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Verfehlte Gartenpflege

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Wer sich im Fernsehen, aber auch in Massenpublikationen zum österreichischen Katholikentag 1983 die Bilder besieht, die da unser „volksfrommes Brauchtum" herausstellen, auch manche Predigten freundlicher Fernsehpfarrer hört, wird in einen recht liebenswerten, gut aussehenden Kinder-Garten eingeführt.

Harmonisierung, kräftig durch Singen unterstützt, eine gewisse Juvenilisierung — Soziologen sprechen von Re-Infantilisierung und Re-Pubertisierung — prägen einen Massenkatholizismus, einen Volkskatholizismus, eine „Erbauung", die alle zusammen ihr gutes Recht haben, in einer Volkskirche in Erscheinung zu treten.

In einem „Akkord" soll ja, wie verkündet wird, der österreichische Katholizismus wie ein Mann, wie eine Frau, mit Burschen und Mädchen und Kindern, die Lebensmacht dieses „katholischen Österreich" bezeugen.

Wer sich an die frühen dreißiger Jahre erinnert, mag betroffen innehalten: derselbe Jubel, dieselbe — durchaus echte — Begeisterung junger Menschen, dieselbe Mentalität („Wir gehören ja alle zusammen"), dieselbe Ausklammerung der großen brennenden Lebensfragen in Kirche und Welt: wie sehr gleichen sich da die Gesichter!

Ein Plus ist heute zu verzeichnen gegenüber den Jubelfesten und Aufzügen der dreißiger Jahre: Es fehlt heute weithin der politische Affekt gegen „die Roten", es sind nicht mehr Katholikentage, Kirchweihen, Fahnenweihen, Feldpredigten, die schwarz auf weiß die politische Absicht bezeugen.

Eine gewisse Entpolitisierung prägt den juvenilen Katholizismus von heute, wobei als „Ersatz" Wort und Werbung und Geldsammlung für Menschen in der Dritten Welt den politischen Leerraum etwas füllen. Am eindrucksvollsten ist noch das Engagement von Jugendlichen und.ih-rer Organisationen in Aktionen der Friedensbewegung.

Nun gibt es wohl eine ganze Reihe von Gruppen junger und älterer Christenmenschen, die dieses „Spiel der Verharmlosung" nicht mitmachen und in kleinen Randgruppen im großen Kinder-Garten nicht mitspielen. Was da Ka-pläne, junge Theologen, Lehrer, Schüler (in geschlossenen Anstalten) erlebt haben, erreicht nicht die breite Öffentlichkeit dieses so selbstsicheren kirchlichen. Großbetriebes.

Katholiken haben ein kurzes Gedächtnis: Wer als Person, wer als Gruppe ausgeschieden wird aus der Phalanx der öffentlichen Herumsteher, ist nicht mehr. Wer erinnert sich noch an das so großmütig geschaffene Innsbrucker Jugendzentrum, de facto das Werk eines einzigen Jesuiten? Hier wurde offene Kirche gewagt — Offenheit schreckt wie der Teufel Menschen, die der Selbstversicherung in geschlossenen Anstalten, Gruppen, Parteien bedürfen.

Dieses Fnnsbrucker Jugendzentrum wurde seinerzeit bekanntlich von oben her abgewürgt: die Landschaften des österreichischen Katholizismus würden anders aussehen, nicht so „lieblich", nicht so ansichtskartenfromm, wenn von Innsbruck ausgehend, in den anderen Landeshauptstädten in brüderlicher Zusammenarbeit, aus Fehlern und Scheitern und Erfolgen lernend, sich offene Jugendzentren dieser Art und auch anderer Art hätten bilden können.

Modell Hoffnung: Da wurde soeben sehr schön, gescheit, klug sehr viel zusammengeschrieben über die Hoffnung, die den kommenden Katholikentag beseelen und jetzt, im Vorjahr bereits, umsichtig vorpräpariert werden soll.

Ich habe nichts gegen die Hoffnung. Ich bin dankbar -für jede Krume Hoffnung, die mich noch in meinem armseligen Leben erreicht und für eine Stunde labt. Ich bin aber sehr gegen Verharmlosung der Hoffnung, die die Wirklichkeit zwar zart mit Worten berührt, aber nicht ins Herz t aller heutigen „Dinge" zu gehen wagt.

Menschheit heute: ein Haupt voll Blut und Wunden! In einer einzigen Straße, in einer mittleren, in einer größeren Stadt, ballen sich Höllen — Höllen der Verzweiflung, oft Tür an Tür. Die Tageszeitungen bringen nur Sonderfälle, wenn eben ein Bur sch seinen Vater, ein Mädel seine Mutter getötet hat...

Verfehlte Gartenpflege: Das ist Abschirmung, das ist Verzäunung gegen die Welt, wie sie ist. Das ist verbale Verharmlosung der tragischen Dimensionen, der Kreuzesdimensionen, der Kreuzigungen, die täglich praktiziert werden.

Spes contra spem: Ja, der Christ soll die große Hoffnung wagen gegen alle tägliche Enttäuschung, ja Schändung der Hoffnungen des Menschen, der braunen, schwarzen, gelben, roten, weißen Menschenkinder. Eine Hoffnung, die nicht täglich in Konfrontation lebt mit dem brüllenden Schrei des Gekreuzigten (Walter Jens hat in einer Predigt in der Hamburger Katharinenkirche aufmerksam gemacht, daß Jesus „brüllt" - das Evangelium hat dies nicht eliminiert), ist Sing-Sang und singt an dieser Welt und am Kreuz vorbei.

Knapp theologisch angedeutet: ohne eine theologia crucis, eine Kreuzestheologie, gibt es keine Hoffnung, die die Sprengkraft besitzt, um die Härte, die böse, die mörderische Härte unserer „Verhältnisse" aufzusprengen. 1

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