Die Früchte des Zorns

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Tirol wählt am Sonntag einen neuen Landtag. Der Wahlkampf geriet zur Schlammschlacht. Die Ursachen dafür liegen in Machtkämpfen und daraus resultierenden Feindschaften, aus denen es kein Entrinnen gibt.

Tirol im Juni 2008. Wenige Tage vor der für Sonntag, 8. Juni angesetzten Landtagswahl platzte dem Titelverteidiger, Landeshauptmann Herwig van Staa (ÖVP), der Kragen: "Ich werde mir nicht mehr alles gefallen lassen." Verständlich, denn der Wahlkampf war an Oberflächlichkeit, Polemik und persönlichen Angriffen nicht mehr zu unterbieten. Und legte Tirols Themen sowie Probleme offen.

Das Land steht eigentlich in der Blüte. Die meisten Branchen seiner Wirtschaft boomen, die Infrastruktur etwa in den Bereichen Gesundheit und Bildung ist hervorragend. Die öffentlichen Haushalte sind nach Sanierungsstrategien, nicht zuletzt durch jene von Van Staa als Innsbrucker Bürgermeister und als Tiroler Landeshauptmann, konsolidiert, müssen sich allerdings auf neue soziale Herausforderungen einstellen. Weder die Ausländer noch der Islam sind großes Thema, trotz Minarett und eines in manchen Bezirken weit überdurchschnittlichen Anteils an Ausländern, vor allem an zugezogenen Türken, auch solchen der zweiten und bald der dritten Generation. Doch die Politik bietet ein anderes Bild.

Man verkehrt im Zorn miteinander, es sind die Wucht der Aggression und die Wut in den Worten, die unvoreingenommene Beobachter erschrecken lassen. Das Ende des hässlichen Streits liegt vor, wenige Tage vor der Wahl wurde es erst ausgesprochen: Der Ex-ÖAAB-Funktionär und ÖVP-Rebell Fritz Dinkhauser, der zur Wahl mit seiner Bürgerliste antritt, will keinesfalls mit seiner ehemaligen Partei zusammenarbeiten, mit niemanden. Weder mit dem amtierenden Parteichef Herwig van Staa, noch mit den anderen. Da tun sich Gräben auf.

Tirol ist in die Defensive geraten, kann nur mehr reagieren, nicht agieren. Es fehlt an Mitteln und an Konzepten.

Niemand weiß, wie man dem total überbordenden Transitverkehr beizukommen vermag, bei allen Beschränkungen von Tempo, Lärm sowie Abgasen und Projekten wie dem Brennertunnel.

Keiner hat ein Rezept dafür, wie man Verkauf von Grund und Boden, etwa an Wiener Anwälte und deutsche Unternehmen, neuerdings auch an russische Oligarchen, stoppen könnte. Es sehen nur alle fassungslos zu, wie an manchen Flecken, etwa in Kitzbühel, ein Drittel der Wohnsitze nicht Einheimischen, sondern "Auswärtigen" gehört. Die Kinder der "Hiesigen" können sich den Grund zu den von den neuen Reichen hochgeschraubten Preisen nicht mehr leisten. Politische Instrumente wie Raumordnung und Zweitwohnsitz-Verbot richten wenig aus.

Hohe Autonomie

Am mehrheitlich gefühlten Desaster im politischen Regime für den Straßenverkehr und für den Grundverkehr wird klar, was die Tiroler wütend und ihre politischen Eliten so verzweifelt macht: Sie sind nicht mehr die Herren im eigenen Haus. Und das passiert den Tirolern!

Die Tiroler waren stets eine Eigentümergesellschaft. Nicht Pächter wie in den östlichen Bundesländern mit den enormen Besitzungen des Adels. Sie hatten Waffen zuhause, bürgerliches Stimm- und bäuerliches Jagdrecht sowie Wehrpflicht, aber nur im eigenen Land, weswegen sie auch kein fremdes in der Geschichte überfallen, aber alle Eindringlinge stets hinausgeworfen haben. Und das unter dem militärischen Kommando selbst gewählter Hauptleute.

