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Zwischen Ost und West

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Die Lösung internationaler Probleme ist immer eine schwierige Sache. Wenn es darauf ankommt, die Auffassungen von zwei oder mehreren Staaten bei einer gestellten Aufgabe zu koordinieren, bedarf es zäher und langwieriger Verhandlungen, eines entsprechenden Einfühlungsvermögens in die Denkweise der Verhandlungspartner und vor allem hancifester Argumente, die beweisen können, daß Vor- und Nachteile eines angestrebten Übereinkommens möglichst gleichmäßig verteilt sind. Diese Erfahrungen hat Österreich und haben alle anderen Verhand-limgspartner der EWG seit den Tagen gemacht, da die alte OEEC Ende 1956 den Beschluß faßte, mit der eben ins Leben getretenen EWG eine gesamteuropäische Lösung zu finden. Seither sind mehr als 14 Jahre verstrichen, in denen zwar einige Assoziierungsverträge, so beispielsweise mit den afrikanischen Staaten, die ehedem zu Frankreich gehörten, oder Griechenland, zustande kamen, aber die Bemühungen um eine echte Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften noch keinen Erfolg brachten. Allerdings hat sich in der europäischen Landschaft, wenigstens stimmungsmäßig, bezüglich de^ Integrationsproblems in dieser Zeit einiges entwickelt. Während man zwischen 1956 und 1958

über eine Große Europäische Freihandelszone verhandelte und sich eine solche Lösung als undurchführbar herausstellte, .trat 1960 die EFTA ins Leben und l)egannen 1961 erste, echte Beitrittsverhandlungen zwischen der EWG und Großbritannien. Schon damals wurde klar, daß im Falle üires Gelingens für einige andere europäische Staaten nicht mehr eine Assoziierung, sondern nur eine Vollmitgliedschaft in Frage kommen könne. Diese waren und sind Dänemark, Norwegen und Irland. Österreich, Schweden und die Schweiz hielten, vor allem mit Rücksicht auf ihren Neutralitätsstatus, den Wunsch nach Assoziierung offen, wobei die Vorstellungen über den Inhalt eines Assoziierungsvertrages nicht in allen Teilen die gleichen waren und sind. Als die Beitrittsverhandlungen Großbritanniens mit dem berühmten Veto des französischen Generalpräsidenten am 14. Jänner 1963 ebenfalls scheiterten, gab man, mit Ausnahme Österreichs, zunächst weitere Bemühungen auf, um, wie es hieß, „einen geeigneteren Zeitpunkt abzuwarten".

Osterreich konnte sich dieser Auffassung nicht anschließen, weil die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und den EWG-Saaten wesentlich intensivere sind als die der anderen Staaten, vor allem seiner beiden neutralen Freunde, und so kam es 1965 und 1966 zu exploratorischen Gesprächen und echten Vertragsverhandlungen, die so weit gediehen, daß nach Abschluß der letzten Verhandlungsrunde am 1. Februar 1967 seitens der EWG festgestellt werden konnte, daß es „keine unüberwindlichen Schwierigkeiten für den Abschluß eines Assoziierungsvertrages mit Österreich mehr gibt". Die EWG-Kommission war aber bis dahin nur ermächtigt, zu prüfen, ob ein Vertrag mit Österreich möglich wäre und wie er in seinen wesentlichen Grundsätzen aussehen könnte. Sie war nicht zur endgültigen Formulierung des Vertrages ermächtigt. Ein diesbezüglicher Antrag der Kommission an den EWG-Ministerrat aber wurde über französischen Einspruch nicht mehr behandelt, weil die französische Regierung — entgegen ihrer bisherigen Haltung — nun plötzlich auch einen allfälligen Vertrag mit Österreich zu einem Bestandteil der gesamteuropäischen Intagrationsproblematik erklärte, womit so lange nichts weitergehen konnte, bis eben die gesamteuropäische Integrationsproblematik geklärt sein würde.

