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Wie geht der Staat mit Religionen um?

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Noch vor Weihnachten soll im Nationalrat das neue Religionsgesetz beschlossen werden. Auch der Wiener Kirchenrechtsordinarius ist mit der derzeitigen Vorlage alles andere als einverstanden.

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Noch vor Weihnachten soll im Nationalrat das neue Religionsgesetz beschlossen werden. Auch der Wiener Kirchenrechtsordinarius ist mit der derzeitigen Vorlage alles andere als einverstanden.

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Aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. April 1997 ist das österreichische Staatskirchenrecht nach einer Zeit der Stagnation in Bewegung geraten. Diese Entscheidung nahm der Gesetzgeber zum Anlaß, dem im österreichischen Staatskirchenrecht herrschenden „Alles-oder-Nichts-Prinzip” ein - aus verfassungsrechtlicher Sicht schon lange gebotenes -Ende zu bereiten. Bislang konnte eine Religionsgemeinschaft als solche Rechtspersönlichkeit nur durch Anerkennung gemäß einem Gesetz aus 1874 erlangen. Wer aufgrund seines Selbstverständnisses nicht anerkannt werden wollte oder - aus welchen Gründen auch immer - nicht anerkannt wurde, war auf die Bildung von Hilfsvereinen angewiesen.

Im Sommer dieses Jahres wurde daher der Entwurf eines Gesetzes über die Bechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften zur Begutachtung versandt. Aufgrund des Begutachtungsverfahrens ;kam schließlich die nunmehrige Regierungsvorlage zustande. Die folgenden Überlegungen stellen eine kurze Zusammenfassung einer Ende September zum Entwurf abgegebenen Stellungnahme dar. Einerseits wurden gegenüber dem Entwurf nur wenige Verbesserungen vorgenommen - so ersetzte man etwa die diskriminierende Bezeichnung „staatlich angezeigte (!) religiöse Bekenntnisgemeinschaft” durch den neutralen Begriff „staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft”. Andererseits aber wurde in einigen Fällen den verfassungsrechtlichen Bedenken nicht nur nicht Rechnung getragen, sondern die Bestimmungen sogar noch verschärft. So etwa wenn für eine Bekenntnisgemeinschaft statt der vorerst geforderten 100 Personen mit Wohnsitz in Österreich nunmehr 300 verlangt werden. Vermutlich hat man inzwischen recherchiert, daß einige kleine Beligionsgemeinschaften zwischen 100 und 300 Mitglieder zählen.

Mit der Regierungsvorlage sollen offenbar zwei religionspolitische Ziele verfolgt werden. Erstens die Schaffung einer Rechtsgrundlage für den Erwerb der Rechtspersönlichkeit für Religionsgemeinschaften, ohne daß damit die mit der Anerkennung verbundene Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erworben wird. Zweitens ist eine Revision der

Voraussetzungen für diese Anerkennung angestrebt.

Schwerer Eingriff ins Freiheitsrecht

Das erste Ziel ist prinzipiell zu begrüßen. Es zeigen sich jedoch einige eklatante Schwächen im Entwurf, die über die bereits erwähnte Frage der Mitgliederzahl hinausgehen. So kommt es in 5 zu einer modifizierten Übernahme von Artikel 9 (2) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Während diese für beschränkende Maßnahmen deren Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft verlangt, spricht die Regierungsvorlage von einem Verstoß gegen die in einer demokratischen Gesellschaft gegebenen Interessen, was eine nicht unbedeutende Verlagerung darstellt. Man wird vielleicht von einer erhöhten „Sicherheitsempfindlichkeit” der gegenständlichen Materie ausgehen können. Ein Vereinigungsverbot als Maßnahme einer letztlich präventiven Kontrolle stellt jedoch einen besonders schweren Eingriff in das Freiheitsrecht dar. Es bedarf daher auch einer genauen Spezifikation der Gefahr und einer nachvollziehbaren Prognose, um der den Gesetzgeber treffenden Deter-minierungspflicht bei Eingriffen in Grundrechte gerecht zu werden.