Not streitet, pflegt der Volksmund zu sagen. Und das gilt für Tirols politische Eliten in ihrer Ratlosigkeit und Notlage. Mit individueller und gemeinsamer Tüchtigkeit wurde Tirol vom Auswandererland zu einem Teil des Wohlfahrtsstaates. Doch die Prinzipien der Leistungsgesellschaft nutzen wenig gegen die EU-Richtlinien von Kapital- und Verkehrsfreiheit sowie Niederlassungsrecht. Ein gnadenloser Populist wie der ehemaligen AK-Präsident Fritz Dinkhauser fährt daher leicht politische Ernte in die Scheune seiner Bürgerliste. Er schimpft gegen die "Oben", gegen jene in Wien und gegen die nächsten in Brüssel. Und kann sich der Zustimmung sicher sein, selbst wenn er nur die Wut über das Problem und nicht dessen Lösung anspricht. Verantwortlich dafür macht er die Bauern und ihre politische Organisation, den Bauernbund in der ÖVP.

Schreckfall Machtverlust

Der Anteil der Bauern liegt in Tirol nur knapp über dem Bundesschnitt von drei Prozent, aber der Anteil der Wähler, die aus bäuerlichem Milieu stammen, ist mehrfach höher. Die Bauen sind schlagkräftig politisch organisiert, haben zudem in der ÖVP mit dem Wirtschaftsbund stets den Obmann und damit den Landeshauptmann bestimmt. Der Arbeiter- und Angestelltenbund war stets schwarz, wurde klein gehalten. Einerseits wollte die ÖVP-Führung der Nachkriegsjahre nicht eine zu große Menge an Arbeitern und Angestellten, denn das hätte nur breites Bodenpersonal für sozialistische Gewerkschafter bedeutet. Der ÖAAB, den das auch traf, trachtet seit Jahrzehnten danach, sich in der ÖVP für die krasse Benachteiligung und die steten Niederlagen in den Machtkämpfen zu rächen. Mit Dinkhauser könnte das gelingen, allerdings auf Kosten der ÖVP und des Landeshauptmannes.

Die Umfragen vor der Wahl beinhalten alle eine Schwankungsbreite von zwei und, je nach Sample, mehr Prozent nach oben und nach unten. Aber sie zeigen einen klaren Trend: Die Volkspartei könnte den letzten Umfragen zufolge auf einen Stimmenanteil von 39 bis 41 Prozent fallen und damit ihre absolute Mehrheit unter den 36 Abgeordneten zum Tiroler Landtag verlieren. Die SPÖ würde auf 19, 20 Prozent kommen, die Freiheitlichen liegen bei 10, die Grünen stabil bei 15 Prozent - und Dinkhauser ist die große Unbekannte in der Wahlarithmetik. Er wurde zuletzt bei einem möglichen Stimmenanteil von 12 bis 17 Prozent gehandelt. Da man sich in der ÖVP in alter Feindschaft verbunden bleibt und Koalitionen von und mit Dinkhauser gegenseitig ausgeschlossen wurden, gibt es nur eine Schlussfolgerung: Eine Mehrheit, etwa Rot-Grün-Dinkhauser, ist im Landtag zumindest nach den derzeitigen Prognosen denkbar. Damit würde die ÖVP in Tirol das Schicksal jener in der Steiermark erleiden: Ursächlich der Diadochenkämpfe, Ratlosigkeiten und Streitigkeiten unter zu kurz gekommen Kronprinzen geht der Landeshauptmann verloren.

Wie so oft ist es Van Staa vorbehalten, für seine Lage das Richtige zu erkennen und damit das Unangenehme auszusprechen: Es darf keine Mehrheit gegen die ÖVP geben, lautet seine Parole an die Parteifunktionäre und Wähler, mit denen er seine liebe Not hat. Die Wahlbeteiligung stürzte in Tirol zuletzt ins Bodenlose.

Nur mehr 60 Prozent der Wahlberechtigten gingen 2003 zu den Urnen. Damit haben die Tiroler und Vorarlberger etwas mit den Wienern gemeinsam, von denen sie sich sonst so gerne unterscheiden: Alle drei Länder haben diese niedrige Wahlbeteiligung, die nächsten, nämlich die Niederösterreicher, kommen auf 75 Prozent.

Nach Jahrzehnten politischer Dominanz haben Machtkämpfe die VP geschwächt. Umstände wie der EU-Beitritt ließen die Bedeutung der Länder schwinden. Das düngt den Boden, auf dem Früchte des Zorns gedeihen.

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