An diesem Standpunkt hat sich de facto bis heute nichts geändert, denn auch der Beschluß des EWG-Ministerrates vom De-zemiber 1969, nun sowohl Beitritts- als auch Assoziierungsverhandlungen wiederaufzunehmen, ist bezüglich aller angestrebten Verhandlungserfolge darauf ausgerichtet, daß ein* Gesamtlösung gefunden wird. Auch das sogenannte Interimsabkommen, dessen Fragwürdigkeit von allem Anfang an feststand, sollte erst in Kraft treten, bis der Inhalt eines endgültigen Assoziierungsvertrages mit Österreich feststünde und außerdem alle übrigen Beitritts- und Assoziierungsmöglichkeiten mit allen anderen Staaten geklärt wären. Der wesentliche Unterschied im österreichischen Assoziierungsproblem zwischen jetzt und der Zeit von 1966/67 liegt darin, daß man damals für Österreich eine Sonderregelung anpeilte, weil — so sagte man in Brüssel — die politische und wirtschaftliche Situation Österreichs gegenüber der EWG anders geartet sei als die aller anderen Beitritts- und Assoziierungswerber. Es sollte ein „wirtschaftlicher Vertrag besonderer Art" werden, der keine Beispielswirkungen haben sollte. Das war damals auch ein besonderer Wunsch der französischen Seite, von dem sie aber, wie schon erwähnt, später wieder abgerückt ist.

Wenn wir ums heute fragen, wie die Dingie weiterlaufen werden, so ist vor allem eines grundsätzlich festzustellen: Die Europäischen Gemeinschaften haben sich, wie diejenigen, denen die Dinge bekannt sind, schon immer festgestellt haben, zu einer der bedeutendsten Wirtschaftamächte der Welt entwickelt. Die EWG ist heute bereits der größte internationale Handelspartner. Die Potenz der in ihr vereinigten Volkswirtschaften ist zusammengefaßt so groß, daß eine Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zu ihr zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Aufgaben, vor allem der europäischen Staaten, gehört. Auch in den Oststaaten hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. Gemäß dem Rom-Vertrag ist aus der Zollunion der Sechs bis heute eine fast komplette Wirtschaftsunion geworden, deren Vollendung auf dem monetären Sektor bereits in Angriff genommen wurde. Die jüngsten Beschlüsse der EWG auf diesem Gebiet lassen mit Bestimmtheit erwarten, daß die EWG schon in wenigen Jahren eine eiiAeitliche und vereinheitlichte Wirtschaftsmacht geworden sein wird, von deren EntwicSclung das wirtschaftliche Geschehen in der ganzen Welt, vor allem aber in Europa maßgeblich bestimmt werden wird. Die wirtschaftspolitische Grundlage dieser Entwicklung liegt in der durch die technologische Ent-wicklimg bedingten Bildung von Großwirtschaftsräumen, die heute und in der Zukunft allein imstande sein werden, die wirtschaftlichen Lebensbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Rationalisierung und Konzentration sind die beherrschenden Elemente der weltwirtschaftlichen Entwicklung unserer Zeit, sie erfordern den Großwirtschaftsraum, der allein in der Lage 1st, die dazu notwendigen geistigen und materiellen Grundlagen zu präsentieren.

Dieser Entwicklung steht auch Österreich gegenüber. Das war schließlich der Grund für die bisherigen österreichischen Assoziierungsbemühungen. Daß die negativen Folgen des NichtZustandekommens eines österreichischen Assoziierungsvertrages bisher nicht allzu deutlich spürbar wurden, liegt allein in der kon-junkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft begründet. Jeder Rückschlag der Weltwirt-schaftskonkunktur aber würde vor allem in Österreich die Folgen einer Nichtteilnahme am westeuropäischen Wirtschaftsraum deutlich wirksam werden lassen. Mit anderen Worten heißt das, daß sich an der wirtschaftlichen Notwendigkeit eines österreichischen Assoziierungsvertrages nichts geändert hat! Dabei muß man sich ein für allemal darüber im klaren sein, worin eine österreichische Assoziierung mit der EWG zu bestehen hat. Es ist oft genug gesagt worden, kann aber nicht oft genug wiederholt werden.