Das zweite Ziel ist meines Erachtens jedoch verfehlt worden. Es bedürfte dazu einer grundsätzlichen und kritischen Überarbeitung des Anerkennungsrechtes. Es ergeben sich jedoch schwere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Begierungsvorlage, nicht zuletzt durch das strikte Bemühen, am Anerkennungsgesetz festzuhalten und dabei aus rechtspolitischen Gründen weitere Anerkennungen praktisch auszuschließen.

In fünf Punkten werden „zusätzliche Voraussetzungen” für eine Anerkennung im Sinne des Anerkennungsgesetzes 1874 formuliert. So wird nunmehr gefordert, daß die Anzahl der Angehörigen zwei Promille der Bevölkerung ausmacht, das wären derzeit zirka 16.000 Mitglieder, was einer Ver-achtfachung der von der Praxis bisher geforderten Zahl von 2.000 entspricht. Daß dies deutlich zu hoch gegriffen ist, zeigt sich allein schon darin, daß bezogen auf die letzte Volkszählung nur fünf der derzeit anerkannten Beligionsgemeinschaften (katholische Kirche, evangelische Kirche, griechischorientalische Kirche, islamische Glaubensgemeinschaft und ganz knapp noch die altkatholische Kirche) diese Voraussetzung erfüllen würden.

Prüfstein für die Religionsfreiheit

Hier könnte die Republik von der Monarchie lernen, die vor 177 Jahren die Herrnhuter-Brüderkirche aufgrund ihrer alten Tradition anerkannte, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt (1880) nicht einmal 368 Mitglieder (Volkszählung 1890) umfaßte. Da derzeit nur eine einzige der die Anerkennung begehrenden Gruppen, nämlich die Zeugen Jehovas, die geforderte Anhängerzahl aufweist, wäre eine positive Erledigung aller übrigen Anträge von vornherein ausgeschlossen.

Auch das Erfordernis der Verwendung von Einnahmen und Vermögen nur für religiöse Zwecke beziehungsweise die sich daraus notwendig ergebende staatliche Kontrolle ist bedenklich und erinnert an den Rückfall in paläo-liberale staatskirchen-hoheitliche Zeiten, als etwa das Katholiken-gesetz aus 1874 die katholische Kirche unter staatliche Vermögensaufsicht stellte.

Das Erfordernis eines zehnjährigen Bestandes als religiöse Bekenntnisgemeinschaft ist ebenfalls abzulehnen, da eine solche schematische Betrachtungsweise - ebenso wie eine fixe Mitgliederzahl - ein Abstellen auf die im konkreten Fall jeweils vorliegenden, stark unterschiedlichen Umstände ausschließt.

Mit dem Erfordernis der prinzipiellen Konformität mit dem gesellschaftlichen Grundkonsens auch in einer pluralistischen Gesellschaft wird ein großes Thema der gegenwärtigen Staats- und Bechtsphilosophie angerissen. Es ist typisch, daß das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in seiner spezifischen Eigenart vielfach in Widerstreit mit einzelnen Grundrechten geraten kann. Wie immer hier auch die Abwägungen mit der Religionsfreiheit vorzunehmen sein mögen, für die Verleihung der öffentlich-rechtlichen Stellung muß wohl die prinzipielle Akzeptanz des pluralistischen Rechtsstaates und die Rejahung der grundsätzlichen staatlichen Ordnung verlangt werden. Dabei ist jedoch auf die Zielsetzung der Gemeinschaft als ganzes abzustellen. Nicht ausreichend ist jedenfalls die punktuelle Ablehnung einzelner staatlicher Vorschriften aus Gewissensgründen.

Es wäre daher in Zukunft ein umfassendes verfassungskonformes Konzept zu entwickeln, wobei - ohne die gewachsenen Strukturen außer acht zu lassen - dem gewandelten Staat-Kirche-Verhältnis und der geänderten Verfassungswirklichkeit Rechnung zu tragen sein wird. Die Fragen einer sachgerechten Zuordnung religiösweltanschaulicher Lebensverbände zum staatlichen Rechtsbereich stellen einen Prüfstein für ein dem Grundrecht der Religionsfreiheit und damit ein den Grundsätzen der religiösen Neutralität, Parität und Toleranz verpflichtetes Religionsrecht dar.

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