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Von Epidemien und Naturkatastrophen

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Trotz großer Fortschritte im Bereich von Medizin und Technik bleibt der Mensch Epidemien und Naturkatastrophen ausgesetzt. Dann bedarf es rascher und wirksamer Hilfe.

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Trotz großer Fortschritte im Bereich von Medizin und Technik bleibt der Mensch Epidemien und Naturkatastrophen ausgesetzt. Dann bedarf es rascher und wirksamer Hilfe.

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Nach jahrzehntelang umfassend 100 durchgeführten Impfungen galt Diphterie als eine verschwindende, ja fast vergessene Krankheit. Doch die Krankheit, von der man dachte, sie sei besiegt, kam zurück. Das Rote Kreuz meldet im „Weltkatastrophenbericht 1997”, daß Diphterie in den vergangenen Jahren vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion wieder aufflammte. Umfassende Bevölkerungsbewegungen nach der Aufhebung der Reise-ein-schränkungen, die Zunahme der Konflikte sowie soziale und wirtschaftliche Spannungen hätten die Verbreitung dieser ansteckenden Krankheit begünstigt. Fntscheidend dafür seien auch die extrem niedrigen Impfraten im betroffenen Gebiet gewesen. Die Neuen Unabhängigen Staaten (NUS) verfügten nämlich nur über begrenzte Hartwährungsreserven, um Impfstoffe von der Russischen Internationalen Föderation - dem Versorgungszentrum der ehemaligen Sowjetunion - oder anderen Lieferanten zu kaufen. Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit wurden erst mit großer Verzögerung gesetzt.

Aus diesen Gründen brach 1990 ausgehend von der Russischen Föderation eine wahre Diphterieepidemie aus. Gab es in diesem Jahr in den NUS 839 Fälle, so stieg deren Zahl in den folgenden Jahren auf 50.452 (1995) Erkrankte. Die Epidemie drohte auch auf Länder außerhalb der NUS überzugreifen. In Bulgarien, Deutschland, Finnland, Norwegen und Polen seien auch einzelne Fälle registriert worden.

Ende 1966 gab es 150.000 Diphteriefälle

Ende 1996 waren fast 150.000 Bewohner der NUS mit Diphterie infiziert und 4.000 bereits gestorben. Arme und gefährdete Menschen seien von den ansteckenden Krankheiten stärker betroffen als solche mit hohem Einkommen, heißt es im Katastrophenbericht. Aus diesem Grund müsse der Eindämmung von Epidemien unter den schwer erreichbaren Gruppen wie Arbeitslose, Obdachlose, Alkoholiker und Nichtseßhafte besondere Priorität eingeräumt werden.

Erst nach einem Spendenaufruf von WHO und UNICEF konnten Impfstoffe, Spritzen sowie Antibiotika und Personal zur Durchführung einer Massenimpfung bereitgestellt werden. 1995 und 1996 wurden mehr als 39 Millionen Impfdosen in die Länder Weißrußland, Ukraine, Estland, Lettland und Litauen geschickt.

Nach der Massenimpfung ging die Zahl der Erkrankungen und die Sterblichkeitsrate drastisch zurück. In den baltischen Staaten und Weißruß land war die Epidemie bald unter Kontrolle. Schließlich konnte die Ausbreitung der Krankheit in allen betroffenen Staaten verlangsamt und letztlich eingedämmt werden. Um diese neu aufgeflammte Krankheit jedoch vollständig zu bändigen, wird es noch weiterer Anstrengungen bedürfen. Mehrere Jahre lang wird die Unterstützung der Geber erforderlich sein, bis, die Diphterie-bekämpfung von den NUS selbständig durchgeführt werden kann.

Insbesondere die Klinikverwaltung, die Labordiagnose sowie die epidemiologische Erfassung „stark gefährdeter” und „schwer erreichbarer” Gruppen müsse verbessert werden, heißt es dazu im Katastrophen-bericht des Boten Kreuzes. Cholera, Pocken und die Pest sind Beispiele für ansteckende Krankheiten, die sich in der Vergangenheit weltweit mit verheerenden Folgen ausgebreitet haben. In den letzten Jahrzehnten sind es vor allem Aids und die Grippe, die sich auch aufgrund der gestiegenen Reisetätigkeit und des weltweiten Handels global ausbreiten. Aber auch auf das Wiederaufkeimen der Cholera als gesundheitliche Bedrohung wird im Bericht aufmerksam gemacht.

Weiters wird darauf hingewiesen, daß ansteckende Krankheiten wieder aufflammen könnten, weil existierende Erreger wie beispielsweise Malaria resistent werden. Hinzu kämen außerdem mindestens 30 neue krankheitsverursachende Organismen, die in den letzten 20 Jahren entdeckt wurden, unter anderem das Hepatitis C-, das Ebola- und das HI-Virus. „Ansteckende Krankheiten sind also weiterhin ein Problem der öffentlichen Gesundheit und die Haupttodesursache weltweit”, stellt das Rote Kreuz fest.

Zur Bekämpfung der Diphterieepidemie haben viele Organisationen zusammengearbeitet. Bei gemeinsamen Einsätzen stehen die Organisationen jedoch immer wieder in einem Zwiespalt: Einerseits erkennen sie die Notwendigkeit, bei einer Katastrophe vor Ort mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten. Auf der anderen Seite konkurrieren sie jedoch mit denselben Gruppen um die nötigen Mittel zur Finanzierung ihrer Aktivität.

Der Informationsfluß zwischen den zuständigen Gruppen funktioniert nicht immer soj wie es im Idealfall passieren sollte. Die meisten Organisationen kommen bei der Entwicklung der Infrastruktur für ein wirksames Informationsmanagement nur schleppend voran.

Via Internet auf der Suche nach Vermißten

In akuten Fällen werden sogenannte Situationsberichte an jene Fachleute verteilt, die sich schnell auf eine bestimmte Sachlage einstellen und die nötigen Hilfsgüter herbeischaffen müssen. Solche Aufzeichnungen können jedoch bei späteren Hilfeleistungen oft nicht zur Unterstützung herangezogen werden. Im Einsatzfall fehlt dann meist das notwendige Wissen über Fragen wie Kapazitäten der Infrastruktur vor Ort (Krankenhäuser, Flugplätze,...), verfügbare Fachleute für Katastrophenhilfe mit speziellem Know-how oder landesbezogene Fakten.

Darum bemühen sich die Hilfsorganisationen, neue Medien einzusetzen. So benützt das Internationale Komitee vom Boten Kreuz (IKBK) das Internet für die Suche nach bosnischen Vermißten. 11.000 als-vermißt gemeldete Personen sind in einer alphabetisch sortierten Liste erfaßt. Das Internet ermöglicht eine weltweite Suche nach Datum, Ort und anderen Aspekten. Über die IKBK-Seite können sowohl Suchende, die über wenige Informationen verfügen, als auch vermißt Gemeldete selbst Mitteilungen senden.

Epidemien wie die erwähnte in den NUS sind jedoch nur Teilbereiche jener Katastrophen, die es weltweit zu lindern gilt. An der Spitze der Liste, die anzeigt, von welchen Katastrophen Menschen am häufigsten heimgesucht werden, liegen die Naturkatastrophen. Von diesen am meisten betroffen war 1966 die Bevölkerung Asiens, vor allem wegen der verheerenden Folgen der Überschwemmungen in China, die ausführlich beschrieben werden. Während in Österreich in den letzten Wochen von überschwemmten Kellern und über die Ufer getretenen Flüssen die Bede war, bezeichnet das Rote Kreuz das Jahr 1996 als „Jahr des Todes” für die Reisbauern in Zentral- und Südchina. Die Wassermassen erwiesen sich als weitaus stärker als alle von Menschen aufgebauten Hindernisse.

Vorerst hatten die Monsunregen im Mai 1996 begonnen wie jedes Jahr. Doch als nach einem Monat der Fluß Jangtse in Zentralchina 4,68 Meter über den Gefahrenpegel gestiegen war, machten sich die Bewohner auf Ungewöhnliches gefaßt. Sie waren sich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewußt, welche Ausmaße die Überschwemmungen annehmen würden. In den folgenden Monaten wurden die Evakuierungen von Betroffenen zu einem Bitual, das sich in zahlreichen Provinzen wiederholte. Den Opfern mangelte es vor allem an Nahrung und Kleidung. Außerdem fehlten Arznei- und Desinfektionsmittel in den überfüllten Lagern, die den Menschenmassen als Ort der Zuflucht dienten.

Zerstörerische Wirbelstürme und Taifune verschlimmerten die ohnedies schon schwere Katastrophe. Davon besonders betroffen waren die Gebiete um Chinas größten See, den Dongting in Hunan. Die Flüsse der Begion glichen großen überlaufenden Badewannen. Der Anblick der Landschaft hätte an Venedig erinnert, wären da nicht die vielen zerstörten Häuser und Strommasten gewesen. Doch nicht alle Bewohner empfanden Unwetter wie die im Jahr 1996 als Fluch. Für manche werden die Wassermassen gar zum Segen. Frachtbarer Schlamm lagert sich nämlich auf den Beisfeldern vieler Bauern ab, während in anderen Regionen Chinas die gesamte Ernte zerstört wird. Wieder andere profitieren vom Leid der Betroffenen: So wird im Katastrophenbericht von einem Mann erzählt, der eine Leiter aufstellte, über die Passanten gegen Bezahlung aus einer überfluteten Straße klettern konnten.

Hochwasserprognose als wirksamer Schutz

Seit 4.000 Jahren bauen chinesische Behörden Deiche zum Schutz vor Überschwemmungen. Doch „noch hat der Mensch es nicht vermocht, etwas zu errichten, was die Natur nicht zerstören kann”. Mit diesen Worten kommentiert das Bote Kreuz das Versagen vieler Schutzvorrichtungen in den betroffenen Regionen.

Bei den Bewohnern der Überschwemmungsgebiete wandelte sich in den vergangenen Jahren die Einstellung zum 1 lochwasserschutz. So bevorzugen die Menschen im Delta des Jangtse heute nicht-bauliche Hilfsmittel wie Frühwarnsysteme gegenüber baulichen Maßnahmen wie Deichen. Das bekannteste nicht-bauliche Verfahren zum Hochwasserschutz ist die Hochwasservorhersage. Die Tatsache, daß die großen Flüsse in China entspringen und münden, erleichtere die Aufgabe, Menschen an den Unterläufen zu warnen, heißt es im Katastrophenbericht.

In den letzten 15 Jahren hat die Be-gierung einige Gesetze zur Bewältigung des Überschwemmungsrisikos erlassen. Diese schreiben eine Einteilung der Schwemmebenen in Zonen, Hochwasservorhersage und -warnsy-steme sowie Versicherungen gegen Überschwemmungen vor. Tatsache bleibt jedoch: Immer noch leidet ein großer Teil der chinesischen Bevölkerung an den Folgen der Katastrophe. Denn der große chinesische Strom hat im Vorjahr mehr Menschenleben gefordert als jedes andere Naturereignis auf der Erde.

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