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Viel Zynismus

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Unabhängig von der großen Flutwelle der Donau, die, von Österreich kommend, Rumänien erst Ende Juli erreichte, gab es Anfang Juli in Siebenbürgen bereits eine Hochwasserkatastrophe ungewöhnlichen Ausmaßes.

Im Ortsbereich von Schäßburg verengt sich der Talboden auf wenige hundert Meter. Als die Was-sewnassen sich hier durchzwängten, wurden manche Straßen bis zu viereinhalb Meter überschwemmt. In einem der tiefgelegenen Stadtteile gibt es vorwiegend eingeschoßige Siedlungshäuser. Mangels eines funktionierenden Warnsystems suchten die wenigsten Bewohner zeitgerecht höhergelegene Stadtviertel auf.

Die Leute stiegen auf die Dachböden, dann auf die Dächer; dort hockten sie hilflos Stunde um Stunde, naß bis auf die Haut, von Todesangst geschüttelt. In der vollständigen Schwärze der Nacht erhellten Blitze~die Wasserwüste runa-um, durch den Lärm des Donners und des Krachens anschlagender Balken und Bäume vernahm man Hilferufe aus jeder Richtung. Bis zu sechzehn Stunden mußten einige dieser Ärmsten ausharren, bis sie mit Booten der Feuerwehr oder mit Hubschraubern gerettet wurden.

Befremdlich war jedoch das Verhalten der Regierung. Zwar wurde der Notstand ausgerufen, aber das wahre Ausmaß der Katastrophe wurde zunächst vertuscht, die Not der Hochwasseropfer heruntergespielt. Erst am 23. Juli verstand Staats- ' und Parteichef Ceausescu sich dazu, vor dem ZK in Bukarest genaue Verlustziffern bekanntzugeben; er sprach von 83 Toten und Vermißten, einer erstaunlich geringen Zahl angesichts der Verwüstungen und besonderen Umstände.

Lassen sich Gründe für das Bagatellisieren der Flutkatastrophe anführen? — Ein Grund ist ohne Zweifel in dem Versäumnis der

öffentlichen Hand zu suchen, Hochwasserschutzanlagen zu errichten. Nach fast vierzigjährigem Intervall gab es im Mai 1970 in diesen Landesteilen ausgedehnte Überschwemmungen, die die Notwendigkeit von Schutzbauten evident werden ließen. Damals wurden große Worte gesprochen, denen jedoch keine Taten folgten. Begreiflich daher die Versuchung, jetzt vorzutäuschen, es sei gar nicht viel geschehen.

Ein zweiter Grund besteht in, der Verweigerung des Eingeständnisses, daß in der landwirtschaftlichen Planung schwerwiegende Fehler gemacht wurden. Die hier siedelnden Siebenbürger-Sachsen bebauten auf Grund jahrhundertelanger Erfahrungen die Hügel und Anhöhen; auf den Talböden gab es außer Wiesen höchstens Maisfelder. Wegen der besseren Einsatzmöglichkeit von Mähdreschern und Traktoren wird Getreide jetzt auf der flachen Talsohle angebaut, während die einstmals reichen Äcker im bergigen Gelände brach liegen. Umso größer ist jetzt der Schaden.

Der dritte Grund ist in der Geringschätzung der kleinen Leute durch die an der Macht Partizipierenden zu erblicken. Der neue Klassengegensatz in der angeblich klassenlosen Gesellschaft wirkt sich erschreckend aus.

Die Geschädigten der diesjährigen Katastrophe sind im wesentlichen dieselben, deren Wohnungen schon 1970 vom Wasser verwüstet worden sind. Sie stehen ein zweites Mal vor dem Nichts und haben auch diesmal nur eine geringe, völlig unzureichende staatliche Entschädigimg zu gewärtigen. Warum ruft Rumänien nicht internationale Hilfsorganisationen an, um die Ersatzwünsche aller Opfer zu erfüllen? Der Mangel an Mitgefühl und menschlichem Verständnis verhindert das Nächstliegende.

Um zu demonstrieren, daß die Arbeit für die sozialistische Gesellschaft wichtiger sei als alles andere, deklarierte das Munizipium Schäßburg, die Werktätigen verpflichteten sich, den durch die Naturkatastrophe verursachten Produktionsausfall bis Jahresende wettzumachen.

Die Rumänen sind im Durchschnitt ein gutmütiges und geduldiges Volk, aber zuviel Zynismus überfordert ihre Langmut.

Selbst in vom Hochwasser verschonten Gebieten hört man laute Klagen über unerträgliche Zustände. Es sind meistens Frauen, die ihrem

Unmut ungehemmt Luft machen: Sie haben Ursache dazu, die Eigenart des weiblichen Naturells reicht als Erklärung nicht aus.

Männer und Frauen sind dienstverpflichtet, viele von ihnen arbeiten zwölf Stunden täglich und haben seit Monaten keinen freien Sonntag gehabt. Da zahlreiche Arbeiter und Arbeiterinnen Pendler sind, ist zur Arbeitszeit die zweimalige Bahnfahrt sowie der Weg zum Bahnhof und die Wartezeit hinzuzurechnen, so daß die tägliche „Freizeit“ sich auf neun, bei einigen auf acht Stunden reduziert. Wie sehr besonders Frauen, die auch den Haushalt und Kinder betreuen müssen, durch dieses System überlastet sind, liegt auf der Hand.

Der Haß gegen die neue Klasse der Mächtigen und derer, die es sich richten können, ist spürbar wie nie zuvor in Rumänien.

Die Erbitterung richtet sich sogar auf den Staatsführer, dem man die ihm früher zugesprochene landesväterliche Gesinnung nicht mehr glaubt.

Wenn Ceausescu den Sympathieschwund nicht zeitgerecht registriert und sich einiges einfallen läßt, um den Trend wieder umzukehren, kann der Stimmungsumschwung staatspolitische Bedeutung erlangen. Eine der Säulen, auf denen Ceausescus Machtstellung aufgebaut ist, ist seine Popularität.

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