise bok-kig. Anton Pointejäcer als zweiter Musiker, Margarete Fallner und Ilse Hanel als Gesangstars der Vorstadt, Isolde Stiegler als eifersüchtige Frau Kapellmeister ergänzen wirkungsvoll all das szenisch Spaßhafte, doch drei der Musiker bleiben ohne jede Reaktion. Ursula Sdvuh schuf die Ausstattung im Pawlatschenstil, J. C. Knaflitsch betreute das Musikalische, berechtigt hat man den Text ins Salzburgische umgesetzt. Die Auffühnmg wird bei Schönwetter an verschiedenen Stellen Salziburgs sechzehnmal wiederholt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung