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Wartesaal der Emigration

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Die „Drehscheibe Prag“ hat in den Jahren 1933 bis 1938manchem Deutschen, der Heimat und Beruf aufgeben mußte, um den NS-Schergen zu entgehen, Zuflucht und Überlebensmöglichkeiten geboten und einigen von ihnen sogar den weiteren Weg in die Emigration nach Frankreich, England, Amerika oder Kanada geöffnet.

Das Sudetendeutsche Haus in München zeigt eine Dokumentation über diese Schicksalsjahre, die vom Adalbert Stifter Verein sorgsam und liebevoll erarbeitet wurde. 59 Leihgeber trugen zu der Ausstellung bei, unter ihnen das Deutsche Exilarchiv der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, das Seliger-Archiv in Stuttgart, die Schillerstiftung in Marbach und zahlreiche private Sammler. So hat beispielsweise auch die Witwe Oskar Kokoschkas Briefe, Dokumente und mehrere Werke des Malers zur Verfügung gestellt.

Am Beginn der Ausstellung empfangen den Besucher Stapel von abgenützten Koffern, Symbole des leichten Gepäcks der Flüchtlinge. Der erste Blick fällt auf Plakatwände mit Kopien von Plakaten zur Reichstagswahl 1933, Aufrufe der Sozialdemokraten, der Kommunisten, des Zentrums, der Nationalsozialisten. Bugholzstühle um einen runden Kaffeehaustisch in einer Ecke zwischen Stellwand und Fenster erinnern an den „Wartesaal der Emigration“, das Cafe Continental im Kolovrat-Palais. In diesem Hause hatte Kurt Großmann am 5. März 1933 die „Demokratische Flüchtlingsfürsorge“ gegründet, vorher war er Generalsekretär der Liga für Menschenrechte in Berlin gewesen.

Zunächst wurden hier ausnahmslos alle Flüchtlinge ohne Rücksicht auf ihre religiösen oder politischen Bindungen betreut. Nach dem Reichstagsbrand in Berlin etablierten sich dann noch verschiedene weitere Flüchtlingskomitees. Im Cafe Conti lagen deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften auf, von der Tagespresse bis zur „Neuen Weltbühne“ und zum „Simpl“. Auf Stellwänden sind die Namen deutscher und jüdisch-deutscher Autoren, Journalisten und bildender Künstler dokumentiert, neben ihnen Listen der ebenfalls zur Emigration gezwungenen deutschen Politiker aus der Sozialdemokratie und anderen Parteien.

Fotos und Daten des Ehepaares Thomas und Katja Mann, ihrer Kinder Klaus und Erika finden sich neben denen von Therese Giese, Max Brod, seiner Frau Elsa, von Ludwig Winder. Peter Weiss, damals noch vor allem Maler, ist mit den Gemälden „Das große Welttheater“ und der „Klavierspieler“ und vier Grafiken vertreten. Viele Berliner Autoren, Journalisten und Verleger mußten sich nach Prag absetzen, wie beispielsweise Robert Jungk, Wilhelm Sternfeld, F. C. Weiskopf, Arnold Zweig, John Heartf ield und sein Bruder Wieland Herzfelde, Oskar Maria Graf aus München und andere.

Unter den bildenden Künstlern finden sich Oskar Kokoschka, der mit vielen schönen Bildern und einem eindrucksvollen Porträt von Präsident Thomas“ Masaryk vertreten ist, und Rudolf Steiner-Prag mit Entwürfen für ein jüdisches Gebetbuch, außerdem Thomas Theodor Heine mit zahlreichen Zeichnungen.

Ahnlich dokumentiert sind die deutschen Sozialdemokraten. 1933 flohen viele von ihnen nach Prag, wie etwa der Chefredakteur des Vorwärts-Verlages Friedrich Stampfer, oder Otto Wels, Erich Ollenhauer und Hans Vogel. Wenzel Jaksch gelangte schließlich nach London, nachdem er als Vorsitzender der Deutschen Sozialdemokratischen Partei in der CSR1938 noch einen Exil-Parteitag in Karlsbad abgehalten hatte.

Das Münchener Abkommen vom 19. September 1939 brachte noch einmal Flüchtlinge in großer Zahl nach Prag: allein von 12.000 politischen und 14.500 jüdischen Flüchtlingen berichtet Kurt Großmann, dazu etwa 150.000 tschechische Flüchtlinge. Nicht alle Namen, alle Daten lassen sich referieren. Die beeindruckende Ausstellung soll auch nach Israel gehen.

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