Ein neutraler Staat kann nach geltender Völkerrechtslehre nicht Mitglied einer Staatengemeinsdiaft werden, bei der die Mitgliedschaft Souveränitätsrechte erfordert. Wäre dies nicht so, hätte Österreich längst einen Beitrittsantrag stellen müssen. So aber müssen wir uns eben des schwächeren Instruments der Assoziierung bedienen, das uns wenigstens eine Teilnahme an der wirtschaftlichen Dynamik des westeuropäisdhen Großwirtschaftsraumes gestattet. Dies aber kann nur erreidit werden, wenn zwischen Österreich imd der EWG ein gemeinsamer Zoll-bereidi hergestellt wird, was bezüglidi der Agrarprodukte auch die Harmonisierung der österreidiischen Agrarmarktordnung mit jener der EWG erforderlidi macht. Gänzliche Beseitigung der Zollschranken und Harmonisierung der Agrarmarktordnung bilden also den Inhalt eines österreichischen Assoziie-rüngsvertrage?. Nicht mehr und nicht weniger. Was immer also auch bei den gegenwärtig läufenden Verhandlungen „über einen endgültigen Vertrag" veihandelt wird — es kann sich nur um diese beiden Punkte handeln, wobei die Frage oiTenbleibt, ob die Herstellung des gemeinsamen Zollbereichs in Form einer Zollunion oder einer Freihandelszone erfolgen soll. Man muß allerdings wissen, daß die EWG bis zur Stunde jede Freihandelszonenkon-stTuktion ablehnt. Ob man nach dem allfälligen Gelingen der Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien und den anderen Beitritts-werbem in Brüssel von diesem harten Standpunkt vielleicht abrücken wird, laßt sich im Augenblidc nicht sagen. Wohl aber kann man heute wie ehedem mit aller Deutlichkeit behaupten, daß Beitritts- und Assoziierungsprobleme lösbar sind, wenn man in Brüssel hiezu den guten Willen hat. Am österreichischen Willen hat es bisher nicht gefehlt. Selbst die bekannten Stimmen, die sich aus unverständlichen politischen Gründen oder aus kurzsichtigen Überlegungen eigenbrötlerischer Kirchturmpolitik bisher gegen eine Integrationslösung ausgesprochen haben, sind besseren Einsichten gewichen. Die wirtschaftliche Wahrheit hat sich, wenn auch langsam, so doch unbezwingbar durchgesetzt!

Man spricht in diesen Tagen soviel von Entspannung und meint damit vor allem im europäischen Raum die Beseitigung jener Elemente der europäischen Politik, die kontroversiell zwischen West und Ost sind. Wenn wir von der Annahme ausgehen, daß das Bedürfnis nach Entspannung hüben und drüben der weltpolitischen Demarkationslinie ehrlich gemeint ist, dann dürfte eine Erfahrung, die man seit 1945 gemacht hat, nicht unterschätzt werden, die besagt, daß es gerade die Wirtschaftspolitik und vor allem das Bedürfnis gegenseitigen Wirtschaftsverkehrs sind, die als wesentlichste und meist auch sehr erfolgreiche Entspannungselemente angesehen werden können. In West und Ost steigen die Produktionszahlen der Industrie. West und Ost sind darauf angewiesen, die im eigenen Bereich erzeugten Waren in verstärktem Maße auch auf den Märkten der anderen abzusetzen. Der gegenseitige Erfahrungsaustausch auf technologischem Gebiet, das Know-how, wie man heute sagt, macht Fortschritte. Kooperationen auf Drittmärkten gehören zur Tagesordnung und gemeinsames Betriebsmanagement beginnt sich über die politischen Grenzen hinweg zu entwickeln. Der sommerliche Reiseverkehr an die dalmatinische Küste, an das Schwarze Meer und zu den Kunstschätzen von Leningrad, Warschau und Prag nimmt immer größere Dimensionen an, und selbst die Zahlen des Reiseverkehrs in Richtung Ost-West steigen. Welch anderer Schluß könnte aus dieser Entwicklung gezogen werden als der, daß man das westeuropäische Integrationsproblem nun auch im Lichte östlicher Auffassungen von jedem politischen Beiwerk befreit, das es in Wirklichkeit auch gar nicht hat! Auf Österreich bezogen heißt das, daß wir niemals zugeben können, daß die österreichischen Integrationsbemühungen mit dem Neutralitätsstatus nicht vereinbarlich wären. Mit dieser Haltung finden wir auch die Antwort auf die sich periodisch wiederholenden „Mahnungen", die wir diesbezüglich aus sowjetischen Zeitungen hören. Welche Verpflichtungen einem neutralen Staate auferlegt sind, ist in der Völkerrechtslehre ausreichend definiert. Hiezu bedarf es weder der Mahnungen noch guter Lehren von dritter Seite. Dies nicht zuletzt deshalb, weil niemand ein größeres Interesse an der österreichischen Neutralität hat als wir Österreicher selber. Daß wir ein Staat westlicher Ordnung sind und bleiben wollen, dürfte sich außerdem in der Welt schon herumgesprochen haben. Die Fronten sind somit für alle Beteiligten klar. Von Brüssel müssen wir endlich den guten Willen verlangen, Österreich an der westeuropäischen Integration teilnehmen zu lassen, und vom Osten dürfen wir vorbehaltlos und ohne jede Mentalreservation die Einsicht verlangen, daß die Integrationsteilnahme für Österreich wirtschaftlich notwendig und die Neutralität dadurch in keiner Weise gefährdet ist.

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